Editorial

Pathobiom

von Melanie Erzler (Laborjournal-Ausgabe 11, 2019)


Stichwort

(11.11.2019) Über 100 Jahre ist es her, dass Henle und Koch ihre Postulate zum Nachweis eines Krankheitserregers aufgestellt haben. Hier und da modernisiert blieb jedoch bis heute die Vorstellung erhalten, eine Erkrankung werde durch einen Erreger hervorgerufen. Doch wie man auch in der Genetik zunehmend feststellte, dass genetisch bedingte Krankheiten selten von einem einzelnen Gendefekt verursacht werden, so hat sich auch der Horizont der Infektionskrankheiten erweitert.

Immer häufiger zeigt sich, dass nicht ein einzelner Erreger für eine Erkrankung verantwortlich ist, sondern dass die Ursache vielmehr in einem Zusammenspiel verschiedener Pathogene liegt. Diese Gemeinschaft an Wirts-assoziierten Organismen – seien es nun Bakterien, Viren, Protisten oder andere – wird von einem sogenannten „Symbiom“ zum „Pathobiom“, wenn ihre Interaktion miteinander und mit dem Wirt nachteilig für dessen Gesundheitsstatus ist. Dabei besteht durchaus die Möglichkeit, dass ein Erreger als Hauptverursacher festgemacht werden kann. Oft aber begünstigt auch hier das Zusammenspiel mit anderen Symbionten seine Infektiosität.

Fließende Übergänge

Das Mikrobiom des Menschen gerät bei vielen Erkrankungen ins Ungleichgewicht – man spricht dann von einer Dysbiose. Die Ursachen für den Übergang des Mikrobioms in ein Pathobiom sind vielfältig: Temperaturänderungen, Toxine, andere Mikroben, Resistenzen, aber auch der Ernährungs- und Fortpflanzungsstatus des Wirts oder Stressoren aus der Umwelt können eine Rolle spielen. Zeichen für eine Dysbiose ist häufig eine im Vergleich zum physiologischen Mikrobiom verringerte Diversität der besiedelnden Bakteriengemeinschaft, was die Invasion pathogener Keime begünstigen kann.

Dabei ist das Pathobiom alles andere als statisch. Seine Zusammensetzung hängt von der anatomischen Lokalisation ab und kann auch von Umweltfaktoren, beispielsweise dem Lebensraum des Wirtsorganismus, beeinflusst sein. Auch nach dem Übergang zum Pathobiom verändert sich dieses weiter über den Erkrankungszeitraum hinweg. In diesem Szenario können durchaus auch physiologisch besiedelnde Organismen Teil des Pathobioms werden. Durch bestimmte Signale aus der Umgebung, Gentransfer mit anderen Organismen oder auch durch eine Veränderung des Zahlenverhältnisses bestimmter Spezies werden aus physiologischen plötzlich opportunistische Keime.

Ein schönes Beispiel, wie eine Erkrankung sowohl auf dem klassischen „ein-Pathogen-eine-Krankheit“-Weg als auch durch das Zusammenwirken in einem Pathobiom entstehen kann, findet sich bei der nekrotisierenden Weichteilinfektion (NSTI). Gänzlich unschön ist dabei die Krankheit an sich: Die bakterielle Infektion verläuft – bei zu später Diagnose und Therapie – immer noch in dreißig bis siebzig Prozent der Fälle tödlich. Entweder wird sie durch einen einzelnen Hauptkeim verursacht (häufig Streptococcus pyogenes) oder durch eine Gemeinschaft aus verschiedenen aeroben und anaeroben Bakterien. Da die Erforschung eines einzeln agierenden Krankheitserregers in der Regel einfacher ist, als das Zusammenspiel mehrerer Beteiligter aufzudröseln, ist S. pyogenes als Krankheitsursache recht gut erforscht. Zu den polymikrobiellen Erregern gibt es hingegen wenige Daten.

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Streptococcus pyogenes ist dafür bekannt, nekrotisierende Weichteilinfektionen auszulösen – doch das Bakterium muss nicht der alleinige Übeltäter sein. Foto: NIH

Um schnellstmöglich eine zielgerichtete Therapie einzuleiten, sollte der Erreger bekannt sein. Zur besseren Charakterisierung der verschiedenen Pathomechanismen haben Mikrobiologen um Dietmar Pieper vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung die mikrobielle Gemeinschaft mittels 16S-rRNA-Sequencing untersucht und die Daten mit einer Transkriptionsanalyse von Wirt und Pathogenen integriert (Nat. Commun. 10: 3846).

Gefährliches Zusammenspiel

Während S. pyogenes bereits bekannte Virulenzfaktoren zeigte, stellten die Forscher fest, dass die polymikrobiellen Erreger in Abhängigkeit vom Infektionsort (zum Beispiel Extremitäten, Kopf-Hals-Region oder anogenitaler Bereich) sehr heterogen in ihrer Zusammensetzung waren. Im Vergleich mit den Streptokokken wiesen sie folglich auch eine größere Diversität an funktioneller Spezialisierung und Virulenzfaktoren auf. Interessanterweise konnten die Wissenschaftler feststellen, dass sich die Virulenzfaktoren der einzelnen Erreger funktionell ergänzten – deren Zusammenspiel könnte die Infektion vermutlich erst ermöglichen.

Doch nicht nur die Erreger an sich unterschieden sich in der Transkriptionsanalyse. Trotz ähnlicher Symptomatik reagierte das Immunsystem der Patienten anders auf die Infektion mit S. pyogenes als auf die mit anderen Pathogenen. Bei den Streptokokken-Infektionen erfolgte eine verstärkte Ausschüttung Interferon-abhängiger Mediatoren (CXCL9, CXCL10 und CXCL11). Dies wollen sich die Forscher nun für eine schnellere diagnostische Abklärung zunutze machen. Insgesamt zeigte sich: Trotz ähnlicher klinischer Symptome unterscheidet sich die Pathophysiologie von mono- und polymikrobieller NSTI stark und sollte deshalb möglichst gezielt diagnostiziert und therapiert werden.



Letzte Änderungen: 10.11.2019