Mehr als ein Nahrungsmittel
Besonders wertvoll wird Sonnenblumenöl durch seinen hohen Gehalt an der mehrfach ungesättigten Fettsäure Linolsäure (C18:2), die vom Menschen nicht selbst gebildet werden kann und deshalb mit der Nahrung aufgenommen werden muss. Linolsäure ist die Grundlage für die Synthese weiterer mehrfach ungesättigter Fettsäuren wie Arachidonsäure, von der sich die Prostaglandine – entzündungsfördernde Gewebshormone – ableiten. Außerdem ist sie Bestandteil der Ceramide, die für die Barrierefunktion der Haut notwendig sind.
Im Unterschied dazu ist der Gehalt der einfach ungesättigten Ölsäure (C18:1), die als Vorstufe der Linolsäure dient, mit unter 50 % sehr niedrig ist. Ölsäure ist ein häufiger Bestandteil von Triacylglyceriden und beispielsweise in Olivenöl in hoher Konzentration vorhanden. Wie Linolsäure ist sie in wertvollen Speiseölen, vor allem aber auch in Ölen für technische Anwendungen gefragt. So weisen sogenannte Hochölsäure-Öle mit einem Ölsäuregehalt von über 85 % eine hohe Oxidations- und Hitzestabilität auf.
Öl-Upgrade
Als Teil des vom Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung geförderten Projekts „InnoSun“ arbeiten Wissenschaftler um Brigitte Poppenberger, Professorin für Biotechnologie gartenbaulicher Kulturen an der TUM School of Life Sciences am Standort Weihenstephan, daran, mithilfe von neuartigen Züchtungsmethoden ölreichere Sonnenblumen-Sorten zu kreieren. Dafür soll das Enzym, das Ölsäure in Linolsäure umsetzt – die Desaturase FAD2-1 – gehemmt werden. „Wir haben für das Projekt klassische pflanzenzüchterische Methoden gewählt, die molekularbiologische Techniken beinhalten, um den Selektionsprozess für Hochölsäure-Linien zu beschleunigen“, so Poppenberger.
Chris-Carolin Schön, Professorin für Pflanzenzüchtung an der TUM, arbeitet gleichzeitig daran, Sonnenblumen gegen den Schädling Sklerotinia sclerotiorum resistenter zu machen. Der Pilz führt vor allem bei feucht-kühlen Sommern zu großen Ernteausfällen und hemmt dadurch den großflächigeren Anbau von Sonnenblumen in Deutschland. Teil des Projekts sind außerdem Volker Hahn von der Universität Hohenheim und KWS Saat als Industriepartner. „Durch unsere Arbeit soll die Sonnenblume für die deutschen Landwirte attraktiver werden und das Spektrum an Ölsaaten erweitern, mit Vorteilen für die Biodiversität auf unseren Kulturflächen“, erläutert Poppenberger überzeugt.
Alternative für Morphin
Sonnenblumen-Extrakte sind außerdem für ihre schmerzstillende und entzündungshemmende Wirkung bekannt. Das hat ein Team um Christian Gruber vom Institut für Pharmakologie der MedUni Wien ausgenutzt, um ein stark wirksames Schmerzmedikament ohne schwere Nebenwirkungen herzustellen. Ihr Peptid Helianorphin-19 soll eine Alternative zu Morphin und Morphin-ähnlichen Wirkstoffen wie Fentanyl sein. „Schmerzmittel auf der Basis von Morphin wirken vorwiegend am μ- und δ-Opioidrezeptor im Zentralnervensystem und können mitunter zu starker Abhängigkeit sowie bei Überdosierung zum Tod durch Atemlähmung führen“, erklärt Gruber.
Ein Wirkstoff, der die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden kann und deshalb nicht im Zentralnervensystem wirkt, würde diese Nebenwirkungen vermeiden. Gruber und sein Team haben diesen nun auf der Basis des 14 Aminosäure großen, zyklischen Peptids SFTI-1 (Sunflower Trypsin-Inhibitor-1) entwickelt (J Med Chem, 64(13):9042-55). „SFTI-1 ist ein natürlich in den Sonnenblumen-Kernen vorkommendes Molekül, bei dem wir einzelne Aminosäure-Bausteine gegen das endogene Peptidhormon Dynorphin A1-17 ausgetauscht haben“, so Gruber. „Das körpereigene Opioid bindet vorwiegend an den κ-Opioidrezeptor.“ Aus 19 Peptidvarianten wählten die Forscher eine aus, die selektiv am κ-Rezeptor bindet, hauptsächlich in der Körperperipherie wirkt und im Magen-Darm-Trakt stabil genug ist, um in Tablettenform verabreicht werden zu können.
Wirksam im Tiermodell
Eine langandauernde Aktivierung des κ-Opioidrezeptors im Gehirn kann zu Depressionen führen. Bei einer Wirkung in der Peripherie ist dies dagegen weitgehend ausgeschlossen. Zusätzlich haben die Wissenschaftler einen Weg gefunden, potenzielle Nebenwirkungen zu unterdrücken. Dazu haben sie das synthetische Peptid so verändert, dass nur einer der möglichen Signalwege am Opioidrezeptor angeschaltet wird: Opioidrezeptoren sind mit G-Proteinen gekoppelt, deren Aktivierung die schmerzstillende Wirkung vermittelt. Gleichzeitig können jedoch auch cytosolische Proteine, sogenannte β-Arrestine, rekrutiert werden, die vor allem unerwünschte Wirkungen vermitteln. Dieser Signalweg wird durch Helianorphin-19 dagegen kaum aktiviert.
Die Affinität von Helianorphin-19 ist mit 21 nM sehr hoch, die Wirksamkeit mit einer mittleren Effektivdosis EC50 von 45 nM ebenso. „Im Tiermodell wurde eine sehr gute schmerzstillende Wirkung bei Viszeralschmerz, also Schmerzen im Bauchraum und anderen inneren Organen, erzielt, ohne dass dabei typische Nebenwirkungen wie Antriebslosigkeit aufgetreten wären“, fasst Gruber zusammen. „Als Nächstes wollen wir die Wirksamkeit des Peptids bei entzündlichen Darmerkrankungen bzw. bestimmten Autoimmun-Erkrankungen wie ulzerative Kolitis oder Morbus Crohn, bei denen ebenfalls der κ-Opioidrezeptor eine Rolle spielt, erforschen.“
Larissa Tetsch
Bild: Pixabay/mazsoka
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