Editorial

Ausweichverfahren

Erlebnisse einer TA (74)

Annette Tietz


Die TA

Ich bekomme recht häufig Besuch im Labor. Meistens zu unpraktischen Zeiten oder Themen. Über netten Besuch freue ich mich ja immer, zum Beispiel wenn mir jemand einen Kaffee anbietet, mich an die Geburtstagsparty eines Kollegen im Kaffeeraum erinnert oder mir den unterschriebenen Urlaubsantrag hinlegt. Ja, es gibt durchaus nette Anlässe, das Laborgeschehen zu stören.

Leider sind die unnetten in der Überzahl, wie dieser Besuch vor kurzem mit wirklich unpraktischen Absichten und Folgen: Zwei Männer klopften an die Labortür und kamen mit Armen voll Papieren und Plänen auch gleich herein. „Ja, hier sind wir richtig, Labor 2114.“

Vor meinem geistigen Auge erschienen Bilder von vor ein paar Jahren, als ständig Männer auf Leitern stiegen, um ihren Kopf in die Deckenverkleidung zu stecken. Damals sollten sie die Rohre der Klimaanlage aus den angrenzenden Räumen über unserem Labor verbinden. Sämtliche Bestechungsversuche meinerseits, einen Klima-Abzweig zu uns zu legen, blieben damals erfolglos.

Nichts Gutes im Schilde

Ich schaute den beiden Besuchern daher misstrauisch zu, wie sie den vermutlichen Verlauf von irgendwelchen Rohren unter der Deckenverkleidung diskutierten. Ich wagte nicht zu fragen, was hier bald los sein würde, und tat so, als ginge es mich nichts an. Das funktionierte exakt eine Minute. „Nein, kein Problem, das Labor kann, solange die Ausbesserungsarbeiten dauern, als Lager benutzt werden, die Angestellten ziehen dann in ein anderes Labor um.“

Haha, witzig! Obwohl, für einen Scherz klang das recht entschieden. Ich warf einen Blick rüber zu den beiden, was dem einen Gelegenheit gab, den Retter in der Not zu geben: „Während der Arbeiten bekommen Sie natürlich ein Ausweichlabor zur Verfügung gestellt.“ Ich starrte ihn an. „Soweit uns bekannt ist, wären im Raum 2118 noch Kapazitäten frei.“ Ich ließ einen Mundwinkel absacken. „Ich hab das auch schon Ihren Kollegen von nebenan mitgeteilt.“ Meine Gesichtszüge standen kurz vor der Entgleisung. „Sie müssten sich dann eben arrangieren.“ Ich zuckte zusammen. Der Arme kam so langsam ins Schleudern. „Es ist ja auch nicht für sehr lange. Wenn die Arbeiten wie geplant verlaufen, dann sind wir hier in vier bis sechs Wochen durch.“ Ich stellte das Atmen ein. „Sie wussten wohl nichts von den Ausbesserungsarbeiten?“ Bingo!

Mein Blick schweifte über den Flur zu Raum 2118, wo eine Sterilbank stand, die ich mir demnächst mit sechs Kollegen teilen durfte. Aber wenn alles nach Plan lief, waren es ja nur vier bis sechs Wochen. Harr! „Wissen Sie, die Ummantelungsmaterialien, die damals für die Abluftrohre verwendet wurden, könnten gesundheitsschädlich sein und beim Auswechseln könnten giftige Dämpfe entstehen. Deswegen werden Sie für die Dauer des Austauschs ausquartiert. Es dient nur Ihrem Schutz.“

Hat eigentlich schon mal jemand die Dämpfe gemessen, die sieben Menschen in einem 18 m2-Labor bei Dank fehlender Klimaanlage heimeligen 30 °C produzieren? Mich schauderte. Ich begann, die ungewisse Giftigkeit der Auswechsel-Dämpfe gegen das bevorstehende Gedränge in 2118 abzuwägen... Gab es dafür eigentlich keinen Schutzbeauftragten oder so?

Um die Sache kurz zu machen: Die nächsten Woche praktizierten sieben Menschen sehr enge Zusammenarbeit mit hohem Kuschelfaktor, auf den jeder gerne verzichtet hätte. Natürlich lief nicht alles nach Plan und wir genossen unsere Labor-WG zwei Wochen länger als ursprünglich angedroht.

Auch nach mehrmaligem Nachfragen beteuerte mein Chef, dass es wirklich keine Klausel im Vertrag gab, die für eine entsprechende Entschädigung aufkomme. Schade eigentlich.



Letzte Änderungen: 01.08.2018