Ein Blockchain-Markt für gute Ideen
(12.07.2021) Der Krypto-Hype der letzten Monate hat auch die Biowissenschaften erreicht. Schaffen es Non-Fungible Token (NFT) Forschungsgelder einzuwerben?
Was ist eine Patentanmeldung wert? Gemeint ist nicht die Patentidee, nicht die Eigentumsurkunde und auch nicht die Lizenzeinnahmen, sondern einzig der Stapel ausgefüllter Patentformulare selbst. Nichts? Oder höchstens eine Handvoll Cents? Die University of California, Berkeley, widerspricht. Am 8. Juni 2021 versteigerte sie eine hausinterne Erfindungsmeldung aus dem Jahr 1996. In ihr unterrichtet Berkeleys damaliger Professor James P. Allison seinen Arbeitgeber über einen Weg, Tumore an der Unterdrückung der T-Zell-Antwort zu hindern. Für diese Checkpoint-Therapie verschiedener Krebsarten erhielt Allison 2018 den Nobelpreis in Physiologie oder Medizin. Mit der jetzigen Versteigerung der seit 25 Jahren wertlosen Archivdokumente nahm die UC Berkeley 35.867 Euro ein.
Wie können zehn Seiten bürokratischen Papierkrams das Jahresgehalt eines Postdoktoranden wert sein? Das Geheimnis liegt in der neuartigen Darreichungsform des Versteigerungsguts. Die Höchstbietenden, eine Gruppe aus dreißig Berkeley-Alumni, begründen ihre Kaufentscheidung mit einem Blick in die Zukunft: „We are incredibly proud to own the first Nobel NFT … This is an incredibly unique asset which will only grow in value.”
Zwei Besonderheiten
Was ist ein NFT? Ein Non-Fungible Token ist ähnlich einer Kryptowährung ein Datenblock in einer Blockchain. Doch NFTs verfügen über zwei Besonderheiten: Zum einen verlinken sie einen beliebigen digitalisierbaren Inhalt, wie etwa Urlaubsfotos, Musikvideos, Festivaltickets, Sammelkarten oder eben Forschungsdokumente. Zum anderen ist jedes NFT über eine individuelle Token-ID identifizierbar. Anders als bei Bitcoin & Co. ist es entscheidend, welches NFT sich in der eigenen digitalen Brieftasche befindet.
Für die Rechteverwaltung digitaler Originale ist das revolutionär. Denn NFTs ermöglichen es erstmals, virtuelle Inhalte als einzigartig zu markieren. Zwar können solche Originale weiterhin von Dritten frei kopiert werden, doch nur wer den privaten Schlüssel zur digitalen Adresse des NFT-Datenblocks besitzt, verfügt über Eigentumsrechte. Wie das technisch umgesetzt wird und warum Ethereum die NFT-Blockchain der Wahl ist, beschreibt dieser Review auf arXiv (arXiv:2105.07447).
Millionenfacher Umsatz
Diese Kombination aus Echtheitszertifikat und Eigentumsurkunde verleiht NFTs einen handelbaren Wert. Tatsächlich wechselten allein im letzten Monat 100.000 NFTs für 57 Millionen US-Dollar ihre Besitzer (nonfungible.com). Ein NFT des ersten Tweets aller Zeiten erbrachte 2,5 Millionen Euro, ein NFT einer Kolumne in der New York Times 580.000 Euro, ein NFT eines digitalen Kunstwerks 58,3 Millionen Euro. Der Kunstmarkt erzielt bereits zehn Prozent seines weltweiten Umsatzes über NFTs.
Zeigen derartige Krypto-Token auch dem Wissenschaftsbetrieb neue Finanzierungsmöglichkeiten auf? „Wissenschafts-NFTs haben erstmal nur einen ideellen Wert,“ bekennt Martin Etzrodt, promovierter Zellbiologe und seit 2019 Kommunikationswissenschaftler der dezentralen Wissensplattform Akasha. „Doch mit dem Siegel namhafter Einrichtungen versehen könnten sich wissenschaftliche Reputation und Rarität tatsächlich mit NFTs vermarkten und Forschung finanzieren lassen.“
Die Innovationsabteilung der UC Berkeley verfolgt die Idee zumindest weiter. In den kommenden Wochen wird sie die Erfindungsmeldung von Jennifer A. Doudna versteigern, die 2020 den Chemie-Nobelpreis für die Entwicklung der CRISPR/Cas-Methode erhielt. Erneut bietet die Universität natürlich nur ein NFT der Erfindungsmeldung feil. Die Patentrechte selbst verbleiben in Berkeley.
Alternative zu Patenten
Wissenschafts-NFTs lassen sich auch hierzulande bereits erwerben. Deren Anbieter um Martin Etzrodt verfolgen aber eine größere Vision: „NFTs kommerzialisieren nicht nur Forschungsdaten, sondern bieten eine Alternative zu Patenten. Denn sie legen die Schwelle für eine Patentierung niedrig. Heutzutage breiten sich Entdeckungen und Erfindungen nur aus, nachdem sie publiziert und patentiert wurden. Beides dauert Monate bis Jahre. Ein NFT-Markt handelbarer Ideen würde dagegen den Anreiz schaffen, bereits Beobachtungen, Interpretationen und Konzepte als Mini-Publikationen zu veröffentlichen. Die zugrundeliegende Blockchain sichert ja deren Urheberschaft. Der Käufer einer Idee würde ihre Umsetzung finanzieren, ihr Verkäufer vergleichbar zu Mitautorschaften, Erfindervergütungen oder Unternehmensanteilen mitverdienen. Wissenschaftliche Innovation würde beschleunigt.“
Vielleicht erlaubten es Wissenschafts-NFTs sogar, Forschungsprojekte über Crowdfunding-Aktionen umzusetzen, mutmaßt Etzrodt: „Denn NFTs lassen sich bei entsprechender Implementierung ‚zerbrechen‘. Mit dem Erwerb von NFT-Bruchstücken könnten auch wissenschaftlich interessierte Laien der Citizen-Science-Bewegung Forschungsideen unterstützen und – wenn Bruchstücke mit Stimmrechten gekoppelt wären – die Forschungsrichtung mitbestimmen. Wer wäre nicht gern Mitbesitzer der nächsten Nobelpreis-verdächtigen Erfindung?“
Noch einiges zu klären
Noch existieren NFTs allerdings in einer rechtlichen Grauzone, erklärt Etzrodt: „Unter anderem ist ungewiss, wer NFTs urheberrechtlich geschützter Werke prägen darf und welche Nutzungs- und Bearbeitungsrechte der Käufer eines digitalen Originals überhaupt erwirbt.“ Ebenso ungelöst ist, was vor „Original“-NFTs in Blockchains unterschiedlicher Anbieter bewahrt. Und auch der CO2-Fußabdruck von Krypto-Transaktionen ist Grundlage von Kritik.
Vorerst bleiben Wissenschafts-NTFs also eine risikoreiche Finanzierungsstrategie. Zumindest erlaubt es die deutsche Gesetzgebung seit Juni 2021 schon einmal, elektronische Wertpapiere in Blockchain-Registern zu führen.
Henrik Müller
Bild: AdobeStock/HollyHarry
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