Editorial

Halluzinationen

Erlebnisse einer TA (22)

Nicole Gürth


Die TA

„Ich glaube nur, was ich sehen kann“, dieser Satz wird gerne zitiert, wenn es um irdische und geistliche Zwiespältigkeiten geht, doch was geschieht, wenn man Selbstgesehenes nicht glaubt? Man treibt eine TA in den Wahnsinn.

Mikroskop-Streik

Wochenlang saß ich an einem Stereofluoreszenzmikroskop, um viele viele Koloniebildungstests im Hellfeld auszuzählen und zu differenzieren. Eines schönen Tages kam ich zu meinem Arbeitsplatz und schaltete wie gewohnt das Mikroskop an. Für einen kurzen Moment erschien das Licht – und war wieder weg.

In meinem jugendlichen Leichtsinn stellte ich die Diagnose: Glühbirne defekt. Da es sich um ein Gemeinschaftsgerät handelte, schickte ich eine freundliche E-Mail an die Mikroskop-Verantwortliche und wartete ab.

Sie antwortete, das Mikroskop sei nicht defekt, es sei nur verstellt. Ich zweifelte an meinen Augen – hatte ich Halluzinationen? Gott sei Dank stellte sich heraus, dass die Verantwortliche ein anderes Mikroskop meinte. Sie versprach, sich des Problems anzunehmen und den Haustechniker zu aktivieren.

Der Hellfeld-Irrtum

Nach einigen Tagen (ich war überrascht, wie schnell das ging) teilte man mir mit, ich könne gar kein Hellfeldlicht gesehen haben, dieses Mikroskop habe nur eine Fluoreszenzlampe.

Ich war baff.

Also doch: Ich hatte wochenlang etwas gesehen, was gar nicht existierte.

Ein klägliches: „Aber ich ..., äh ..., habe doch Licht gesehen“, beendete die Verantwortliche mit: „Ich war nicht dabei.“

Frei nach dem Motto „Kommt Zeit, kommt Rat“ suchte ich mir ein anderes Mikroskop, mit dem die Auswertung, wenn auch umständlicher, fürs Erste funktionierte.

Wochen später inspizierten mein Chef und ich das Mikroskop höchstselbst und mit höchster Vorsicht. Uns fiel am Stativ ein Stromkabel auf. Das Stromkabel für die Fluoreszenzlampe führte von einem Vorschlaggerät zum Kopf des Mikroskops.

Wozu also ein Stromkabel am Stativ? Welche Funktion könnte es haben, wenn nicht diejenige, die Hellfeldlampe zu versorgen?

Wo Kabel, da auch Strom

Zur Sicherheit rief ich bei der Herstellerfirma an und ließ mich über den Sitz der Lampen aufklären. Ein netter Mann stellte mir einige Fragen. So wollte er wissen, wie hoch das Stativ sei. Da das Mikroskop sich ein Stockwerk höher befand konnte ich nur schätzen: „Eine Frauenhandbreite“. Der Mann lachte und meinte, das Mikroskop habe ganz sicher eine Hellfeldlampe, wozu denn sonst das Stromkabel?

Meine Worte!

Ich fragte, ob die Firma jemanden kommen lassen könnte, wenn man mir hier kein Gehör schenken sollte. Kundenfreundlich bejahte er. Doch es würde uns teuer zu stehen kommen, und es wäre peinlich für unsere Haustechnik.

Ich bedankte mich und freute mich still und heimlich. Es ist wunderschön, im Recht zu sein.

Die Birne war‘s, und nicht die Firma

Am anderen Tag kam der Haustechniker. Zuerst wollte er an der Fluoreszenzlampe schrauben, doch freundlich und untertänig verwies ich auf die Auskünfte der Firma: „Die haben gesagt, die Hellfeldlampe muss im Stativ sein“. Genervt öffnete er den Boden des Mikroskops und – wer hätte es gedacht – eine kleine defekte 20 Watt-Glühbirne schaute trübe in die Welt.

Murrend und die Schuld auf die Firma schiebend, setzte er eine neue Birne ein und schraubte alles wieder zusammen. Ich habe gut aufgepasst und werde mir in Zukunft selbst zu helfen wissen.



Letzte Änderungen: 01.08.2018