Grüner Tee

von Ralf Neumann (Laborjournal-Ausgabe 05, 1999)


Editorial
Hemmt grüner Tee die Entstehung von Tumoren? Genau weiß man das nicht. Nature druckte zwar kürzlich einen Beitrag, der einen Mechanismus der Tumorhemmung durch das grüne Gebräu vorschlägt. Zwei Jahre zuvorjedoch blamierte sich das Edelblatt mit einem ähnlichen Artikel fürchterlich.

Seit Jahrtausenden überbrühen die Bewohner des fernen Ostens die getrockneten Blätter von Camellia sinensis. Und sie entwickeln auch bestimmte Krebsarten weniger häufig als Europäer. Ob dies allerdings der Grüne Tee bewirkt, ist selbst nach einer Reihe epidemiologischer Studien nicht gewiß. Im letzten Jahr faßte die Amerikanerin Joan Louise Bushman 31 solcher Studien als stark wechselhaft zusammen. So bescheinigten etwa sechs Studien dem Grünen Tee eine Senkung des Risikos für Magenkrebs, drei andere dagegen eine Erhöhung. Für Enddarmkrebs errechneten gar drei Studien einen fördernden Effekt und nur eine einen hemmenden. Studien zum Speiseröhrenkrebs dagegen ergaben insgesamt eine deutliche Risikominderung. Die Autorin schließt mit dem Fazit, daß Grüner Tee allgemein das Krebsrisiko moderat zu senken scheint, am kräftigsten bei Tumoren des oberen Verdauungstrakts.
Editorial

Insbesondere einige Versuche an Mäusen schienen die antikarzinogene Wirkung des grünen Aufgußes zu bestätigen. Ob Hautkrebs nach UV-Bestahlung, Wachstum implantierter Tumoren oder Tumorbildung durch karzinogene Stoffe - Mäuse, die Grünen Tee tranken, waren immer ein wenig besser dran als ihre wassertrinkenden Artgenossen.

Klar, daß man jetzt wissen wollte, wie und womit der Grüne Tee das macht. Schon bald unter Verdacht: Polyphenole. Grüner Tee enthält eine Vielzahl dieser stark antioxidanten Verbindungen, vor allem Catechine. Unter diesen wiederum ist (-)-Epigallocatechin-3-Gallat (EGCG) das häufigste; bis zu 40 Prozent des gesamten Polyphenolgehalts können EGCG-Moleküle sein.

Im Juni 1997 zeigte dann eine US-Gruppe in Nature Kurven, nach denen EGCG das Enzym Urokinase blockiert. Dieses wird in menschlichen Tumoren häufig überexprimiert und bereitet durch seine proteolytische Aktivität die Invasion von Krebszellen in gesundes Gewebe vor. In Mäusen hatte man bereits zuvor mit synthetischen Urokinase-Inhibitoren Tumoren zum Schmelzen gebracht, Folglich postulierten die US-Forscher, daß auch Grüner Tee das Tumorwachstum über eine Blockade der Urokinase-Aktivität durch EGCG unterbinden könne.

Klingt gut, konnte aber kaum sein. Nach der präsentierten Hemmkurve geht die Urokinase-Aktivität erst bei millimolaren EGCG-Konzentrationen in die Knie - eine Konzentration, bei der EGCG nahezu sämtliche Zellteilung hemmt, nicht nur die von Tumorzellen. Überdies liegt nach einem halben Liter Grünen Tee die EGCG-Konzentration im Blut bei etwa 0,3 µM. Was bedeutet, daß man nach ungefähr 10.000 Tassen Grünen Tee langsam mit einer Hemmung der Urokinase-Aktivität rechnen kann.

Trotz dieser Schlappe probiert es Nature nun noch einmal. Im Band vom 1. April beschreiben Stockholmer Forscher auf Seite 381, wie EGCG spezifisch das Wachstum von Endothelzellen hemmt und damit die Bildung neuer Blutgefäße verhindert. Da nun das Wachstum solider Tumoren von dem Einwandern neuer Blutgefäße zwingend abhängig ist, schließen die schwedischen Autoren, daß Grüner Tee seine mögliche antikarzinogene Wirkung durch eine Hemmung der Angiogenese entfalten könne.

Immerhin ist diesmal wenigstens die effektive EGCG-Konzentration durchaus im physiologischen Bereich.


Letzte Änderungen: 19.10.2004