Editorial

Beiträge zur Biochemie seltsamer Lebewesen (5)

Die Orks

von Siegfried Bär, Zeichnung: Frieder Wiech (Laborjournal-Ausgabe 06, 2005)


Rachitis sei heutzutage kein Problem mehr, meinen Sie? Ja, hierzulande vielleicht! Nicht aber in Mittelerde, wo krummbeinige Orks herumstolpern, gejagt von grausamen Zwergen und Elfen. Lesen Sie, warum die dunkelhäutigen Elendskreaturen gar zum Kannibalismus gezwungen sind und wer daran schuld sein könnte.

Orks gelten als unangenehme Zeitgenossen und in der Tat, mit den Orks war es schwierig. Der maßgebende Berichterstatter, der Anglist J.R.R. Tolkien, scheint wenig bis nichts von Biochemie verstanden zu haben. Er ist, was die Orks betrifft, seltsam vage. Hässlich seien sie, abscheulich, stinkend, böse.

Was aber ist das Wesen dieser Hässlichkeit? Worin besteht die Grundlage der Abscheulichkeit?

Dies zu beschreiben, bleibt uns Tolkien schuldig. Er verschweigt uns auch die Lebensgrundlagen der Orks, ihre tägliche Beschäftigung, ihre Vorlieben, ihre Triebe und Antriebe und ihr Gefühlsleben. Es gibt daher viele Fragen zu den Orks, für die meisten habe ich keine Antwort gefunden und die wenigen Antworten, die ich gefunden habe, sind spekulativ.

Vergessen Sie den Film!

Zuerst dürfen Sie die wahren Orks nicht mit den Gestalten verwechseln, die in Peter Jacksons Verfilmung von der "Herr der Ringe" ihr Unwesen treiben. Die Filmorks leiden zum Beispiel durchweg an schlechten Zähnen, was im Buch an keiner Stelle erwähnt wird. Die richtigen Orks, die Orks des Buches, müssen ein gutes Gebiss gehabt haben, denn sie ernähren sich von hartem Graubrot und zähem Trockenfleisch und klagen nie über Zahnweh. Auch mit ihrer Intelligenz scheint es im Film nicht weit her zu sein. Im Buch aber besitzen sie Krummsäbel und Hornbögen, was sowohl ein Verständnis von Physik voraussetzt wie auch ein hoch entwickeltes Handwerk. Die Herstellung eines Hornbogens dauert Jahre und benötigt ausgefallene Materialien wie Leim vom Kiemendach des Störs. Die Orks müssen also über ein weitverzweigtes Handelsnetz verfügen.


Sympatische Nichtraucher

Schließlich und endlich erscheinen die Orks in Jacksons Film durchweg als Ekelpakete. Im Buch aber zeigen sie auch sympathische Züge. So sind sie im Gegensatz zu den Hobbits Nichtraucher und belästigen ihre Mitmenschen nicht mit giftigen Rauchschwaden. Es dürften mehr Hobbits an den Folgen des Rauchens sterben als durch Orksäbel und während ein Orksäbel kurzen Prozess macht, kann sich Lungenkrebs über Monate hinziehen.

Aber wir wollen hier nicht ins Psychologisieren verfallen. Wir sind ja schließlich richtige Wissenschaftler. Wir fragen uns daher: Was lässt Rückschlüsse auf Biochemie und Physiologie der Orks zu?


Pathologisch träge

Nun, Orks zeigen im Kampf geradezu pathologisch langsame Reaktionen. Bevor sie die Hand mit dem Krummsäbel gehoben haben, ist dieselbe schon abgehauen. Sie werden dahingemetzelt wie die Deutschen in angelsächsischen Kriegsfilmen: Ein anständiger Krieger schlägt nacheinander 20 Orks tot und kommt dabei nicht mal außer Puste.

Des weiteren sind Orks dunkelhäutig und leben in Höhlen. Sie hassen das Sonnenlicht. Krumme Beine haben sie auch. Ich wiederhole: Sie leben im Dunkeln und haben krumme Beine - löst das bei Ihnen etwas aus? Richtig: Vitamin D alias Cholecalciferol, der lebenswichtige Stoffwechselregulator für die Minerale Kalzium und Phosphat! Orks müssen in ihrer Kindheit an Vitamin D-Mangel gelitten haben. Dies erklärt nicht nur die krummen Beine, ähnlich wie bei rachitischen Kindern, sondern vielleicht auch die Retardierung der Reflexe, die sie als erwachsene Krieger zeigen.

Angewiesen auf Vitamin D

Vitamin D muß entweder mit der Nahrung zugeführt werden oder es entsteht in der Haut aus 7-Dehydrocholesterin. Die Umwandlung benötigt UV-Strahlen, vulgo Sonnenlicht. Orks aber leben in Gegenden mit mäßiger Sonneneinstrahlung, meiden sie das Licht und leben in Höhlen. Zudem sind sie dunkelhäutig: Die geringe UV-Strahlung, der sie ausgesetzt sind, wird vom Melanin der Haut abgefangen. Orks sind also auf die Zufuhr von Vitamin D angewiesen.

