Editorial

Viren überall

Erlebnisse einer TA (64)

Annette Tietz


Die TA

Heute war es soweit, der große Tag: Die Ergebnisse unseres Versuchs lagen vor. Ein heikles Experiment mit Retroviren. Seit Tagen konnte ich an nichts anderes mehr denken. Ich schlich täglich um den eigens geputzten Brutschrank herum, um immer wieder einen Blick in meine Petrischalen zu werfen: Die Zellen sahen infiziert aus, alles klar. Der Zellrasen war vor der Transfektion schön dicht gewesen und außer Viren schien auch nichts anderes darin zu wachsen.

Ich war stolz wie Bolle. Vorsichtshalber klebte ich noch einen Zettel mit der Warnung: “Vorsicht, Retroviren!“ an den Brutschrank. Nichts sollte meine kleinen Gesellen daran hindern, das zu tun, was ich von ihnen wollte.

Gestern berichtete ich stolz meiner Freundin aus der Buchhaltung von unserer Versuchsreihe. Als sie jedoch nachfragte, ob Retroviren „etwas mit Schlaghosen und Dauerwelle zu tun“ hätten, verlagerte sich das Gespräch in Richtung „Dirty Dancing“.

Virenexperimente ...

Nach einer unruhigen Nacht war es jetzt also soweit. Die Ergebnisse warteten hinter der Labortür. Aber als ich Richtung Zellkulturlabor schlich, wurde meine Aufmerksamkeit von einem roten Zettel abgelenkt: „Achtung! Viren!“ Ja, wer hätte DAS gedacht? „Heute 14 Uhr aus aktuellem Anlass Meeting im Konferenzraum.“ Oha, so wichtig nahm es unser Chef. Er konnte es also auch kaum noch abwarten, der gesamten Abteilung vom Ausgang unseres Experiments zu berichten.

Bevor ich aber weiter darüber nachdenken konnte, warf ich den ersten Blick durchs Mikroskop. Ich hielt vorsichtshalber mal die Luft an, man weiß nie!

So gebannt bestaunte ich das Innenleben meiner Petrischalen, dass ich meine Kollegin kaum bemerkte, die leise schimpfend ins Labor kam. „Auch das noch, 14 Uhr passt mir ja überhaupt nicht rein heute. Weißt Du, worum‘s geht?“ Ich sagte, ich hätte nichts gehört und setzte einen besonders vertieften und konzentrierten Blick auf, schaute nur kurz zu ihr hoch und grüßte schnell, bevor ich mit meiner Auswertung weiter machte. Ich wollte schließlich gleich, wenn der Chef kam, die Ergebnisse vorlegen. Glücklicherweise war er heute noch gar nicht so früh da, so konnte ich in aller Ruhe die Auswertung machen und zusammenstellen.

Alles sah richtig gut aus. Eine Menge Arbeit kam auf mich zu, aber so soll es ja sein.

... mit Computern und Chefs

Als alles protokolliert war, atmete ich tief durch, stapfte Richtung Chefs Büro und klopfte. Das Klopfen verhallte im leeren Raum. Er war immer noch nicht da. Ich musste mich wohl in Geduld üben. Was ich überhaupt nicht kann. Hat irgendwas mit Sternzeichen und Aszendent zu tun.

Nach der Mittagspause huschte dann mein Chef im Abteilungsflur an mir vorbei: Er sah etwas mitgenommen aus, aber ich wollte nicht nachfragen. „Du, wegen den Ergebnissen, das muss leider warten bis nach dem Meeting. Wenn ich dann noch fit genug bin. Aber eventuell gehe ich danach gleich wieder nach Hause, mich hat es voll erwischt: Grippe! Ich bin eigentlich nur wegen dem Meeting gekommen.“

Jetzt wurde mir zwar einiges klar, aber warum zitiert er uns gleich alle zusammen und beraumt ein Meeting ein – nur wegen einer Grippe? Und ich dachte, naiv wie ich bin, es ginge um die Ergebnisse unseres Versuchs. Gut, dass ich das heute morgen meiner Kollegin gegenüber nicht laut ausgesprochen habe...

Um 14 Uhr saßen wir also alle zusammen und lauschten unserem Chef. „Einige von euch haben es ja wahrscheinlich schon gehört. Ich halte es für wichtig, euch gleich zu informieren. Das Rechenzentrum der Universität hat heute morgen eine Virenwarnung herausgegeben: Es wurde ein Trojaner verschickt, der unter dem Betreff ‚wichtige Information zu Vertragsverlängerungen‘ getarnt ist.“

Neun Jahre Forschung vernebeln einem offenbar das Gehirn. Viren, wohin man schaut. Vor meinem geistigen Auge tanzten die Fragezeichen Samba.

Welches Virus hättense denn nun gerne?



Letzte Änderungen: 01.08.2018