Mitosom

von Petra Stöcker (Laborjournal-Ausgabe 5, 2008)


Editorial
Flickenteppich
Die moderne eukaryotische Zelle ist wie ein Flickenteppich: Nach und nach wurden vormals unabhängig existierende Prokaryoten patchworkartig zu einem neuen Gebilde miteinander verwebt. Die Umwandlung dieser fortan "Endosymbionten" genannten integrierten Organismen in Zellorganellen verlangte dann allerdings einen aufwändigen Anpassungsprozess auf genetischer, physiologischer und zellulärer Ebene.

Neben den Mitochondrien und Chloroplasten, die die klassischen biochemischen Funktionen wie die Synthese von NAD(P)H und ATP über Citronensäurezyklus, Atmungskette und Photosynthese erfüllen, entstanden auch spezialisierte Formen dieser Zellkompartimente, darunter die so genannten Mitosomen.

Editorial

Kleiner Bruder

Diese kleinen sphärischen Organellen sind abgespeckte Versionen der Mitochondrien, die sich bei einer Reihe von Eukaryoten finden, etwa in Mikrosporidien, Diplomonaden und Trichomonaden. Diese besitzen keine klassischen Mitochondrien und werden daher als Amitochondriaten bezeichnet.

Mitosomen haben wie Mitochondrien zwei Membranen, jedoch keine eigene DNA. Sie üben keine der herkömmlichen mitochondrialen Funktionen aus. Ihre zelluläre Aufgabe war bislang weitgehend unbekannt.

Vom Mitochondrium, dem großen Bruder des Mitosoms, ist seit einigen Jahren bekannt, dass es auch eine tragende Rolle bei der Biosynthese von zellulären Eisen-Schwefel(Fe-S)-Proteinen spielt. Diese eukaryotischen Eiweiße mischen beim Elektronentransport, bei der Katalyse biochemischer Reaktionen und bei regulatorischen Vorgängen mit. Die sogenannte mitochondriale ISC ("iron sulfur cluster")-Assemblierungsmaschinerie ist aus der komplexen Fe-S-Proteinsynthese, an der mehr als zehn Proteine beteiligt sind, nicht wegzudenken.


Eisen-Schwefel-Proteine

Fe-S-Proteine enthalten Fe-S-Cluster als anorganische Cofaktoren, die im einfachsten Fall aus jeweils zwei ([2Fe-2S]-Cluster) oder vier ([4Fe-4S]-Cluster) Eisen- und Schwefelionen bestehen. ISC-Proteine, die für die Reifung der Fe-S-Proteine zuständig sind, können normalerweise nur im Mitochondrium ungestört ihrem Job nachgehen, da sie im Zytosol nicht aktiv sind. Was aber, wenn die Zelle gar keine Mitochondrien hat?

An dieser Stelle kommen die Mitosomen ins Spiel, wie das Team um den Zell-biologen Roland Lill vom Institut für Zytobiologie und Zytopathologie der Universität Marburg und Martin Embley vom Institute for Cell and Molecular Biosciences der Newcastle University anhand der Mikrosporidienvertreter Encephalitozoon cuniculi und Trachipleistophora hominis zeigen konnte (Nature 2008, 452:624-628).

Einige der ISC-Komponenten sind essentiell für Hefe und anderen Eukaryoten. Dazu gehören unter anderem die Cysteindesulfurase Nfs1, die Gerüstproteine der Isu-Familie, die Komponenten der Elektronentransportkette sowie Yah1 (Ferredoxin, ein etwa 11 kDa großes, lösliches Eisen-Schwefel-Protein).

Bekannt ist, dass auch die Genome der Mikrosporidien einige Komponenten der mitochondrialen ISC-Maschinerie codieren und damit trotz fehlender Mitochondrien über eigens kreierte Plagiate deren Mitarbeit bei der Synthese von -Fe-S-Proteinen möglich machen. Allerdings haben Mikrosporidien - hoch spezialisierte, einzellige, obligat intrazelluläre Eukaryoten - nur eine Minimalausstattung an ISC-Komponenten. Zu Letzteren gehören Homologe der mitochondrialen Proteine Hsp70 (ein Hitzeschockprotein), Nfs1, Yah1, Isu1 und Yfh1 (Frataxin). Diese sind im Genom von Mikrosporidien codiert und in deren etwa 50 bis 90 nm großen Mitosomen beheimatet.

Um die Funktion der Fe-S-Cluster-Proteine der Mikrosporidien zu prüfen, führten die Wissenschaftler in mutierten Hefezellen mit deaktivierten Proteinen die entsprechenden Homologe aus E. cuniculi beziehungsweise T. hominis ein. In der Tat konnten ThIsu1 und ThNfs1, EcYfh1 und EcGrx5 (eine Oxidoreduktase aus der Familie der Glutaredoxine) die entsprechenden deaktivierten Hefeproteine ersetzen. Damit waren die Mikrosporidien-Proteine als funktionelle Homologe der Mitochondrien-Proteine identifiziert.


Aufenthaltsort gefunden

Mittels indirekter Immunfluoreszenz-Analysen spürten die Zellbiologen den Aufenthaltsort der homologen Proteine auf. Tatsächlich tummeln sich in den Mitosomen von E. cuniculi die Kernelemente der Fe-S-Cluster-Biosynthese. Bei T. hominis sind die Cysteindesulfurasen ThNfs1 und ThmHsp70 ebenfalls in den Mitosomen beheimatet. Der Großteil von ThIsu1 und ThYfh1 schwimmt allerdings im Zytosol: Das ist bisher einzigartig für eine eukaryotische Zelle.

Da aber die Reifung der Fe-S-Proteine eine enge Zusammenarbeit aller beteiligten mitosomalen Proteine erfordert, bleibt die Frage offen, wie die räumlich getrennten Fe-S-Cluster-Komponenten im Arbeitsalltag zueinander finden. Geklärt ist wenigstens, dass die Proteine der Mitosomen eine vergleichbare Aufgabe wie die der eukaryotischen Mitochondrien erfüllen. Die muss wohl lebenswichtig sein, sonst wäre der Flickenteppich im Laufe der Millionen Jahre dauernden Evolution längst zerfallen.


Letzte Änderungen: 05.06.2008

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