Editorial

Bakterielle Nanodrähte

von Anja Possart (Laborjournal-Ausgabe 09, 2006)


Während höhere Organismen bekanntermaßen Sauerstoff nutzen, um durch die Atmungskette geschleuste Elektronen letzten Endes unterzubringen, müssen die in sauerstoffarmen Gegenden ansässigen Individuen Alternativen finden.

So erfüllen bei vielen Prokaryoten auch frei lösliches Nitrat, Sulfat und Kohlendioxid die Funktion des leicht zugänglichen Elektronenakzeptors. Doppelt problematisch wird es jedoch für die Metall-reduzierenden Bakterien: Diese verwenden schwer lösliche Eisen- und Manganoxyhydroxide und müssen folglich auch noch die räumliche Distanz ihres Elektronentransportsystems zu den entsprechenden Mineralien überwinden.

Hierzu nutzen sie verschiedene Strategien: Sie transportieren die Elektronen mit Hilfe von Zellmetaboliten oder Huminsäuren zur Mineraloberfläche, oder sie stellen den Kontakt über multihämische Cytochrome ihrer äußeren Membran her. Die mit Abstand spektakulärste Lösung des Kontaktproblems stellt aber sicher die Ausbildung sogenannter Nanodrähte dar.




Metall fressende Drahtzieher

Derartige elektrisch leitende Auswüchse wurden bereits im vergangenen Jahr für die Spezies Geobacter sulfurreducens gezeigt. Neuste Erkenntnisse geben jedoch Hinweise auf eine wesentlich stärkere Verbreitung in der Mikrobenwelt.
In einer neuen Veröffentlichung stellt Yuri Gorby vom Pacific Northwest National Laboratory in Richland, Washington, zusammen mit Kollegen Ergebnisse vor, nach welchen nicht nur Metall reduzierende Bakterien, sondern zum Beispiel auch photosynthetisch aktive Prokaryoten Nanodrähte bilden (Proceedings of the National Academy of Sciences Vol. 103, Gorby Y. et al., S. 11358-11363).

Während für erstere die Einschränkung des Sauerstoffangebots ausschlaggebend war, bildet das photosynthetische Cyanobakterium Synechocystis PCC6803 unter CO2-Mangel sogenannte Pili aus. Die Pili haben, je nach Spezies, einen Durchmesser von 10 bis 150 nm, lagern sich zu Bündeln zusammen und erreichen eine Länge von 10 bis 100 µm. Untersuchungen der Auswüchse mittels Scanning Tunneling-Mikroskopie und -Spektroskopie offenbarten für alle die Fähigkeit zur elektrischen Leitung.

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Ableitung überflüssiger Elektronen

Entlang der Nanodrähte der Metall-reduzierenden Shewanella oneidensis konnten die Autoren die Reduktion von Siliciumeisenhydrid beobachten. Die Ableitung von Elektronen über die Pili ist folglich nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich. Mit den Nanodrähten eröffnet sich somit den Bakterien die Möglichkeit, auch in einer unwirtlichen Mikroumwelt die benötigten Elektronenakzeptoren zu erreichen.

Auch für die Cyanobakterien liegen Sinn und Zweck der leitenden Auswüchse quasi auf der Hand. Des Kohlendioxids beraubt ist für sie die Synthese organischer Verbindungen nicht möglich und somit ein großer Teil Elektronen überflüssig. Die Zelle muss sie irgendwie ableiten und könnte dies über die gebildeten Drähte tun.

Eventuell bilden die Mikroben hierbei ein perfekt organisiertes Energienetzwerk, das die Verteilung der Elektronen den äußeren Bedingungen anpasst.


Mikrobielle Brennstoffzellen


Auch die Welt der Mikroben scheint also eine stark verdrahtete zu sein. Das ist nicht nur per se faszinierend, sondern birgt etliche Möglichkeiten der Nutzung. Schon ist die Rede von Bakterien als ersten Ingenieuren der Nanoelektronik sowie von mikrobiellen Brennstoffzellen.

Die Idee, die von diversen Prokaryoten abgegebene Energie für unsere Zwecke zu nutzen, ist schon alt, doch Dank der neuen Erkenntnisse rückt ihre Umsetzung in greifbare Nähe. So sollen in Montery Bay vor der Kalifornischen Küste noch in diesem Sommer die wissenschaftlichen Instrumente zur Messung von Wellen und Gezeiten mit Hilfe der mikrobiellen Energieflüsse betrieben werden. Graphitelektroden, positioniert auf dem Meeresboden, sollen die von Bakterien freigesetzten Elektronen auffangen und ihren Fluss vermitteln.

Die Entdeckung der Nanodrähte lässt die Augen der Wissenschaftler nun noch stärker leuchten. Gehalten in eigens dafür entwickelten Bioreaktoren könnten die Bakterien eines schönen Tages durch die Umsetzung von Biomasse Elektrizität in rauen Mengen produzieren.


Noch verbesserungsfähig

Allerdings ist der Weg dahin noch weit. Denn die Nanodrähte sind zwar geeignet für den Transfer von Elektronen zu Metallen, wie sie in der Natur vorliegen, für einen optimalen Kontakt zwischen Nanodrähten und künstlichen Elektroden bedarf es aber noch einiger Verbesserungen. Bei Geobacter sulfurreducens unternahm man bereits verschiedene Anstrengungen, um den elektrischen Kontakt zu optimieren oder auch die Stoffwechselrate im Allgemeinen zu steigern. Beispielsweise erhöhte man die Expression eines vermeintlich für den Kontakt wichtigen Membranproteins, jedoch leider ohne Effekt auf die Energieproduktion.

Ein weiterer Ansatz besteht in der Erhöhung des Selektionsdrucks und der Ausnutzung adaptiver Evolution - hier liegen bereits erste ermutigende Resultate vor. Die Komplexität der Mechanismen verlangt jedoch ein hohes Maß an wissenschaftlichem Einfallsreichtum. Neben dem simplen Streben nach Energie wird indes auch die Nutzung der bakteriellen Drähte in der elektronischen Industrie in Betracht gezogen. Die Herstellung derart feiner Strukturen aus herkömmlichen Materialen wie Silizium oder Kohlenstoff ist schwierig und teuer, die Aufzucht von Millionen von Bakterien bereitet hingegen kaum Probleme und ist kostengünstig. Man darf also gespannt sein auf die Duracell-Hasen der Zukunft.





Letzte Änderungen: 15.09.2006