Editorial

Über die Rechte von Gehirn-Organoiden

ORGANOIDE
Das Gespräch führte Henrik Müller, Laborjournal 05/2020


(08.05.2020) Die Erforschung und therapeutische Anwendung genomeditierter Gehirnzellen und daraus gezüchteter Gehirn- Organoide wirft auch ethische und rechtliche Fragen auf. Ein Team um Hans-Georg Dederer, Lehrstuhlinhaber für Staats-, Völker- und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Passau, versucht Antworten zu finden.

Laborjournal: Organoide mit den Kapazitäten echter Säugergehirne liegen in weiter Ferne. Kommt Ihr Forschungsprojekt nicht zu früh?

Dederer » Ganz im Gegenteil! Das Recht hinkt dem Erkenntnisfortschritt in der Biomedizin meist hinterher. Therapieansätze auf der Basis induzierter pluripotenter Stammzellen sind bereits in der klinischen Prüfung. Die Themen Gehirn-Organoide und neurologisches Enhancement sind schon Gegenstand der öffentlichen Debatte. Medizin-ethische und -rechtliche Fragen dürfen die politischen Entscheidungsträger aber nicht unvorbereitet treffen, da sonst mögliche abwehrende Überreaktionen, wie etwa Moratorien, den Forschungsfortschritt auf Jahre zurückwerfen könnten. Wir müssen also vorausschauend denken.

Wie tun Sie das?

Dederer » Wir möchten beantworten, welcher rechtliche Status Gehirn-Organoiden zukommen sollte, wie Enhancement-Methoden zu bewerten sind und inwieweit das Konzept der Patienteneinwilligung nach erfolgter Aufklärung, auch zu unbekannten Forschungszwecken, anpassungsbedürftig ist. Zudem wollen wir Eigentums- und Persönlichkeitsrechte an biopsierten Zellen, induzierten pluripotenten Stammzellen und Gehirn-Organoiden klären, ebenso wie patentrechtliche Fragestellungen. Dafür werden wir vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst als Teil des Forschungsverbunds „Interaktion humaner Gehirnzellen“ bis 2023 gefördert.

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Hans-Georg Dederer Foto: privat

Welchen Rechtsrahmen sehen Sie für Gehirn-Organoide voraus?

Dederer » Das hängt von ihren therapeutischen Möglichkeiten ab, die wiederum auf den Erkenntnissen aus der Forschung mit Gehirn-Organoiden beruhen. Um all dies Medizin-rechtlich einzuschätzen, betrachten wir synchron eine Reihe von Regelwerken der Biomedizin wie zum Beispiel das Gentechnik-, das Arzneimittel- und das Transplantationsgesetz bis hin zu EU-Verordnungen über klinische Prüfungen und Arzneimittel für neuartige Therapien. Außerdem spielen Wertungen des Grundgesetzes eine Rolle, unter anderem die Rechte auf informationelle Selbstbestimmung, Patientenautonomie und Forschungsfreiheit. Ebenso müssen wir die Schutz- und Förderpflicht des Staates bedenken, mit Blick auf Patienten schwerer neurodegenerativer Krankheiten tätig zu werden. Zusätzlich ist das Datenschutzrecht bedeutsam, da Analysen von Genom, Transkriptom oder Proteom sowie von Stammzellen und Organoiden Rückschlüsse auf persönlichkeitsrelevante Merkmale zulassen könnten. Unsere Analyse dieses Regelungsgeflechts wird ergeben, ob der geltende Rechtsrahmen an die Besonderheiten von Gehirn-Organoiden samt ihren therapeutischen und Enhancement-Möglichkeiten adaptiert werden muss.

Müssten Sie unser veraltetes Gentechnikgesetz dann nicht erstmal überarbeiten?

Dederer » Einem etwaigen Änderungsbedarf des Gentechnikrechts, insoweit es die Erzeugung, die Erforschung und den Einsatz genomeditierter Gehirnzellen und -organoide betrifft, geht unser Projekt gerade nach.

Wie unterscheiden Sie rechtlich zwischen therapeutischen und medizinisch nicht-indizierten „Verbesserungs“-Maßnahmen?

