Editorial

Histon-Code

von Brynja Adam (Laborjournal-Ausgabe 09, 2003)


Lange Zeit hielt man Histone für langweilige Proteine – lediglich dazu da, die viel spannendere DNA geordnet im Zellkern zu verpacken. Die stark basischen Histone neutralisieren die negative Ladung der um sie geschlungenen DNA und erlauben so eine mehr als 1000-fache Kompaktierung des Eukaryoten-Genoms. Neben dieser heroischen Leistung gab es aber kaum etwas über sie zu erzählen. Die wirklich wichtigen Dinge – so dachte man – vollbringen die Armeen von Transkriptionsfaktoren und Replikationsmaschinerien, die mit der DNA einen viel spezifischeren Umgang pflegen.


Heroisch aber langweilig?

Diesen Mantel der Unscheinbarkeit haben die Histone in den letzten zehn Jahren jedoch abgeworfen. Heute ist klar, dass die Proteine mehr sind als nur passive Verpackungsmasse. Sie spielen eine zentrale Rolle nicht nur bei der Umordnung des Chromatins während der Mitose, sondern auch bei der Regulation der Transkription – egal ob es dabei um ein einzelnes Gen geht oder um die transkriptionelle Verstummung ganzer Chromosomen-Bereiche.

Spezifische Modifikationen an den N-terminalen Armen der Histone bilden dabei die Erkennungsstellen für eine ganze Reihe regulatorischer Enzyme. Diese Modifikationen kennt man schon seit den 60ern. Vincent Allfrey, ein Pionier auf diesem Gebiet, fand damals Histone, deren Aminosäure-Reste zusätzliche Methyl-, Acetyl- und auch Phosphat-Gruppen tragen. Histone mit Acetylgruppen kommen dabei vor allem in aktiv transkribiertem Chromatin vor. Auch wenn dieser Zusammenhang zwischen Histon-Modifikation und Transkription auf eine aktive Rolle der Histone hindeutete, sollte es noch 30 Jahre dauern bis Allfreys Spur wieder aufgenommen wurde.

Lange Zeit begnügte sich die Wissenschaft mit einer sehr simplen Erklärung für die Wirkung der Histonmodifikationen. So dachte man, durch die Modifikation sinke einfach die positive Ladung der Histone und damit die elektrostatische Anziehung zwischen Protein und DNA.

Inzwischen ist aber klar, dass mehr dahinter steckt als eine allgemeine physikalische Wechselwirkung. Die Effekte sind nämlich sehr spezifisch, je nach dem, welche der vier Histone (H2A, H2B, H3 und H4) an welchen Aminosäure-Resten mit welchen chemischen Gruppen modifiziert ist. Wegen der kombinatorischen Komplexität der Modifikationen reden viele Forscher daher auch vom "Histon-Code".

Editorial

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Den Anfang der neuen Erkenntnisse bildete 1996 die Entdeckung, dass ein bisher als Co-Aktivator der Transkription bekanntes Protein Acetylgruppen an Histone heftet – die erste Histon-Acetylase (HAT). Nur einen Monat später wurde der Fund einer Histon-Deacetylase (HDAC) vermeldet, diesmal war es ein als Repressor bekanntes Protein. Damit verdichtete sich die Korrelation zwischen acetylierten Histonen und hoher Expressionsrate.


Spezifischer als man dachte

Auch die Akteure hinter einer anderen Art von Modifikationen – den Methylierungen – kennt man inzwischen: die Histon-Methylasen (HMTs). Sie sind für die Transkriptionskontrolle auf einer höheren Ordnungsebene zuständig: die Aktivierung beziehungsweise Stillegung ganzer Chromatinbereiche als Eu- oder Heterochromatin. Die als erstes beschriebene HMT methyliert selektiv ein bestimmtes Lysin im Histon H3. Eine Modifikation, die man vor allem in Heterochromatin findet. Ein Durchbruch für die Histon-Code-Theorie war dabei die Entdeckung von Thomas Jenuwein vom Wiener Institut für molekulare Pathologie (IMP) aus dem Jahre 2001, dass die Methylierung dieses Lysins eine Bindestelle für das Heterochromatin-Protein 1 erzeugt – die erste Bestätigung für einen speziellen Code sowie für Enzyme, die diesen Code schreiben und lesen können.

Während der Methyl-Code ganze Chromatin-Bereiche stillzulegen vermag, ist der Histon-Code einzelner Gene meist in Acetyl-Lettern verfasst. Dimitris Thanos und Theodora Agalioti von der Columbia University in New York legten im Januar diesen Jahres am Beispiel des Interferon-Beta-Gens eine erste Beschreibung vor, wie die Expression eines Gens durch Histon-Acetylierung gesteuert wird. Bei einer viralen Infektion humaner Zellen werden die Histone des menschlichen Interferon-Beta-Gens immer an denselben Stellen acetyliert. Diese Acetylierungen sind für den Beginn der Transkription notwendig, da sie in einem zweischrittigen Prozess Proteinkomplexe rekrutieren, die die Histone von der DNA ablösen.


Code rekrutiert Regulatoren

Untersucht werden die modifizierten Histone bis jetzt vor allem mit der Chromatin-Immunpräzipitation (CHiP). Dabei werden Proteine und DNA mit Formaldehyd quervernetzt und das so konservierte Chromatin mit Ultraschall fragmentiert. Bei einer Immunpräzipitation der modifizierten Histone mit spezifischen Antikörpern kann so die dazugehörige DNA mitgewonnen werden. PCR und Mikroarray- Hybridisierung helfen dann bei ihrer Identifizierung. Als Neuentwicklung kommen jetzt massenspektrometrische Methoden hinzu, die die Abhängigkeit von den launigen Antikörpern vermindern sollen.

Eine der brennendsten Fragen rund um den Histon-Code lautet: Gibt es eine Histon-Demethylase? Denn anders als bei den Acetylierungen konnten die Forscher bei den Methylierungen noch kein Enzym entdecken, das die Methylmarkierungen wieder vom Histon entfernt. Möglicherweise dient die Methylierung aber als Langzeit-Veränderung des Genoms. Denn die Histon-Modifikationen werden bei der Replikation an die Doppelstränge beider Tochterzellen weitergegeben, sodass sich die epigenetischen Markierungen nicht nur bei der Mitose, sondern auch bei der Meiose an die nächsten (Zell-)Generationen weitervererben können. Dabei ist die stabile Vererbung ein weiterer Grund für die Forscher von den Modifikationen als Code zu sprechen.



Letzte Änderungen: 20.10.2004