Editorial

Anthrax

von Harald Zähringer (Laborjournal-Ausgabe 11, 2001)




Man schrieb das Jahr 1876, als der Bakteriologe Robert Koch ein Stückchen Milz, das vom Milzbrand feuerrot war, auf einem Objektträger fixierte. Er legte das Präparat unter sein Mikroskop, und wenige Stunden später sah er darin stäbchenförmige Bakterien, die sich mit rasender Geschwindigkeit teilten. Koch kultivierte die Bacillen und injizierte sie schließlich Tieren, die kurz darauf an Milzbrand - lateinisch Anthrax - erkrankten. Bacillus anthracis, so nannte er das Bakterium, musste also der Erreger des Milzbrandes sein. Fünf Jahre später präsentierte Louis Pasteur den ersten Milzbrand-Impfstoff. Auf einem Bauernhof, unweit von Paris, impfte er Kühe, Schafe und Ziegen mit einem Serum aus abgetöteten Anthrax-Bacillen, bevor er ihnen die Erreger injizierte. Wie von Pasteur vorrausgesagt, überlebten die immunisierten Tiere.

Trotz dieser schnellen Erfolge wurde bis heute kein Impfstoff entwickelt, der Menschen sicher und ohne Nebenwirkungen vor den tödlichen Anthrax-Sporen schützt. Auch der natürliche Ursprung von Bacillus anthracis liegt im Dunkeln. Die äußerst resistenten Sporen der zur Bacillus cereus-Gruppe gehörenden, grampositiven Bacillen, schlummern im Erdboden, bis sie von einer Kuh, einem Schaf oder einem sonstigen Pflanzenfresser aufgenommen werden. Aus den Sporen entstehen in den Wirts-Tieren vegetativ wachsende Bacillen; diese vermehren sich stark und produzieren Giftstoffe, die den Wirt töten. Sobald die Anthrax-Bacillen von den toten Tieren freigesetzt werden und mit Sauerstoff in Kontakt kommen, bilden sie erneut Sporen, die Jahrzehnte im Boden überdauern können, bevor sie in einen neuen Lebenzyklus eintreten.

Uralte Krankheit

Seit alters her infizieren sich gelegentlich auch Menschen mit Milzbrand - in der Regel Personen, die engen Kontakt mit erkrankten Tieren hatten oder sie aßen. Anthrax- Sporen können über die Haut, die Lunge oder den Verdauungstrakt in den menschlichen Organismus gelangen, und entsprechend Haut-, Lungen- oder Darmmilzbrand auslösen. Relativ harmlos verläuft der Hautmilzbrand, der sich in Pusteln, Ödemen und schwarzen Geschwüren äußert, die meist auch ohne Behandlung ausheilen. Weit gefährlicher ist der Lungenmilzbrand. Werden die anfänglich fieberartigen Symptome nicht als Milzbrand diagnostiziert, ist die Krankheit nach kurzer Zeit nicht mehr zu behandeln und führt nach Schockzuständen und Atemstillstand zum Tode. Genauso fatal verläuft der extrem seltene Darmmilzbrand.

Die Milzbrand-Sporen werden von Makrophagen - der ersten Verteidigungslinie des Immunsystems - in Empfang genommen und zu den regionalen Lymphknoten transportiert. In den Fresszellen wächst aus ihnen eine neue Bacillus Generation heran, die sich vermehrt, bis die Makrophagen buchstäblich platzen. Die Bacillen springen auf weitere Lymphknoten über und landen schließlich im Blut, während die sterbenden Makrophagen große Mengen an Cytokinen freisetzen, die den Organismus in einen tödlichen Schockzustand versetzen.


Tödliches Toxin

Für die tödlichen Attacken auf die Makrophagen und die Ödeme der Anthrax-Opfer machen Toxikologen die beiden Zwei Komponenten-Gifte des Bacillus anthracis verantwortlich: Das letale Toxin, LeTx, ist ein Heterodimer aus den Anthrax-Proteinen Protektives Antigen (PA) und Letaler Faktor (LF). Das Ödemische Toxin, EdTx, das die Ödeme verursacht, resultiert aus der Kombination von PA mit dem Protein Ödemischer Faktor (EF). Auf sich allein gestellt ist aber keines dieser Proteine, die von den Genen pagA, lef und cya auf dem Virulenz Plasmid pX01 kodiert werden, giftig.

PA fungiert in beiden Fällen als Vehikel, das die Enzyme EF und LF in das Zytosol schleust. Dazu binden PA-Monomere zunächst an ihren spezifischen Rezeptor an der Zelloberfläche. Eine Protease spaltet daraufhin ein kurzes Stück des Proteins ab, und legt so die späteren Bindungsstellen für EF und LF frei. Jeweils sieben der verbliebenen, längeren Fragmente organisieren sich zu einem ringförmigen Heptamer, an das EF und LF kompetitiv binden. In Vesikel verpackt, wird dieser heteromere Komplex durch Rezeptor-vermittelte Endocytose in die Zelle verfrachtet. Im sauren Millieu des Endosoms dringt der Proteinring schließlich in die Vesikel-Membran ein und bildet eine Pore, durch die EF und LF in das Zytosol vorstoßen. Hier wandelt EF als Adenylatcyclase ATP in cAMP um und scheint dadurch die Anfälligkeit der Opfer für die weitere Infektion zu erhöhen. LF ist im Zytosol als Metallo-Protease aktiv. Sie spaltet verschiedene Mitogen-aktivierte Proteinkinasekinasen (MAPKKs), die in MAP-Kinase-Signalwegen von Makrophagen die Produktion von Cytokinen aktivieren.


Neue Angriffspunkte

John A.T Young von der Universität Wisconsin und R. John Collier von der Harvard Medical School, haben kürzlich den humanen PA-Rezeptor (ATR) kloniert (Nature, Pre-Publication). Damit haben sie die Tür zu spezifischen Inhibitoren der PA-ATR-Interaktion weit aufgestoßen. In einer zweiten, von Nature ebenfalls vor dem Druck veröffentlichten Publikation präsentiert ein Team um Robert Liddington vom Burnham Institute in La Jolla die Kristallstruktur des Letalen Faktors, die den Zugang zu Anthrax-Medikamenten erheblich erleichtern sollte. Einen anderen Weg geht Darell Galloway von der Ohio State University. Er schoss Mäusen Plasmide unter die Haut, die pagA und lef trugen, und konnte die Tiere so genetisch immunisieren (Infect. Immun. 69, S. 4509-15.) Dabei fiel ihm auf, dass bereits die Immunisierung mit lef (LF) genügt, um die Tiere vor den Anthrax-Bacillen zu schützen. Darüberhinaus löst lef (LF) eine wesentlich stärkere Immunantwort aus als pagA (PA). Die derzeit vorhandenen, sehr umstrittenen Vakzine basieren auf einer PA-Präperation aus einem nichtviralen Anthrax-Stamm.



Letzte Änderungen: 20.10.2004