Editorial

Florigen

von Daniela Kaulfus (Laborjournal-Ausgabe 10, 2005)


Warum blühen Märzenbecher im März und Herbstzeitlosen im Herbst? Warum sitzen Blüten am Ende des Stängels und nicht woanders? Selbst der Topfpflanzenguru bezweifelt irgendwann, dass allein Liebe und Substral dafür verantwortlich sein sollen. Welcher Wunderstoff also schaltet eine Pflanze auf "Blühprogramm"?

Botaniker wissen seit rund siebzig Jahren, dass Pflanzen die Tageslänge mit ihren Blättern messen. Ist ein Frühlingstag lang genug, bildet sich eine Substanz, die die Blütenentwicklung induziert. Sie wurde "Florigen" genannt und blieb Jahrzehnte ein florales Geheimrezept - in ihrer Zusammensetzung und Signalwirkung. Da die Knospen bekanntlich an der Sprossspitze sprießen, müssen die Blätter dieses Florigen, oder was auch immer, irgendwie dorthin befördern. Nun trägt die Suche nach den Bestandteilen und Wegen des ominösen Blühhormons endlich Früchte: Gleich drei Teams berichteten Mitte August in Science über ihre Ergebnisse.


It takes Two to Tango...

Bei idealer Tageslänge, Temperatur und Nahrung beginnt eine Pflanze zu blühen. Manche tun das an kurzen Herbsttagen, wie Sojabohnen und Reispflanzen. Erbsen und die kleine Senfpflanze Arabidopsis thaliana bevorzugen die länger und wärmer werdenden Frühlingstage als Fortpflanzungszeit. "Die Blüte einzuleiten ist eine der wichtigsten Entscheidungen für Pflanzen. Dabei ist die präzise Abstimmung auf die Jahreszeit unerlässlich. Pflanzen, die durch Pollen von Artgenossen bestäubt werden, müssen zur selben Zeit blühen wie ihre Nachbarn", betont etwa Philip Wigge.

Wigge ist seit kurzem am englischen John Innes Centre in Norwich tätig. Mit seinem Kollegen Detlef Weigel vom Tübinger Max-Planck-Insitut für Entwicklungsbiologie hat er an Arabidopsis thaliana herausgefunden, dass Pflanzen die synchrone Blühzeit recht raffiniert einfädeln. "Es müssen zwei Komponenten zusammen kommen. Eine bestimmt, zu welcher Jahreszeit die Pflanze blüht, die andere, wo an der Pflanze sich Blüten bilden", erklärt Wigge. Diese Bestandteile konnten die beiden Forscher nun identifizieren: das schon länger bekannte Protein FT und das neu entdeckte FD-Protein (Science 309, 1056).

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Interaktion in der Spitze

"Wir haben das FT-Gen in den späten 90er Jahren gefunden, konnten uns aber jahrelang nicht vorstellen, wie dieses kleine Protein die Aktivität der Gene steuert, die für die Bildung von Blüten nötig sind. Als wir sahen, dass FT das FD-Protein braucht, das an den Sprossspitzen der Pflanze gebildet wird, wurde uns auf einmal alles klar", erklärt Detlef Weigel. "Nur, wenn FT und FD in der selben Zelle zusammen arbeiten, sind sie aktiv."

Neben Wigge et al. berichtet auch die japanische Gruppe um Mitsutomo Abe in der gleichen Ausgabe von der Interaktion zwischen FT und FD (Science 309, S. 1052). Das Gen FT, der "Flowering Locus T", wird in Blättern exprimiert - FD, ein bZIP-Transkriptionsfaktor, dagegen an der Sprossspitze. Dort finden die beiden Proteine einander und interagieren.

Bleibt noch die Frage, wer den mobilen Part vom Blatt zum Blühort übernimmt: FT selbst, oder ist das Protein nur Auslöser einer Kettenreaktion? Auch darauf gibts nun eine Antwort. Es ist das FT-Transkript, das durch das Phloem zur Sprossspitze wandert, beweisen Huang et al. und steuern damit noch eine Publikation zur plötzlichen florigenen Erkenntnisflut bei (Science 309, S. 1694). Wie sich FT und FD ins Puzzle einfügen, ist damit nun um einiges klarer.


Viel Faktor und viel Licht

Seinen Aktivitätsschub erhält das FT-Gen vom ebenfalls bereits bekannten Transkriptionsfaktor CONSTANS (CO). CO misst quasi die Tageslänge. Er oszilliert im Tagesrhytmus und erreicht seinen Peak um die Abenddämmerung. An kurzen Wintertagen ist CO deshalb nach Sonnenuntergang hoch konzentriert. An langen Sommertagen akkumuliert er noch bei Tageslicht - das ist die Initialzündung: Licht aktiviert das hoch konzentrierte CO, und dieses wiederum die FT-Expression. Gelangt die FT-mRNA ans Ziel, interagiert das fertige Protein mit dem bZIP-Transkriptionsfaktor FD in der Blütenanlage, wo die Blütenblätter gebildet werden.

Wie dieses Proteinpaar aneinander bindet, ist noch Spekulation. Abe et al. haben FD etwa potenzielle Phosphorylierungsdomänen für Calcium-abhängige Proteinkinasen entnommen - mit dem Effekt, dass es FT nicht an sich binden konnte. Versuche mit Arabidopsis-Mutanten bestätigten aber, dass FD nur in Anwesenheit von FT weitere Bausteine im Blütendomino zu Fall bringt. Erst dann veranlasst FD das Blüh-Gen APETALA 1 (AP1), aus undifferenzierten Stammzellen Blütenblätter zu formen.


Proteindomino

Allerdings läuft auch ohne LEAFY (LFY) nichts. Dieses Gen ist für die Blütenentwicklung unersetzlich, zeigten Abe et al. Mutierte FT- und LFY-Gene führten zu Schäden in der Blütenentwicklung - genauso wie eine Kombination aus schadhaften FD- und LFY-Genen. Wird allerdings AP1 ausgeschaltet, geht die Blüte nicht völlig daneben - was die Vermutung erhärtet, dass FD die Expression weiterer Blüh-Gene neben AP1 ankurbeln muss. Kandidaten dafür sind etwa FRUITFUL (FUL) und CAULIFLOWER (CAL), die neben AP1 bereits als "Blühhelfer" identifiziert wurden.

So komplex sich "Florigen" neuerdings auch darstellt, so allgemein gültig ist wohl seine Wirkung. Die Schlüsselmoleküle FT und FD kommen nämlich im gesamten Pflanzenreich vor, auch in bedeutenden Nutzpflanzen. Versteht man das Zusammenspiel zwischen Umweltparametern sowie Blüten- und Samenentwicklung besser, könnten Reis- oder Getreidearten möglicherweise auch außerhalb arttypischer Regionen gedeihen.



Letzte Änderungen: 30.10.2005