Editorial

Wirkstoff des Monats: Dexamethason

von Karin Hollricher (Laborjournal-Ausgabe 10, 2020)


Stichwort

(12.10.2020) Bei der Suche nach einem Medikament zur Therapie von COVID-19-Patienten mit schweren Symptomen landete das sogenannte britische RECOVERY-Team einen Treffer. In einer offenen Studie (ClinicalTrials.gov, Nummer NCT04381936) beobachteten die beteiligten Forscher bei 6.425 an COVID-19 erkrankten Patienten in 176 Kliniken in Großbritannien, dass das Glucocorticoid Dexamethason die Mortalität von intubierten, intensivmedizinisch behandelten Patienten im Schnitt um dreißig sowie diejenige von lediglich mit Sauerstoff versorgten Patienten um immerhin noch zwanzig Prozent senken kann. Der Beobachtungszeitraum betrug 28 Tage (N. Eng. J. Med., doi: 10.1056/NEJMoa2021436).

Glucocorticoide wirken dämpfend auf starke Immunreaktionen – also eben jene Prozesse, die man bei SARS-CoV-2-Infizierten mit schweren Symptomen sieht. Insofern ist es wenig überraschend, dass der positive Effekt von Dexamethason vor allem bei den sehr schwer kranken, intubierten Patienten deutlich wurde. Im Rahmen der Studie starben von insgesamt 1.007 Patienten 41,4 Prozent der Kontrollgruppe (283 von 683) sowie 29,3 Prozent der Dexamethason-Gruppe (95 von 324). Der Unterschied beläuft sich demnach auf zwölf Prozentpunkte. Bei Patienten, die zwar klinisch behandelt wurden, aber weniger schwere Symptome hatten und keinen Sauerstoff benötigten, zeigte Dexamethason fast keine therapeutischen Vorteile. Wie sich die Therapie langfristig auch auf den Anteil der Erkrankungen auswirkt, ist noch nicht bekannt.

Aufgrund des RECOVERY-Berichts nahm sich die WHO-Arbeitsgruppe Rapid Evidence Appraisal for COVID-19 Therapies (REACT) sieben randomisierte Studien für eine Metaanalyse vor, bei denen die Patienten ebenfalls mit Corticosteroiden behandelt worden waren – und zwar mit den Wirkstoffen Dexamethason, Hydrocortison oder Methylprednisolon (JAMA, doi:10.1001/jama.2020.17023). Auch hier profitierten die intensiv beatmeten Personen am meisten, wobei sich Dexamethason am wirksamsten und Prednisolon am wenigsten effektiv zeigten.

Interessant ist die Analyse der Ergebnisse in Abhängigkeit von der Dexamethason-Dosierung. In den Studien mit den Acronymen CoDEX und DEXA-COVID 19 wurden mit 20 mg täglich eher hohe Dosen verabreicht. Der Behandlungserfolg lag bei drei Prozentpunkten – im Gegensatz zu den zwölf Prozentpunkten der RECOVERY-Studie, bei der die Patienten mit 6 mg täglich niedrige Dosen erhielten. Inwieweit diese Zahlen für den Therapieerfolg nur in Abhängigkeit der Symptome und unabhängig von anderen Faktoren belastbar sind, müssen noch weitere Studien zeigen.

Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) e.V. empfiehlt jetzt in ihrer Therapieleitlinie jedenfalls den Einsatz von niedrig dosiertem Dexamethason bei beatmungspflichtigen Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion.



Letzte Änderungen: 12.10.2020