Wirkstoff des Monats: Ivermectin

von Karin Hollricher (Laborjournal-Ausgabe 3, 2021)


Editorial
Stichwort

(08.03.2021) Ivermectin ist ein Wirkstoff, den man zur Beseitigung von parasitären Fadenwürmern, Milben, Flöhen, Läusen und anderem lästigen Getier verwendet, das gerne über Menschen und Nutztiere herfällt. Es ist ein synthetisches Analogon neurotoxischer Avermectine, die man in Streptomyces avermitilis fand. Da das Medikament günstig herzustellen ist und gegen die in Afrika weit verbreitete Flussblindheit wirkt, wurde die Entwicklung von entsprechenden Medikamenten vor sechs Jahren mit dem Medizin-Nobelpreis geehrt.

In wirbellosen Tieren blockiert Ivermectin die Glutamat-aktivierten Chloridkanäle. Auf der Suche nach einem Molekül, das spezifisch Importin-Proteine hemmen kann, entdeckten australische Forscher 2012, dass der Wirkstoff in vitro auch die Vermehrung von HI- und Dengue-Viren blockiert (Biochem. J. 443: 851-6). Später wurde diese Wirkung ebenfalls im Zusammenhang mit anderen RNA-Viren dokumentiert. Doch obwohl eine chinesische Forschergruppe beschrieb, dass eine Behandlung der Asiatischen Tigermücke Aedes albopictus mit Ivermectin die Vermehrung von Dengue-Viren in den Tieren unterdrückt und damit möglicherweise zur Reduktion der Infektionsraten beitragen könnte (PLoS Negl. Trop. Dis. 12: e0006934), wurde von erfolgreichen antiviralen Therapiestudien bisher nichts bekannt (Cells 9(9): 2100).

Editorial

In Säugetierzellen inhibiert Ivermectin speziell Importin (IMP) α/β1, das für den Transport von Virus-Proteinen in den Zellkern nötig ist. Im April berichtete wiederum das australische Team, dass es in Zellkulturen auch die Vermehrung von SARS-CoV-2 verhindert (Antiviral Res. 178: 104787). In diesem Fall scheint die Wirkung jedoch über eine Bindung an das Spike-Protein der Viren zu erfolgen.

Dieser Befund samt der Tatsache, dass Ivermectin vergleichsweise spottbillig, bereits zugelassen und rezeptfrei erhältlich ist, entfachte eine Welle der Euphorie – vor allem im von der Corona-Pandemie gebeutelten Südamerika. Doch leider erlitten dort viele Menschen schwere Nebenwirkungen, als sie Ivermectin-haltige Medikamente in viel zu hohen Dosen schluckten.

Zudem ist bis heute unsicher, ob Ivermectin wirklich hilft, die SARS-CoV-2-Infektion zu bekämpfen. Ein möglicher Grund für bislang widersprüchliche Ergebnisse mag in der Dosierung und Pharmakokinetik des Wirkstoffs liegen. In einer In-vitro-Studie wurde das Virus beispielsweise vollständig blockiert, wenn die Zellen mit 5 μmol/L Wirkstoff behandelt worden waren (Biotechnol. Biotechnol. 34: 469-74). In der Praxis wird das Medikament allerdings in etwa 10- bis 50-fach geringeren Dosierungen angewendet.

Aktuell empfehlen die US-National Institutes of Health (NIH) diesen Wirkstoff deshalb in ihren Behandlungsleitlinien nicht – verbieten eine solche Therapie aber auch nicht (Stand: 14.1.2021). Letzteres scheint das Ergebnis einer viel beachteten Meta-Analyse von Mitgliedern der Front Line COVID-19 Critical Care Alliance (FLCC) zu sein, wonach „mehrere kontrollierte klinische multizentrische Studien in verschiedenen Ländern konsistente und deutliche Verbesserungen bei COVID-19-Patienten nach einer Behandlung mit Ivermectin beschreiben“ (OSF Preprints, DOI: 10.31219/osf.io/wx3zn). Das Robert-Koch-Institut (RKI) hingegen hält die Daten für nicht ausreichend und empfiehlt eine Ivermectin-Therapie daher nur im Rahmen klinischer Studien (Stand: 28.1.2021).

Allerdings wird man sicher bald Genaueres erfahren, denn aktuell verzeichnet Clinicaltrials.gov rund sechzig klinische Studien zu Ivermectin, wovon etliche bereits beendet sind.