Editorial

Keine freie Zeit
zum Ausgründen

(13.10.2022) Dennoch arbeiten Holger Erfle und Vytaute Starkuviene-Erfle weiter an TOP-fase, einem universellen Hochdurch­satz-Transfektionsverfahren.
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HeLa-Zellen per TOP-fase transfiziert

Für viele Arbeitsgruppen ist es eine fast schon alltägliche Aufgabe: die Transfektion fremder Moleküle in eine Zielzelle. Doch nicht nur in der Forschung ist das mittlerweile gängige Praxis. Auch in der Pharmaindustrie – etwa bei der Drug Discovery – spielen Transfektions­systeme eine immer größere Rolle. Bisher sind Transfektionen vor allem von Proteinen jedoch kaum im Hochdurch­satzverfahren möglich. Ein Umstand, den Holger Erfle und Vytaute Starkuviene-Erfle mit ihrer TOP-fase-Technologie ändern möchten.

Am Anfang stand eine ambitionierte Idee: „In einem Experiment gleichzeitig Gen, Transkript und Protein zu untersuchen, ergab sich aus unseren Screening-Experimenten“, erinnert sich Holger Erfle. Er leitet die Advanced Biological Screening Facility und die Arbeitsgruppe High-Content Analysis of the Cell (HiCell) an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. „Das Problem bei genetischen Screens sind jedoch Off-Target-Effekte, die auch durch CRISPR/Cas nicht ‚geheilt‘ werden. Unsere Überlegung war daher, ob wir uns nicht die hochspezifischen Eigenschaften von Antikörpern zunutze machen können und sie in ihrem aktiven Zustand in die Zellen schleusen könnten“, erzählt Erfle. So begann die Arbeit an dem Projekt, aus dem später TOP-fase hervorgehen sollte.

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Cargo first, cells second

Doch was unterscheidet den Heidelberger Ansatz von anderen Transfektions­technologien? Normalerweise werden Zellen in eine Multiwell-Platte gesät und die zu transfizierende Ladung (Cargo) zusammen mit Transfektions­reagenzien zu den Zellen gegeben. Bei TOP-fase, das für reverse Festphasen-Transfektions­technologie steht, funktioniert das Ganze genau andersherum. Zuerst werden Cargo und Transfektions­reagens auf die Platte oder einen Glasträger aufgebracht und getrocknet. Anschließend können auf die so präparierten Platten bzw. Glasträger die Zellen gesät werden. „Der größte Vorteil davon ist, dass wir die Proben im Hochdurchsatz­verfahren vorbereiten können und der Kunde am Ende nur seine Zellen darauf aussät“, erläutert Erfle.

Insbesondere bei infektiösen Proben sei diese Herangehens­weise optimal, da biologische Sicherheits­labore oft nicht über die Möglichkeit für Hochdurchsatz-Transfektionen verfügen. Momentan laufen mit Virologen aus Heidelberg und Frankfurt/Main erste Pilotprojekte.

Ein Tausendsassa

Da die Heidelberger Technologie auf bereits etablierte Transfektions­systeme aufbaut, sei TOP-fase in vielen Laboren bereits jetzt direkt einsetzbar, da nicht auf eine komplett neue Herangehens­weise umgestellt werden müsse, wie Vytaute Starkuviene-Erfle erzählt. Sie leitet die Arbeitsgruppe Intracellular Trafficking der Universität Heidelberg und ist zudem Professorin für Zellbiologie an der Universität Vilnius in Litauen.

Die Technologie erlaubt es, viele Kombinationen von Transfek­tionsmitteln und Cargo schnell an unter­schiedlichen Zelltypen zu testen und mit wenigen Modifikationen anzuwenden. TOP-fase ist dabei fast universell einsetzbar und kann für diverse Cargo-Typen angepasst werden. Starkuviene-Erfle: „Das geht von Nukleinsäuren über Proteine wie Antikörper bis zu komplexen Strukturen wie das Cas9-Protein, an das die single guide RNA gekoppelt ist.“ Auch für Geneditierungs-Experimente könne man die Methode nutzen. Diese Anwendung werde derzeit zusammen mit dem Institut für Geneditierung der Universität Vilnius optimiert.

Lieber lizenzieren statt gründen

Eine Ausgründung zur weiteren Entwicklung ihrer Erfindung kam für die beiden Heidelberger jedoch bisher nicht in Frage. „System­entwicklung und das Einwerben finanzieller Mittel nimmt schon sehr viel Zeit in Anspruch und dafür ist einfach leider momentan keine Zeit mehr frei“, erzählt Erfle lachend. Daher ließen Erfle und Starkuviene-Erfle TOP-fase patentieren, um die Methode mithilfe des Technologie-Lizenz-Büros der Baden-Württem­bergischen Hochschulen (TLB) zu lizenzieren. Gegenwärtig gebe es zwei Interessenten, die ein Auge auf die Technologie geworfen haben. Um welche Unternehmen es sich dabei handelt, wollen die Heidelberger allerdings noch nicht verraten.

In der nächsten Zeit konzentriert sich das Forscher-Duo auf den Einsatz seiner Technologie bei 3D-Zellkulturen. Etwas weiter in der Zukunft liegt ein therapeutischer Einsatz von TOP-fase, wie Holger Erfle skizziert. So sei eine Immobili­sierung auf medizinischen Oberflächen oder die Verabreichung als Pulver denkbar. Erste Projekte in diese Richtung laufen bereits.

Tobias Ludwig

Bild: H. Erfle Lab


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Letzte Änderungen: 13.10.2022