Editorial

Twister-Ribozyme

von Mario Rembold (Laborjournal-Ausgabe 11, 2014)


Stichwort

Der ägyptische Buchstabe „Twisted Flax“ (r.) gab der
neuen Ribozymklasse ihren Namen. Grafik: Cornell Univ.

Es war einmal in einem Land vor unserer Zeit... da waberte etwas vor sich hin, das irgendwo zwischen toter Materie und Leben stand. DNA und Proteine gab es noch nicht, stattdessen übernahm die RNA alle wichtigen Aufgaben: Sie fungierte als Informationsspeicher und stellte gleichzeitig die notwendigen Katalysatoren zur Verfügung.

Als Francis Crick et al. in den 1960er Jahren ihre Idee einer „RNA-Welt“ als Ursprung heutiger biochemischer Prozesse vorschlugen, dürften noch viele Fachkollegen gelächelt haben. In den 80er Jahren entdeckten dann Thomas Cech und Sidney Altman RNA-Moleküle, die sich selbst spleißen und damit Introns beseitigen konnten – ganz ohne Zutun von Proteinen. So weit hergeholt schien sie plötzlich nicht mehr, die „RNA-Welt“-Hypothese. Seither wurden tausende RNAs mit katalytischer Aktivität entdeckt. Um sie von den proteinbasierten Enzymen zu unterscheiden, setzte sich bekanntlich die Bezeichnung „Ribozym“ durch.

Virtuelle RNA-Jagd

2010 machten sich Forscher um Ronald Breaker an der Yale University in New Haven erneut auf die Jagd nach bislang unentdeckten Ribozymen – und das ganz ohne Pipetten und Eppis. Stattdessen entwarfen Sie einen BLAST-basierten Algorithmus, der Sequenzdatenbanken durchforstet und ein Software-Tool namens CMfinder nutzt. Diese Methode berücksichtigt neben der reinen Sequenz auch die daraus vorhergesagten Sekundärstrukturen – und die sind für die katalytische Aktivität der Ribozyme von großer Bedeutung. Breaker und Co. suchten also RNA-Motive, deren Sekundärstrukturen derjenigen bekannter Ribozyme ähneln.

104 Treffer verbuchte das Team am Ende (Genome Biol. 11:R31). Darunter waren auch Strukturen, die an eine ägyptische Hieroglyphe namens „Twisted Flax“ (siehe Abbildung oben) erinnern und sich keiner bekannten Ribozymklasse zuordnen ließen. Breaker und Kollegen tauften ihre Neuentdeckungen daher auf den Namen „Twister-Ribozyme“ und stellten sie dieses Jahr in einem separaten Paper vor (Nat. Chem. Biol. 10(1):56-60). Immerhin ähnelte ihre Struktur aber den Hammerhead-Ribozymen, die sich an einer definierten Stelle selbst zerschneiden können. Die Autoren vermuteten daher, dass auch die Twister-Klasse diese Fähigkeit besitzt.

Um dies zu überprüfen, nahmen die Forscher dann doch die Pipette in die Hand und synthetisierten ihre Entdeckung in vitro. Wie erwartet, wurden die Sequenzen während der Transkription im Reagenzglas zerschnitten. Tauschten sie hingegen konservierte Basen aus, entstanden ungeschnittene RNA-Moleküle in voller Länge; die enzymatische Aktivität steht also tatsächlich mit der RNA-Sequenz in Zusammenhang. Den Beweis brachten schließlich zwei verschiedene Konstrukte – eines enthielt nur die enzymatische Domäne, das andere lediglich den Substratteil der Gesamt-RNA. Transkribierten die Forscher allein die Substrat-RNA, passierte nichts. Nur wenn auch die Enzymdomäne in der Lösung schwamm, wurde das Substrat gespalten – und zwar an derselben Position wie bei Transkription des vollständigen Twister-Ribozyms.

Auch in echten Zellen aktiv

Somit konnten die Autoren bestätigen, dass die theoretisch vorhergesagte Aktivität tatsächlich mit der chemischen Realität übereinstimmt. Doch spielt diese Funktion auch im lebenden Organismus eine Rolle? Diese Frage mussten Wespen der Gattung Nasonia beantworten, in denen Twister-Ribozym-Sequenzen entdeckt worden waren. Die Forscher isolierten RNA aus adulten Tieren, um sie dann in DNA umzuschreiben und zu analysieren. Nun versuchten sie, mit Forward- und Reverse-Primern vier der Twister-Ribozym-Kopien mittels PCR zu amplifizieren. Flankierten beide Primer die gesamte Ribozym-Sequenz, so lieferten drei der vier Moleküle kein PCR-Produkt – wie zu erwarten, wenn das RNA-Molekül sofort nach der Transkription zerschnitten wurde. Die PCRs gelangen hingegen immer, wenn die Primer lediglich einen kürzeren Abschnitt 3’ der Schnittstelle abdeckten. Offenbar schneiden also auch in mehrzelligen Eukaryoten zumindest einige Twister-Ribozyme sich selbst zurecht. Dass für eines der Twister-Transkripte auch komplette PCR-Kopien auftauchten, erklären die Autoren mit einer möglichen längeren Halbwertszeit des entsprechenden RNA-Moleküls.

Viele und überall

Inzwischen sind insgesamt etwa 2.700 Twister-Ribozyme bekannt. Sie sind in Bakterien, Pflanzen und Pilzen sowie in Insekten, Fischen und Würmern nachgewiesen. Kristallstrukturen zu diesen Molekülen liegen vor, und auch die chemischen Abläufe beim Kontakt zwischen katalytischer Domäne und dem zu spaltenden Abschnitt haben Forscher unter die Lupe genommen (PNAS 111(36): 13028-33). Chemisch und physikalisch sind katalytisch aktive RNA-Moleküle wie die Twister-Ribozyme also gut zu untersuchen.

Andere sich selbst zurechtschneidende („self-cleaving“) Ribozyme sind in Abhängigkeit bestimmter Metabolite aktiv und können so über die Beteiligung an negativen Feedback-Loops die Expression gewisser Gene mitregulieren. Über die biologische Relevanz der Twister-Ribozyme kann man jedoch bislang nur spekulieren. Dass sie keine Funktion in der Zelle haben und stattdessen nur egoistischer Junk sein sollen, erscheint jedoch unwahrscheinlich. Gerade weil Twister-Ribozyme quer durch die Organismenreiche verbreitet und konserviert sind, zudem nachweislich in lebenden Zellen transkribiert werden und katalytisch aktiv sind, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie irgendwelche sinnvollen Aufgaben erfüllen. Gut möglich also, dass noch großes „Forscherruhm-Potential“ in den Twister-Ribozymen schlummert.



Letzte Änderungen: 04.11.2014