Editorial

Das Digitale Labor

Kommentar - Schöne neue Digitalwelt?
von Winfried Köppelle, Laborjournal 04/2017



Foto: KIT

„Es geht ja nicht darum, Mitarbeiter durch Roboter zu ersetzen.“ – Beschwichtigungs-Floskeln wie diese hört man immer dann, wenn es um die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung am Arbeitsplatz geht. Worum aber geht es dann? Um die Wellness der Mitarbeiter und den Erhalt ihrer gut bezahlten Arbeitsplätze?

Wohl kaum. Denn wäre es so; würden die Arbeitgeber all die teuren digitalen Gadgets nur anschaffen, um ihren Mitarbeitern etwas Gutes zu tun – wieso werden dann überhaupt noch in steter Folge Tarifstreitigkeiten ausgetragen? Nein, ob man es nun „Effizienzsteigerung“ oder „Produktivitätsoptimierung“ nennt – es geht, wie immer, letztlich ums Geld. Und dass die ins Kraut schießende Automatisierung / Digitalisierung am Arbeitsplatz durchaus handfeste Nachteile mit sich bringt, und zwar vor allem für die (bislang noch) Bediensteten, darüber lohnt es sich kaum zu streiten.

Der amerikanische Software-Unternehmer Martin Ford etwa, der seit Jahren die Folgen der Automatisierung für den Arbeitsmarkt untersucht, sieht selbst kreative Berufe wie den des Arztes oder des Journalisten/Texters mittelfristig bedroht. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung im März 2015 warnte Ford, dass beispielsweise Radiologen und Pathologen, die regelmäßig mit der Auswertung von Daten zu tun hätten, bald überflüssig sein könnten: Computer würden hier zunehmend besser werden und hätten das Potenzial, derlei Arbeiten künftig im Alleingang zu erledigen. Ein Zitat aus dem erwähnten Interview gibt zu denken:

Es gibt diese Idee, dass die Wirtschaft der Zukunft aus einer engen Kollaboration von Mensch und Maschine bestehen wird. Ich bin skeptisch, im Moment entwickelt es sich eher dahin, dass Menschen als Komponente an ein System angedockt werden, das nur noch keinen Weg gefunden hat, ohne diese Komponente zu funktionieren.“ (Martin Ford in der Süddeutschen Zeitung vom 11.3.2015)

Die Zeitspanne, bis intelligente Software und mit Sensoren ausgestattete Roboter zur ernsten Konkurrenz für den Menschen werden, selbst in bislang „anspruchsvollen“ Berufen, ist offenbar weit kürzer als die meisten annehmen: IT-Spezialist Ford glaubt, wie auch zahlreiche seiner an künstlicher Intelligenz arbeitenden Kollegen, dass schon in fünf bis höchstens fünfzehn Jahren der Mensch in sehr vielen, auch hochqualifizierten Berufen überflüssig sein werde: „Jede Arbeit, die aus einer vorhersagbaren Routine besteht, ist in den kommenden Jahren gefährdet. Und das sind genauer betrachtet die meisten Jobs.“

Mag ja sein, aber doch nicht bei uns an der Uni oder in der Pharmaindustrie? Oh doch: Laut einer Studie, die für den US-Arbeitsmarkt die Zukunftsaussichten von 700 Berufsgruppen angesichts der Konkurrenz durch Roboter und Computer berechnete, besteht zum Beispiel für Pharmazeutisch-technische Assistenten eine 92-prozentige Wahrscheinlichkeit, in den kommenden 20 Jahren durch einen Computer ersetzt zu werden; für Medizinische Assistenten beträgt dieses Risiko immerhin 30 und für Arzthelfer 14 Prozent. Auch die „gute alte“ Lehrstuhl-Sekretärin wird mit 86 Prozent Wahrscheinlichkeit bald der Vergangenheit angehören.

Doch selbst Akademiker sollten sich nicht allzu sicher fühlen. Epidemiologen etwa sind laut dieser Studie zu 20 Prozent gefährdet; die eher trüben Aussichten einiger Facharzt-Tätigkeiten wurden bereits erwähnt. Und selbst in einer der scheinbar letzten Bastionen menschlicher Intelligenz, der akademischen Grundlagenforschung, werden Maschinen immer mehr zur (un)heimlichen Konkurrenz des Wissenschaftlers: Schon 2011 zeigte sich der Computer in einem Deep-Learning-Experiment an der Universität Stanford geradezu unheimlich treffsicher; anhand von Gewebsbildern konnte der befragte Computeralgorithmus die Überlebensrate von Krebspatienten zutreffender prognostizieren als erfahrene Krebsmediziner. Auch das autonome Auffinden potenzieller neuer Wirkstoffmoleküle und Leitstrukturen im Rahmen pharmazeutischer Hochdurchsatz-Screenings gelingt Maschinen schon seit Jahren besser als Menschen.

Eine volkswirtschaftliche Analyse der Privatbank ING-DiBa kam 2015 übrigens zu ganz ähnlichen Ergebnissen wie die angesprochene US-Studie: 18,3 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland seien innerhalb der nächsten zehn bis 20 Jahren durch die „Robotisierung“ bedroht. Eine gesunde Skepsis gegenüber der um sich greifenden Digitalisierung ist also durchaus angebracht.

Last Changed: 02.07.2018