Editorial

Senolytika

von Juliet Merz (Laborjournal-Ausgabe 4, 2021)


(08.04.2021) Wenn Zellen altern, nennt man das Seneszenz. Was dabei passiert und mit welchen Erkrankungen Seneszenz in Verbindung steht, haben wir uns in der vergangenen Ausgabe von Laborjournal ausführlich angeschaut (Stichwort „Seneszenz“, Heft 3/21, Seite 28).

Kurz zur Erinnerung: Seneszente Zellen treten in einen Zustand ein, der einem Tiefschlaf ähnelt, und werden auch als Zombie-Zellen bezeichnet. Seneszente Zellen mit dem Seneszenz-assoziierten sekretorischen Phänotyp (SASP) teilen sich nicht mehr, produzieren schädliche Giftcocktails aus beispielsweise entzündungsfördernden Stoffen, mit denen sie sich vor dem Immunsystem schützen sowie umliegendes Gewebe schädigen, und unterdrücken den programmierten Zelltod, die Apoptose. Viele im Alter auftretenden Erkrankungen wie Demenz, Arteriosklerose oder Diabetes sind mit seneszenten Zellen verknüpft. Die Medizin hat deshalb großes Interesse, die schädlichen Tiefschläfer aus dem Körper zu räumen.

Dabei helfen sollen sogenannte Senolytika. Der Begriff setzt sich aus den beiden Wörtern Seneszenz und Lyse zusammen. Senolytika sind Medikamente, die selektiv die Apoptose seneszenter Zellen fördern.

Im Kampf gegen Zombie-Zellen

Doch die Entwicklung senolytischer Medikamente ist nicht einfach, wie das Beispiel von UBX0101 zeigt. Das vermeintliche Senolytikum betrat im Jahr 2018 die Bühne der klinischen Testung. Das Unternehmen Unity Biotechnology hatte eine Phase-2-Studie beauftragt, in der Patienten mit schmerzhafter Arthrose im Knie eine Injektion mit einem Placebo oder dem Wirkstoff-Kandidaten erhielten. Das kleine Molekül floppte jedoch, denn es konnte sich nicht gegen seinen Placebo-Kontrahenten durchsetzen. Nach zwölf Wochen mussten die Studienleiter enttäuscht festhalten, dass UBX0101 bei der Gelenkerkrankung nicht wirkt.

Vollkommen wirkungslos ist UBX0101 trotzdem nicht – und hier könnte der Grund liegen, warum das Molekül eben nicht bei einer Arthrosetherapie hilft. Denn UBX0101 inhibiert den negativen p53-Regulator MDM2, der für die Ubiquitinierung und den Abbau proapoptotischer Tumorsuppressoren verantwortlich ist. Die Hemmung von MDM2 kann also wahllos das Abtöten von Zellen begünstigen, die nicht seneszent sind. Unity Biotechnology hatte versucht, diese Form der Toxizität durch eine lokale Injektion zu umgehen. Geklappt hat das nicht.

Andere Kandidaten sind da vielversprechender – etwa das senolytische Wirkstoff-Duo Dasatinib und Quercetin. Ein Team um den Gerontologen James Kirkland von der Mayo Clinic in Rochester, USA, war auf die senolytische Wirkung der Medikamente gestoßen, die in der Medizin eigentlich eine ganz andere Aufgabe haben. Dasatinib ist ein Proteinkinaseinhibitor, wird unter dem Namen Sprycel vertrieben und dient als Arznei gegen chronische myeloische Leukämie. Quercetin hingegen ist ein Flavonoid, das etwa in der Schale von Obst und Gemüse vorkommt und als Nahrungsergänzungsmittel verkauft wird.

In einer kürzlich erschienenen Studie konnten Kirkland und Co. in einem frühzeitig alternden Mausmodell die senolytische Wirkung von Dasatinib-Quercetin untermauern und auch die Wirkweise entschlüsseln (Aging Cell, doi: 10.1111/acel.13296). Die beiden Stoffe deaktivieren die sogenannten Senescent Cell Anti-Apoptotic Pathways, welche die Zombie-Zellen eigentlich vor der Apoptose schützen.

Mittlerweile konnten sich Therapieansätze mit dem Wirkstoff-Duo als Erfolg versprechend beweisen, etwa bei der Behandlung von altersbedingten Nieren-, Lungen- oder Hirnerkrankungen. Aktuell befinden sich die beiden Kandidaten im klinischen Test, um die Knochengesundheit älterer Patientinnen zu verbessern.

In besagter Studie befindet sich noch ein weiteres Senolytikum namens Fisetin. Auch Fisetin ist ein natürlich vorkommendes Flavonoid, das in geringen Konzentrationen in vielen Obst- und Gemüsesorten eingelagert ist, am meisten jedoch in Erdbeeren. Fisetin ist in der Biomedizin keine Unbekannte: Die Polyphenolverbindung konnte in präklinischen Studien Brustkrebszellen in den „Suizid“ treiben sowie im Tiermodell unterschiedliche chronische Erkrankungen lindern.

Es gibt allerdings auch senolytische Ansätze auf Nukleinsäure-Basis. Das Unternehmen Oisín Biotechnologies setzt auf ein DNA-Konstrukt, das seneszente Zellen nicht nur erkennen, sondern auch zerstören soll. In der Theorie sieht das folgendermaßen aus: Seneszente Zellen exprimieren ein für den Zellzyklus wichtiges Protein namens CDK-Inhibitor 2A beziehungsweise p16 in großen Mengen, das auch als guter Biomarker für zelluläre Seneszenz gilt. Das Oisín-Plasmid codiert das Suizid-Gen Caspase-9, dessen Aktivität durch einen Promotor für p16 reguliert wird.

In der Diskussion um senolytische Medikamente bei altersbedingten Erkrankungen kommt aber auch immer wieder eine andere Frage auf: Wenn Senolytika Altersbeschwerden bekämpfen können, können sie dann auch den Alterungsprozess ganz aufheben? 2018 veröffentlichten die Mayo-Clinic-Forscher Kirkland und Tamara Tchkonia eine Studie, die diese Frage teilweise beantwortet (Nat. Med. 24(8):1246-56): Der senolytische Cocktail Dasatinib plus Quercetin war tatsächlich in der Lage, das Leben gesunder, natürlich gealterter Labormäuse zu verlängern.

Unsterblich durch Senolytika?

Könnte man senolytische Medikamente also auch prophylaktisch einnehmen und damit quasi ewiges Leben erlangen? Kirkland hat eine klare Antwort auf diese Frage, wie er im Interview mit dem Max-Delbrück-Centrum in Berlin verrät: „Auf keinen Fall. Seneszente Zellen sind nicht nur schädlich. Sie spielen eine Rolle in verschiedenen Phasen der Entwicklung, sie bauen Gewebe um, sind wichtig für die Wundheilung, kommen in der Plazenta vor und sind an Geburten und anderen wichtigen Prozessen beteiligt.“ Es gilt sie also nur dann loszuwerden, wenn sie stören – etwa bei einer Bestrahlung oder Chemotherapie, nennt Kirkland zwei Beispiele. Denn dabei können Krebszellen nicht nur sterben, sondern auch altern. „Und dann können sie zu Zeitbomben werden. Manchmal verwandeln sie sich in noch bösartigere und medikamentenresistente Krebszellen zurück.“