Vitamin D-reiche Nahrungsmittel sind Lebertran, Eier und Fleisch. Von Lebertran und Eiern ist im "Der Herr der Ringe" nie die Rede. Hühner scheint es auf Mittelerde nicht zu geben und von einem Handel mit Seefischen ist nichts bekannt. Von Fisch scheint man dort generell nicht viel zu halten. Lediglich Gollum, der aber kein Ork ist, frisst rohe Forellen.

Die einzige Möglichkeit für Orks, an das dringend benötigte Vitamin D zu kommen, ist also Fleisch. Nun sind die Orks in Gegenden mit geringem Graswuchs abgedrängt worden, in ödes Land, grau, schwarz, mit Schwefeldämpfen durchsättigt. Es gibt dort kein Wild und Viehzucht ist hoffnungslos. Die einzige Fleisch- und Vitamin D-Quelle der Orks ist daher Menschen- oder Orkfleisch bzw. Leber.

Zum Kannibalismus gezwungen

Der Kannibalismus der Orks ist somit kein Ausdruck von Bosheit, sondern eine Notwendigkeit zu der diese Armen gezwungen wurden und zwar von jenen, die sie am heftigsten bekämpfen und verleumden: Von den Menschen, Elben und Zwergen.

Biologen wird hier ein Widerspruch auffallen: Orks leben in einer extrem lichtarmen Umgebung und sind trotzdem dunkelhäutig. Und dies schon seit Jahrtausenden! Höhlentiere sind aber weißhäutig, denken Sie nur an den Grottenolm.

Weißhäutige können auch bei geringer Lichtbestrahlung noch Vitamin D produzieren. Für Dunkelhäutige dagegen reicht dazu selbst die Sonneneinstrahlung unserer Breiten nicht aus. Dunkelhäutige Bauern, die sich hauptsächlich vegetarisch ernähren, leiden in Nord- und Mitteleuropa an Vitamin D-Mangel. Dies sei der Selektionsfaktor gewesen, der die steinzeitlichen Europäer erbleichen ließ, behaupten Paläobiologen. Warum also bleiben die Orks schwarz?

Offensichtlich ist bei den Orks die natürliche Selektion ausgesetzt. In der Tat erwähnt Tolkien mehrmals, dass Orks gezüchtet würden. Dies erklärt ihre fortdauernde Dunkelhäutigkeit: Wenn der Züchter - warum auch immer - dunkle Orks will, dann kann sich Darwin auf den Kopf stellen, sie bleiben dunkel, denn der Züchter selektiert. Leider wird nicht gesagt, mit welcher Technik gezüchtet wird.

Werden Orks gezüchtet wie Hunderassen? Nein! Orks vermehren sich asexuell: Bei Tolkien ist nie von Orkfrauen die Rede. Sie vergewaltigen auch nicht während ihrer Raubzüge, obwohl man sie, nach Baumbart dem Baumhirten, mit Menschen kreuzen kann. Übrigens: diesen sympathischen Zug kann man der Orks nicht als moralischen Verdienst gutschreiben. Es ist ja kein Verzicht, vielmehr haben Orks an Sexuellem einfach kein Interesse. Durch Knospung pflanzen sich Orks auch nicht fort, nirgendwo ist dafür ein Hinweis zu finden.


Zuletzt: Ein guter Rat an die lieben Professoren

Werden Orks also kloniert? Es ist schwer zu sagen und ich will nicht ins Blaue hinein spekulieren. Eines aber muß ich doch noch loswerden: Einen Rat an die Professoren.

Orks eignen sich hervorragend als Doktoranden und Postdoks. Menschen, Zwerge und Elben gehen spazieren, saufen, rauchen oder schlachten Orks ab. Orks dagegen arbeiten. Es sind Wühler. Dazu kommt ihre technische Begabung, Ausdauer und Genügsamkeit: Alles was Ihr Ork-Mitarbeiter braucht, ist ein schwarzer Fetzen aus der Altkleidersammlung und Graubrot mit Margarine, die mit Vitamin D versetzt wurde. Letzteres gibt es bei Aldi, das Geld dafür bei der DFG. Ausreichend mit Vitamin D versorgt, haben Orks kein Menschenfleisch mehr nötig.

Das Beste: Ist der Vertrag abgelaufen, nehmen Sie ihr Schwert und - ssswusch! - landet der Ork im Bioabfall. Kein Gejammer, keine Bitten um Vertragsverlängerung, keine sozialen Probleme. Also: Orks ins Labor.

Meine lieben Professoren: Die meisten Orks leben in Mordor. Dort sollten Sie rekrutieren. Ich empfehle Ihnen, sich höchstpersönlich dorthin zu begeben.



Letzte Änderungen: 22.09.2005