Editorial

Einzelphoton-Wahrnehmung

von Mario Rembold (Laborjournal-Ausgabe 9, 2016)


Stichwort

Foto: Florian Stein

Unsere Sinnesorgane sind die Schnittstelle zur Außenwelt. Doch bis aus einem physikalischen Reiz eine Wahrnehmung wird, gibt es ein paar Hürden: Zunächst einmal muss der Reiz stark genug sein, um eine Sinneszelle zu stimulieren. Es folgt die Verrechnung der Signale, zum Beispiel um Kontraste zu schärfen und Rauschen zu unterdrücken. Das Gehirn bekommt also aufbereitete Daten – schließlich wäre es wenig sinnvoll, etwa der Brown’schen Molekularbewegung in der Cochlea zuzuhören. Eine Reizschwelle innerhalb der Sinneszelle entspricht also nicht zwangsläufig der Schwelle für bewusste Wahrnehmung.

In dieser Hinsicht ist das Auge besonders interessant. Schon ein einzelnes Photon kann Rhodopsin isomerisieren und damit das Membranpotential eines Stäbchens verändern. Arbeiten der letzten Jahrzehnte zeigen, dass wenige Photonen ausreichen, um einen bewussten Seheindruck zu generieren. Ob dafür aber schon ein einziges Photon genügt, da konnte man bislang nicht sicher sein. Es ist nämlich alles andere als trivial, einem Probanden ein einzelnes Photon ins Auge zu schicken. Bei klassischen Lichtquellen unterliegt die Menge der abgegebenen Photonen nämlich statistischen Schwankungen. Bei einem Experiment kann also niemand feststellen, in welchen Durchläufen wirklich genau ein Photon im Auge des Probanden ankommt.

Einzelne Photonen, paarweise

Eine Forschergruppe aus Wien und New York um den Physiker Alipasha Vaziri wollte sich mit diesen methodischen Einschränkungen nicht abfinden. In Nature Communications stellen die Tüftler jetzt Ergebnisse vor, wonach Menschen tatsächlich einzelne Photonen detektieren und wahrnehmen können (Vol. 7:12172). Vaziris Team erzeugt quantenverschränkte Photonenpaare, und zwar über spontane parametrische Fluoreszenz, kurz SPDC für spontaneous parametric down-conversion. Dabei schießt ein Laser energiereiche Photonen auf einen Kristall aus Bariumborat. In einigen Fällen absorbiert der Kristall ein Photon und erzeugt daraus zwei energieärmere Photonen, deren Gesamtenergie der des Ausgangsphotons entspricht.

Optische Komponenten in Vaziris Vorrichtung lenken nun das eine Photon ins Auge der Versuchsperson, das Zwillingsphoton hingegen landet auf einem Multi-Pixel-Sensor, einem EMCCD (electron multiplying charge-coupled device).

EMCCDs­ können einzelne Photonen messen und kommen normalerweise bei der Fluoreszenzmikroskopie oder in Nachtsichtgeräten zum Einsatz. Weil die SPDC-Photonen nur paarweise entstehen und jeweils das eine davon gewissermaßen als Reporter im EMCCD landet, kann der Experimentator später für die Auswertung die Ereignisse auswählen, bei denen der EMCCD genau ein Photon gezählt hat. Die Stärke des Lasers haben Vaziri und Kollegen so gewählt, dass nur selten mehrere Photonenpaare entstehen, aber trotzdem oft genug Einzelphotonenpaare generiert werden.

Proband im Dunkeln

Jede Versuchsreihe lief folgendermaßen ab: Der Proband setzt sich in eine Dunkelkammer, die Pupille seines rechten Auges schaut genau in die Vorrichtung, aus der vielleicht ein Einzelphoton herauskommt. Ein schwaches rotes Licht hilft beim Fokussieren, damit die Pupille genau ausgerichtet ist. Der Weg des Testphotons jedoch ist schräg zum Fixationsstrahl ausgerichtet, so dass solch ein Einzelphoton 23 Grad seitlich vom Punkt des schärfsten Sehens landet – dort, wo viele der lichtempfindlichen Stäbchen sitzen.

Der Proband initiiert jeden einzelnen Durchlauf selber. Dabei ertönen im Abstand von 800 Millisekunden zwei Tonsignale. Zeitgleich zu einem der beiden Signale springt die SPDC-Apparatur an; dabei könnte ein Einzelphoton entstehen und auf die Netzhaut treffen. Der Proband soll danach entscheiden, ob das Gerät beim ersten oder beim zweiten Signalton angesprungen ist. Und er muss auf einer dreistufigen Skala angeben, wie sicher er sich bei seiner Wahl ist. Gleich danach signalisiert ein Ton, ob er sich richtig entschieden hat oder daneben liegt.

Nachträglich selektierten die Forscher für die Auswertung die Durchläufe, in denen wirklich ein Photon – und nur genau ein Photon – erzeugt worden war. Um auszuschließen, dass die Probanden durch irgendwelche anderen Reize mitbekommen konnten, wann die SPDC-Vorrichtung aktiviert war, gab es Kontrollversuche mit geringer Laserleistung, bei denen nur sehr selten Photonen ausgesendet werden.

Genauer geht nicht

Es gab drei Probanden in der Studie, und die hatten insgesamt rund 30.000 Durchläufe erduldet. Darunter waren 2.420 Einzelphotonen-Events. In 51,5 Prozent der Fälle lagen die Probanden richtig. Sie sind damit etwas besser als ein Münzwurf. Interessant wird es, wenn man sich nur die Antworten anschaut, bei denen sich Versuchspersonen sehr sicher waren. Hier lagen sie in 60 Prozent der Fälle richtig, und das ist statistisch signifikant.

Spannend wäre, wenn auch andere Autoren diese Ergebnisse bestätigen; vielleicht mit mehr als nur drei Versuchspersonen. Doch auch wenn die Trefferquote im aktuellen Paper unterm Strich nicht weit vom Münzwurf entfernt ist, sollte man bedenken, dass ein Einzelphoton – selbst wenn es durch die Pupille geht – nicht zwangsläufig auf ein Rhodopsin-Molekül trifft. Vaziri und Kollegen schätzen, dass nur sechs Prozent aller Einzelphotonen-Ereignisse überhaupt zu einem lichtinduzierten Signal führen.

Es sieht also ganz danach aus, als könnte der Mensch tatsächlich einzelne Photonen bewusst wahrnehmen. Demnach können wir also „spüren“, wenn ein einziges unserer Rhodopsin-Moleküle seine Form verändert. Das wäre die Grenze des physikalisch Machbaren.



Letzte Änderungen: 14.09.2016