Editorial

Sammeltrieb

Erlebnisse einer TA (67)

Annette Tietz


Die TA

Menschen, so modern und unabhängig sie sich auch fühlen mögen, sind der Zeit der Jäger und Sammler immer noch eng verbunden. Die uralten Reflexe brechen oft völlig unerwartet hervor, etwa auf Briefmarkenbörsen oder beim Anblick außergewöhnlicher Bauchnabelflusen. Ich war bislang von diesem Sammelvirus verschont geblieben. Staubfänger kamen mir eh nicht ins Haus und auch die übrigen Dinge wollte ich – wenn überhaupt – nur in kleinen Mengen besitzen. Bisher.

Flauschige Kundenfänger

Als ich neulich im Labor eine neue Packung Spitzen öffnete, schaute mich ein kleines, weißes Kaninchen mit großen, unschuldigen Augen an. Ich schaute zurück, etwas verwirrter als das gemalte Fellbüschel auf seinem Aufkleber. Wie kam ich wohl zu der Ehre seiner Bekanntschaft? Die Erklärung stand auf dem Schild, das das Karnickel in seinen Pfötchen hielt: „Sammle mich und tausche mich und meine Freunde gegen Sammelpreise ein.“ Darunter eine Internetadresse, auf der man diese gleich anschauen und begehren konnte. Ich war noch nicht überzeugt, wollte den kleinen Hoppler jedoch nicht so alleine in der Verpackung zurücklassen und in den Müll werfen. Am Ende hatte ich noch Greenpeace oder den WWF hier stehen! Also lehnte ich Kaninchen samt Sammelcode gegen mein Telefon.

Als mein Chef am Nachmittag kurz bei mir vorbeischaute, lächelte er mich nur schief an und ging dann weiter. Später wurde mir klar, dass er ja nix von der Sammelaktion wusste und sich wahrscheinlich Sorgen um meinen Geisteszustand machte. Hallo Fettnäpf­chen! Und was würde er erst sagen, wenn es immer mehr Kaninchen würden? Ich entschied, meinen flauschigen neuen Freunden ein diskreteres Plätzchen in einer Schublade einzurichten.

Die nächsten Wochen verbrachte ich damit, sämtliche Kartons und Kisten auf Kaninchenbefall zu prüfen. Nun ja, meine Leidenschaft war entflammt. Einige Zeit später – meine Schubladenbewohner hatten sich vermehrt wie die Karnickel – beschloss ich, dass meine Sammlung nun groß genug war und machte mich ans Eintauschen. Da gab es gleich mehrere Kategorien: Für zu Hause, für die Freizeit, für Outdoor, fürs Labor. Mein Gewissen meldete sich. Hätte ich die anderen fragen sollen, ob sie auch Kaninchen sammeln wollten? Und dann? Hätten wir unsere gemeinsam gesammelten Tierchen gegen eine Klimaanlage eingetauscht? Mir brach prompt der Schweiß aus.

Schließlich entschied ich mich für die Ego-Variante – die anderen hatten die Sammelaktion bestimmt gar nicht mitbekommen. Ein Kuchen-Back-Set mit Backbuch in der „Für zu Hause“-Kategorie hatte mein Gier geweckt. „50 leckere Kuchen, schnell gemacht, gelingt immer“? – Das klang doch gut! Allein, mir fehlte exakt ein Schnuffeltierchen, um in den Besitz des immer funktionierenden Kuchenbackbuchs zu gelangen. Zudem machte mich ein rot blinkendes Banner darauf aufmerksam, dass die Sammelaktion heute endete. Wo bekam ich nur ein Häschen her?

Editorial

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Ich durchwühlte im Zentrallager alle Kisten, doch ohne Erfolg. Nur eine hasentechnisch vielversprechende war darunter, doch – Entsetzen! – der Hase war bereits ausgeschnitten. Ich fand ihn auf dem Schreibtisch einer Kollegin, die sich, wie sie mir erklärte, spontan in ihn verliebt hatte. Ich schwatzte ihr den Sammelcode ab und kam so endlich in den Besitz meines neuen Backbuches. Ein paar Tage später brachte ich meinen ersten Kuchen (blitzschnell gebacken und natürlich super gelungen, versteht sich!) ins Labor mit. Alle waren begeistert. War zwar keine Klima, aber das wusste ja niemand.



Letzte Änderungen: 01.08.2018