Editorial

Das spektakuläre Einhorn

Erlebnisse einer TA (143)

Maike Ruprecht


Die TA

Zum Jahresende, wenn die Unternehmen und Banken ihren Jahresabschluss haben, gibt es bei uns im Institut Sicherheitsunterweisungen. Damit keiner vergisst, wie Labor geht.

Dieses Jahr notgedrungen per Videokonferenzen.

Unsere laboreigene S1-Belehrung verlief für mich folgenlos. Da saß ich im Labor, vor mir mein Laptop, hinter mir ein paar ordentlich aufgehängte Laborkittel. Weil die S1-Bereiche der Uni offenbar jedoch sehr verschieden sind, folgten in den nächsten Tagen noch weitere offizielle Videokonferenzen.

Die Belehrung für den Bereich, in dem die Enzym-Minibar steht, verfolge ich zwei Tage später von unserem kleinen Schreibbüro aus, wo ich gemütlich vor Regalen voller Aktenordnern sitze. Dachte ich...

Bei meiner Rückkehr ins Labor begrüßt mich meine Kollegin mit einem Kichern.

„Hihi, du warst lustig“, gluckst sie.

Ich schweige verständnislos.

„Hast du nicht gesehen, was hinter dir stand?“

„Regale?“

„Das Einhorn!“, prustet sie los.

Ein fabelhaftes Kunstwerk

Jetzt begreife ich.

Anlässlich der Promotionsparade meiner Backbord-Kollegin im vorletzten Jahr hatten wir aus weißem Pappkarton ein Einhorn gebastelt. Mit Schweif und blaurosa Mähne auf beiden Seiten. In der Mitte hatten wir eine Öffnung in den Karton geschnitten, damit die frisch gebackene Frau Doktor einsteigen und darin laufen konnte. Ein Einsitz-Einhorn sozusagen.

Mit durchschlagender Ausstrahlung. Sämtliche Köpfe auf dem Campus drehten sich während der Parade nach Frau Doktor auf oder besser in ihrem Einhorn um. Dieses fabelhafte, tierische Kunstwerk verwahren wir seit seinem großen Auftritt auf einem Schrank in unserem Pausenraum. Dachte ich...

Regenbogen? Sternenstaub?

Einer meiner Kollegen hat es wohl am großen Putztag letzte Woche ins Schreibbüro geritten, neben die Aktenordner ins Regal gestellt – und ich habe ihm dann unbeabsichtigt zu einem spektakulären Comeback verholfen.

Bei Videokonferenzen soll man ja darauf achten, dass man sich ordentlich anzieht und nicht vor einem lebensgroßen Dolly-Buster-Poster Platz nimmt. Da ich aber nicht zuhause, sondern im Büro saß, habe ich wohl nicht richtig hingeguckt. Wer rechnet schon mit Einhörnern im Regal?

Und klar: Mein fabelhafter Bildhintergrund ist nicht bloß dieser einen Kollegin aufgefallen. Mehrere der rund 70 Kollegen, die an der Videokonferenz teilgenommen haben, sprechen mich darauf an. Dabei haben das Einhorn und ich nichts weiter getan, als still und friedlich vor dem Laptop zu sitzen. Wir haben weder mit Regenbogen noch mit Sternenstaub geschmissen und waren ordentlich angezogen.

Auf meine einhornlose Videokonferenzteilnahme zwei Tage zuvor hat mich kein einziger Kollege angesprochen. Nimmt man diese gegen Null tendierende Resonanz als Vergleichswert, muss die spektakuläre Wirkung meiner heutigen Videokonferenzteilnahme wohl auf das Einhorn zurückzuführen sein.

Ob analog oder digital, unser Einhorn ist halt eine echte Rampensau.



Letzte Änderungen: 08.02.2021