Editorial

Liebhaber des
Extremen

(17.11.2022) Das Regensburger Start-up Microbify sucht nach Mikroorganismen an extremen Orten wie Erdgasspeichern und macht sich diese zu Nutze.
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Methanospirillum mit (v.l.n.r.) Georg Schmid, Anja Kaul, Linda Dengler und Andrea Böllmann

Tausend Meter unter der Erde, an etwa 40 Standorten in Deutschland, liegt ein wahrer Schatz. Dort, in den ausgespülten Salz-Kavernen oder porösen Gesteinen, lagern bis zu 23 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Das hauptsächlich aus Methan bestehende Gemisch enthält neben anderen gasförmigen Kohlen­wasser­stoffen auch Spuren von Kohlenstoff­dioxid und Wasserstoff. Was sich hier bei Drücken von bis zu 250 bar jedoch nicht findet: Sauerstoff und Licht. Das hält einige Mikroorganismen jedoch nicht davon ab, genau an diesem unwirtlichen Ort ihr Lager aufzuschlagen und durch ihren Stoffwechsel das eingelagerte Gas zu verändern. Das fällt auch den Betreibern solcher Gasspeicher auf, doch Labore, die derartige Mikro­organismen untersuchen können, sind rar.

Editorial

Leben überall

Grund genug für die Biologen und Biologinnen Georg Schmid, Linda Dengler und Andrea Böllmann Microbify aus der Taufe zu heben. Das Start-up wurde aus dem Lehrstuhl für Mikrobiologie und dem Archaeen­zentrum der Universität Regensburg heraus gegründet und hat es sich zur Aufgabe gemacht, die mikrobiellen Bewohner extremer Lebensräume aufzuspüren, zu untersuchen und zu nutzen. „In diesem Bereich ist die Universität Regensburg seit den 1980er-Jahren weltweit führend“, erzählt Schmid. „Der Regensburger Professor Karl Stetter war damals einer der Wenigen, die überzeugt waren, dass es fast überall Lebewesen geben müsse und hat dann angefangen, auf der ganzen Welt Proben zu nehmen“

Und Stetter findet sie: in der Tiefsee, in Salzseen, sogar im Rohöl. In diesen Versuchen liegen laut Schmid auch die Wurzeln des Unternehmens. „Viele seiner Methoden haben wir dann weiter­entwickelt und nutzen sie jetzt.“ (Einen Blick hinter die Kulissen des Regensburger Archaeen­zentrums werfen wir in unserem Beitrag: „Vorsicht! Heiß und exotisch“ aus dem LJ-Archaeen-Special).

Rätselhafter Gasschwund

Schmid studierte selbst in Regensburg und schloss seine Diplomarbeit am Lehrstuhl für Mikrobiologie ab. Von da an haben ihn die extremo­philen Mikro­organismen nicht mehr losgelassen. Nach einigen anderen wissen­schaftlichen und unterneh­merischen Projekten kehrte Schmid Anfang 2020 wieder an die Universität Regensburg zurück. Der Grund: vermehrte Anfragen aus der Industrie. „Seit 2018 sind immer wieder Betreiber unterirdischer Erdgasspeicher an den Lehrstuhl herangetreten mit der Bitte, die mikrobio­logischen Vorgänge in den Gasspeichern zu analysieren“, sagt der Biologe.

So stellten die Gasversorger fest, dass das Volumen ihres eingelagerten Gases mit der Zeit abnahm, es jedoch einen höheren Methan-Anteil aufwies. Dem – so die Vermutung der Gasversorger – müssen mikrobio­logische Vorgänge zugrunde liegen. „Die Mikro­organismen, die da in einer unwirtlichen Gasatmosphäre bei hohem Druck hausen, setzen Wasserstoff und Kohlenstoff­dioxid, das oft in Spuren im Erdgas enthalten ist, zu Methan um. Man nennt das biologische Methani­sierung. Dabei reduziert sich natürlich das Volumen des Gasgemisches, es wird aber qualitativ hochwertiger.“

Aus eigener Kraft

Da die Universität die Anfragen unter anderem aus Kapazitäts­gründen nicht bearbeiten konnte, fassten Schmid, Dengler und Böllmann den Entschluss, ein Unternehmen zu gründen. Unterstützung erhielten die Jungunternehmer dabei von der Universitäts­leitung und der heutigen Leiterin des Mikrobiologie-Lehrstuhls Dina Grohmann, deren Ausstattung und Infrastruktur sie nutzen konnten. Dennoch lief zunächst nicht alles glatt, wie Schmid berichtet: „Die größte Hürde zu Beginn war die Finanzierung“. So bewarben sich die Regensburger zweimal für eine EXIST-Gründungs­förderung und wurden zweimal abgelehnt. „Damals war der Tenor noch, dass man sich doch lieber auf Elektrizität konzentrieren sollte, da Erdgas als günstiger, immer verfügbarer Rohstoff galt.“ Eine Ansicht, die sich im Februar 2022 mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine schlagartig geändert hat.

Zum Glück für die drei Gründungs­willigen erhielten sie jedoch bereits im Frühjahr 2021 einen großen Auftrag des Energieriesen RWE, der an die Auflage gekoppelt war, diesen in einer neu gegründeten Firma zu bearbeiten. „Das hat uns dann tatsächlich ermöglicht, mit unserem Unternehmen durchzustarten“, sagt Schmid. Mittlerweile bietet das Regensburger Unternehmen eine Reihe von Dienstleistungen rund um mikrobiologische Prozesse in der Energie­gewinnung und -speicherung an.

Anspruchsvolle Mikroorganismen

Dabei stellen die zu untersuchenden Mikroben hohe Anforderungen: „Das fängt schon bei der Probennahme an. Wir müssen sicherstellen, dass wir unter Luftausschluss arbeiten und verwenden spezielle druckstabile Behälter.“ Auch im Labor achten die Regensburger stets auf anaerobe Bedingungen. Hier bieten sie neben chemischen Analysen mittels Gas- und Flüssig­chromato­graphie auch genetische Untersuchungen an.

Thematisch konzentriert sich das junge Unternehmen neben der Analyse von Mikroben aus Gasspeichern auch auf deren potentielle Nutzung. Denn der Prozess der Methanisierung lässt sich auch gezielt zur Gewinnung von Methan aus Wasserstoff und Kohlenstoff­dioxid einsetzen. Auch bei den Themen Biokorrosion und Wasserstoff­speicherung bieten die Regensburger ihre Dienste an.

In der nahen Zukunft steht ein Umzug in eigene Laborräume an, wie der Geschäftsführer erzählt: „Unsere ersten Kundenaufträge haben uns gezeigt, dass unser Konzept funktioniert und unsere Dienstleistung nachgefragt wird. Mittlerweile haben wir auch einen Investor mit ins Boot geholt und können so unseren Umzug und die Übernahme weiterer Projekte stemmen.“ Zudem konzentriere man sich auf die Entwicklung und Patentierung neuer Probennahme-Verfahren, um die angebotenen Dienstleistungen zu erweitern und zu verbessern.

Tobias Ludwig

Bilder (2): Microbify


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Letzte Änderungen: 17.11.2022