Dederer » Ein wesentlicher Aspekt unseres Projekts ist die Erarbeitung eines Kriterienkatalogs, um ausgehend vom Normalzustand die Aspekte Prävention, Therapie und Enhancement voneinander abzugrenzen. Die Schwierigkeit ist dabei die Frage, was rechtlich gesehen der Normalzustand ist.

Für die Folgefrage, wie Enhancement reguliert werden sollte, gilt zunächst, dass Freiheitseingriffe im Rahmen des Freiheitsprinzips gerechtfertigt sein müssen. Dazu müssen wir die persönliche Freiheit wiederum mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit und im Lichte verfassungsrechtlicher Grundvorstellungen vom Menschen abwägen. Eine Rolle spielt dabei auch, inwieweit der Staat den Einzelnen vor gesundheitlicher oder persönlichkeitsrelevanter Selbstgefährdung schützen darf.

Prävention bis Enhancement werden neben Gehirn-Organoiden auch mit entnommenem Hirngewebe und mit chimären Tiermodellen erforscht. Wie grenzen Sie diese drei Entitäten ethisch-rechtlich voneinander ab?

Dederer » Ihre Abgrenzung ergibt sich aus ihren jeweiligen Funktionalitäten und Anwendungsbereichen. Je nach Entität sind unterschiedliche Regulierungen nötig. Für Gehirn-Organoide und Ex-vivo-Hirngewebe stellen sich etwa Fragen zum Schutz persönlicher Daten, zu ihren jeweiligen Eigentümern, zur Regulierung von Therapien und zur Zustimmung zu therapeutischen oder verbessernden Zwecken. Lässt sich eine grundrechtliche Schutzwürdigkeit von Organoiden begründen, wollen wir einen entsprechenden Kriterienkatalog erarbeiten.

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Brauchen wir einen Rechtsrahmen, der die Besonderheiten von Gehirn-Organoiden mit einschließt? Foto: Stammzellbiol. Abt. Univ. Erlangen

Auch der Aspekt einer Chimärenbildung bei Verwendung menschlicher Organoide in Tieren ist noch nicht rechtlich bewertet. Der entsprechende Paragraph 7 des Embryonenschutzgesetzes greift ja nicht, da Organoide nicht aus menschlichen Embryonen hergestellt werden. Bei der Transplantation humaner Organoide in Tiermodelle steht vor allem das Problem einer „Vermenschlichung“ im Raum.

Falls Gehirn-Organoide zu bewusstem Erleben oder Erinnerung fähig würden, welcher Schutz müsste ihnen im Vergleich zu menschlichen Probanden oder Tierversuchen zuerkannt werden?

Dederer » Klar ist zu diesem Zeitpunkt nur, dass Gehirn-Organoide nicht als Menschen einzustufen sind. Die im Grundgesetz verankerte Menschenwürde-Garantie wie auch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit stehen ihnen deshalb nicht unmittelbar zu. Auch ein Schutz im Sinne einer Vorwirkung oder Rückerstreckung, wie er etwa Embryonen zugutekommt, ist für Gehirn-Organoide nicht denkbar. Denn sie sind intrinsisch nicht befähigt, sich zu einem geborenen individuellen Menschen zu entwickeln. Ihr etwaiger Schutzstatus müsste sich folglich konzeptionell und argumentativ anders begründen.

Wie adaptieren Sie Ihre Richtlinien an zukünftige, noch unbekannte Forschungsresultate?

Dederer » Sollten wir mit Blick auf das spezifische Wesen von Gehirn-Organoiden auf Regelungslücken oder Unzulänglichkeiten stoßen, werden wir Anpassungsvorschläge erarbeiten. Eine Anpassung der bestehenden gesetzlichen Regulierung ist dem Gesetzgeber vorbehalten. Dafür kann er unsere Vorschläge aufgreifen. Auch danach unterliegt der Gesetzgeber einer Pflicht zur Beobachtung und gegebenenfalls zur Nachbesserung seiner gesetzlichen Regelungen, soweit es um den Schutz grundrechtlich geschützter Positionen geht. Neue Forschungserkenntnisse können dann Anlass erneuter Nachjustierungen des Rechtsrahmens sein.

Last Changed: 08.05.2020