Editorial

Wirkstoff des Monats: Molnupiravir

von Karin Hollricher (Laborjournal-Ausgabe 11, 2021)


Stichwort

(10.11.2021) Molnupiravir wurde vom Pharmakologen George Painter und Kollegen von den Grud Innovation Ventures at Emory (DRIVE), einer Ausgründung der Emory University in den USA, entwickelt und hieß damals noch EIDD-2801.

2013 begann das Forschungsteam nach einem Wirkstoff gegen das für Pferde tödliche Venezolanische-Pferdeenzephalomyelitis-Virus (VEEV) zu suchen, das auch auf den Menschen übertragbar ist. „Wir dachten, wenn es uns gelänge, etwas gegen VEEV zu finden, könnten wir vielleicht auch andere Infektionen adressieren – etwa die Östliche Pferdeenzephalomyelitis (EEE) oder Chikungunya“, sagte Painter der New York Times. Und tatsächlich zeigte sich EIDD-2801 in Zellkulturen effektiv sowohl gegen VEEV wie auch gegen Chikungunya- und Ebola-Viren (Sci. Transl. Med. 11: 515). Bei Frettchen konnte EIDD-2801 eine Infektion mit Influenza-Viren wirkungsvoll bekämpfen. Alle diese Erreger haben einzelsträngige RNA als Erbinformation.

EIDD-2801 – oder Molnupiravir – ist ein Prodrug, das leicht vom Körper aufgenommen wird. Es ist ein Ribonukleosid-Analogon mit dem Namen N4-Hydroxycytidin und funktioniert nicht wie Remdesivir oder andere antivirale Substanzen, die RNA-abhängige RNA-Polymerasen behindern. Im Gegenteil: Es lässt sich von dem Enzym prima als Baustein für die Synthese der viralen genomischen RNA verwenden. Doch damit begehen die Viren einen tödlichen Fehler: EIDD-2801 induziert nämlich Kopierfehler, indem es, einmal eingebaut, falsch abgelesen wird. Insbesondere entstehen C-U- und G-A-Transitionen. Wie dies geschieht, beschrieb unter anderem die Arbeitsgruppe von Patrick Cramer vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen (Nat. Struct. Mol. Biol. 28: 740-6). Die Funktionsweise von Molnupiravir wird daher als „letale Mutagenese“ bezeichnet. Die Forscher vermuten, Viren werden es wegen dieser speziellen Wirkung schwer haben, dagegen Resistenzen zu entwickeln.

Kann Molnupiravir seine mutagenisierende Wirkung auch auf menschliche Nukleinsäuren ausüben? Der Chemiker Raymond Schinazi von der Emory University ist davon überzeugt. Sein ehemaliges Pharmaunternehmen Pharmasset hatte selbst mit dem Wirkstoff gearbeitet und 2003 aufgegeben, als es seine mutagenen Eigenschaften entdeckt hatte. Vergangenes Jahr erklärte Schinazi gegenüber Science: „Man entwickelt kein mutagenes Therapeutikum. Basta.“ (doi: 10.1126/science.abc7055). In Tierversuchen habe man keine Hinweise auf Mutagenität gesehen, widerspricht Painter. Eine klinische Phase-1-Studie zur Sicherheit, Verträglichkeit und Dosierung lieferte auch keine Belege für gravierende Nebenwirkungen (Antimicrob. Agents Chemother. 65: e02428-20).

Bei nicht-hospitalisierten Risikopatienten reduziert der Wirkstoff allerdings das Risiko eines schweren Verlaufs einer COVID-19-Erkrankung mit Krankenhausaufenthalt oder Tod um die Hälfte, veröffentlichten Merck und Ridgeback Biotherapeutics Anfang Oktober. Die Placebo-kontrollierte, klinische Studie wurde nach einer Interimsanalyse von 775 Patienten abgebrochen, weil die Daten so überzeugend waren: In der Placebogruppe mussten 53 von 377 Probanden (14 Prozent) in die Klinik, acht davon starben. In der mit Molnupiravir therapierten Gruppe starb niemand, von 385 Personen mussten lediglich 28 ins Krankenhaus (7 Prozent). Das weckte Hoffnungen, Pressewirbel folgte. Die Studie musste sich bislang keinem Peer-Review-Verfahren stellen. Dennoch wollen die Firmen nun bei der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) eine Emergency Use Authorization beantragen.

Stand 5. Oktober 2021