Editorial

Phylosymbiose

von Juliet Merz (Laborjournal-Ausgabe 4, 2020)


(06.04.2020) Das Mikrobiom eines Wirtes umfasst bekanntermaßen alle auf oder in ihm lebenden Mikroorganismen. Dazu zählen neben den Bakterien und Archaeen auch Protisten, Pilze oder Viren. Für Forscher ist die mikrobielle Lebensgemeinschaft deshalb so interessant, weil sie zur Gesundheit des Wirtes maßgeblich beiträgt.

Umso spannender ist die Frage, welche Faktoren das Mikrobiom eigentlich beeinflussen. Nicht nur beim Darmmikrobiom gilt: Ernährung, Medikamente und Umwelteinflüsse entscheiden, welche Mikroben in der vielzelligen WG wohnen. Doch die Zusammensetzung des Mikrobioms scheint auch durch einen anderen Faktor bestimmt zu sein: die Phylogenie, also Stammesgeschichte des Wirtes.

Die beiden US-Amerikaner Robert Brucker und Seth Bordenstein von der Vanderbilt Universität in Nashville, Tennessee, veröffentlichten dazu 2011 eine passende Studie. In dieser hatte das Forscher-Duo in insgesamt drei unterschiedlichen Arten der Parasitoidwespen-Gattung Nasonia untersucht, wie sich ihr Darmmikrobiom bei gleichen Ernährungs- und Umweltbedingungen im Laufe der Insektenentwicklung verhält (Evolution, doi: 10.1111/j.1558-5646.2011.01454.x). Dabei machten die Biologen eine erstaunliche Entdeckung: Im Larvenstadium starteten alle drei Nasonia-Arten mit dem gleichen Set simpler Mikroben. Je älter die Insekten wurden, desto mehr nahm der Artenreichtum ihres Mikrobioms zu, sodass sich schon im Puppen- und auch später im Erwachsenenstadium die Zusammensetzung der Darmmikroben messbar zwischen den Arten unterschied – und das, obwohl sie stammesgeschichtlich eng miteinander verwandt sind. Die beiden US-Forscher schlossen daraus, dass die Phylogenie des Wirtes sein Darmmikrobiom formt.

In einer zwei Jahre später erschienenen Publikation gaben Brucker und Bordenstein ihrer Hypothese einen Namen: die Phylosymbiose (Science 341: 667). Dass sich die mikrobielle Zusammensetzung sogar bei nahe verwandten Arten unterscheidet, so vermuten die Autoren, sei auf die sich schnell entwickelnden Wechselwirkungen zwischen dem Wirts-Immunsystem und den Mikroben zurückzuführen. Aber auch die sich von Art zu Art teilweise langsam verändernde Darmphysiologie könnte die Phylosymbiose erklären.

Brucker, Bordenstein und drei weitere Kollegen untermauerten ihre Hypothese 2017 mit einer Studie, in der sie die Mikrobiome von insgesamt 31 Tierarten aus fünf Gruppen verglichen, darunter Peromyscus-Hirschmäuse, Drosophila, Mücken, Nasonia-Wespen und wilde Menschenaffen. Dabei stieß das Team auf drei spannende Erkenntnisse. Nummer eins: Wie zu erwarten war, ist die intraspezifische Mikrobiom-Variation geringer als die interspezifische. Brucker, Bordenstein et al. war es sogar möglich, anhand der Mikrobengemeinschaft die Wirtsart mit hoher Genauigkeit vorherzusagen.

Nummer zwei: Die Unterschiede der Mikrobiome spiegelten sich im Stammbaum der einzelnen Gruppen wider.

Schwer verdaulich

Für die dritte Erkenntnis untersuchte die Gruppe, wie die Peromyscus-Hirschmäuse und Nasonia-Wespen auf die Mikroben ihrer „Gattungsgenossen“ reagierten. Dazu sammelten die Forscher Kot der im Labor gehaltenen fünf Hirschmaus-Arten, zermahlten die Proben einzeln und mischten sie jeweils einer anderen Hirschmaus-Art unter ihr Futter. Bei den Nasonia-Larven wurden die Mikrobiom-Suspensionen, welche die Forscher aus ihren „Gattungsgenossen“ per Filtration und Zentrifugation gewonnen hatten, in die Transwell-Kammern gegeben, in denen die Larven schwammen. Das Ergebnis: Die Hirschmäuse vertrugen die Transplantation interspezifischer mikrobieller Gemeinschaften überhaupt nicht und hatten mit einer verringerten Verdaulichkeit ihres Futters zu kämpfen. Bei den Wespen sank sogar ihre Überlebensrate.

In der Phylosymbiose-Forschung bislang völlig außer Acht gelassen wurden Wirbeltiere jenseits der Säugetiere. Das wollte eine US-amerikanische Gruppe schleunigst ändern. Unter der Leitung der Ökologin Valerie McKenzie von der Colorado Universität in Boulder und der Mikrobiom-Koryphäe Rob Knight von der Universität von Kalifornien in San Diego nahm sich das Team die Darmmikrobiome von insgesamt 900 Wirbeltierarten vor, darunter 315 Säugetiere und 491 Vögel (mBio, doi: 10.1128/mBio.02901-19). Ein großes Netzwerk von Forschern und Zoo-Direktoren entnahm dafür Fäkalproben von Tieren aus Zoos, Reservaten sowie Wildtierpopulationen, von gefrorenen Stuhlproben aus Museumssammlungen oder entleerte den Darminhalt von frisch getöteten Vögeln. Die Sequenzierung orientierte sich an Protokollen aus dem Earth Microbiome Project, das 2010 gegründet wurde, um die mikrobielle Gemeinschaft der Erde zu erkunden. Knight war schon damals Teil des Projektes.

Die Ergebnisse der mBio-Studie verblüfften. Doch zunächst konnten die Autoren das Prinzip der Phylosymbiose bei den nichtfliegenden Säugetieren weiter bestätigen: Die mikrobielle Gemeinschaft spiegelte sich in der Phylogenie der Wirte wider und wurde außerdem durch die Ernährung beeinflusst. Nicht so bei den fliegenden Wirbeltieren. Bei den Vögeln korrelierten die Darmmikrobiome nur sehr schwach mit der Ernährung oder der Phylogenie des Wirtes. Und erstaunlicherweise beherbergten Fledermäuse, die einzigen fliegenden Säugetiere, vogelähnliche Darmmikrobiome. Eine Korrelation zur Ernährung des Wirtes und der Phylogenie gab es kaum.

Die Autoren schreiben in der Studie: „This suggests that host-gut microbiome phylosymbiosis depends on factors convergently absent in birds and bats, potentially associated with physiological adaptations to flight.“ McKenzie, Knight und Co. vermuten, dass die Anpassung an den Flug langjährige Beziehungen zwischen Wirten und Mikroben unterbricht. Wie genau es zu diesen Beobachtungen kommt, können sich die Forscher bislang noch nicht erklären.

Doch die Erkenntnisse stellen eine Frage in den Raum, die noch nicht oft gestellt wurde: Was sind die evolutionären und metabolischen Kosten für die Aufrechterhaltung eines bestimmten Mikrobioms?



Letzte Änderungen: 06.04.2020