Editorial

Wie altert
das Immunsystem?

(28.03.2023) Auch das Immunsystem altert mit den Jahren. Aber wird es dadurch auch weniger funktionstüchtig? Darüber sind sich die Experten nicht einig.
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Von vielen Forschungs­treibenden wird die Immun­seneszenz – also die Alterung des Immunsystems – heute als zunehmender Verlust der Funktion der Abwehrkraft beschrieben. So ziemlich jeder Review zum Thema beginnt mit Sätzen wie diesem: Das Altern führt zu einer allmählichen Abnahme der Funktion des Immunsystems, was zu einer zunehmenden Inzidenz von Krankheiten wie Krebs und Infektionen führt.

Aber warum ist das so? Funktionieren die vorhandenen Immunzellen nicht mehr? Oder sind es zu wenige? Oder sind sie nur zu langsam? Oder hat die erhöhte Mortalität mit dem Alter des Immunsystems gar nichts zu tun, sondern hängt von ganz anderen Faktoren ab?

Seit der Begriff Immun­seneszenz in der Welt ist, vergleicht man immuno­logische Parameter junger und alter Labortiere und Menschen oder auch die Immunzellen in der Milz von Mäusen mit denen im Blut von Menschen. Die Resultate sind nicht immer eindeutig, die Interpretationen daher schwierig. „Es gibt sehr große individuelle Unterschiede, aber grundsätzlich ist das Immunsystem eines Siebzig­jährigen nicht so fit wie das eines Dreißig­jährigen”, sagt Albert Osterhaus, Direktor des Research Center for Emerging Infections & Zoonoses (RIZ) der Tierärztlichen Hochschule in Hannover. Nachzulesen sei das beispielsweise im Artikel „Aging and Options to Halt Declining Immunity to Virus Infections“ (Front Immunol, 12: 681449). Dieser Aussage schließen sich, wie wir bei unserer Recherche feststellen, nicht alle Immunologen an.

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Schrumpfen ab der Pubertät

Fakt ist: Man findet auch bei Lymphozyten einige der für die Zellalterung typischen Anzeichen. Beispielsweise steigt die Aktivität der lysosomalen sauren Beta-Galactosidase. Das ist ein wichtiges Kriterium des Seneszenz-assoziierten sekretorischen Phänotyps (SASP), der durch eine übermäßige Synthese inflammatorisch wirksamer Moleküle gekennzeichnet ist. Anzeichen von SASP fand man etwa bei alternden Makrophagen, die zum angeborenen Immunsystem gehören. Dennoch können diese Zellen weiterhin prima proliferieren. Das widerspricht einem Kernelement der Definition der seneszenten Zelle, wonach diese sich nämlich nicht mehr (so gut) teilen kann. Ist SASP also kein Kriterium für das Alter von Makrophagen? Man weiß es nicht.

Unbestritten ist außerdem, dass beim Menschen mit zunehmenden Lebensjahren die Zahl der naiven T-Zellen sinkt. Das ist auch nicht erstaunlich, denn schon ab der Pubertät schrumpft der Thymus. In diesem Organ reifen die aus dem Knochenmark stammenden Vorläufer-T-Zellen heran und bilden ein gigantisches Reservoir an T-Zellen mit jeweils einem durch zufällige Rekombination entstandenen Antigen-Rezeptor. Auch B-Zellen beginnen ihre Entwicklung im Knochenmark, reifen dort und zirkulieren dann im Blut oder halten sich in Organen auf. Erkennen sie ein passendes Antigen, proliferieren sie und übernehmen ihre spezifischen Aufgaben. Die meisten dieser Effektorzellen sterben nach Abklingen einer akuten Infektion, aber verschiedene Typen Gedächtnis­zellen verbleiben, um bei erneuter Infektion wieder zu proliferieren.

Uralte Zellen

Und diese Zellen können extrem langlebig sein. Beispielsweise fanden Forschungsteams des Leibniz-Instituts Deutsches Rheuma-Forschungs­zentrum (DRFZ) und der Charité im Knochenmark einer Patienten­gruppe von durchschnittlich 64 Jahren uneingeschränkt reaktive und funktionale Gedächtnis-T-Zellen vom Typ CD4+ gegen Masern-, Röteln- und Mumps-Viren. Diese Zellen sind wohl über fünfzig Jahre alt, denn sie entstanden nach Impfungen oder Infektionen im Kinder- oder Jugendalter der Patienten (PNAS, 111: 9229-34).

Ist es für den Ausgang einer Infektion denn überhaupt wichtig, wie viele aktivierbare B- und T-Zellen im Organismus vorhanden sind? Das untersuchten William Paul, einer der Entdecker von Interleukin-4, und sein Team am National Institute of Allergy and Infectious Diseases in Bethesda (USA). Sie spritzten Mäusen um mehrere Zehnerpotenzen unterschiedliche Mengen an Antigen-spezifischen CD4-positiven T-Zellen (3 bis 30.000) und immunisierten sie anschließend (PNAS, 108: 3312-7). Erstaun­licherweise war dabei mehr nicht gleich besser, sondern die Immunantwort war umgekehrt proportional zur Zahl der infundierten Zellen. Andreas Radbruch, wissenschaftlicher Direktor des DRFZ, zieht daraus den Schluss: „Ein Vergleich der Zahl der T-Lymphozyten im Blut ist demnach keine sichere Basis für eine Aussage über deren Leistungs­fähigkeit und die Effektivität der Immunantwort.”

Eine Art Rückkopplung?

Andere Immunologen sind anderer Meinung. Osterhaus und sein Kollege Guus Rimmelzwaan beispielsweise. „Eine geringere Wirksamkeit der T-Zellen bei Älteren korreliert mit der sinkenden Effektivität von Impfungen”, argumentiert Osterhaus. Zwar gäbe es „enorme individuelle Unterschiede”, doch hält er insbesondere den Schwund an naiven T-Zellen für eine wesentliche Eigenschaft des alternden Immunsystems – und somit mitverantwortlich dafür, dass zumindest sich schnell verändernde Viren wie Influenzaviren und SARS-Coronaviren bei Älteren schwerere Symptome auslösen und die Immunantwort nach Impfung geringer ist.

Kann man eigentlich irgendwas tun, um ein altes Immunsystem zu verjüngen? Möglicherweise. Der alternde Organismus weist Zeichen von Inflammaging auf. Darunter versteht man chronische, aber nicht sehr stark ausgeprägte Entzündungs­prozesse, die auch Immunzellen betreffen und womöglich die Abwehrfunktion behindern. In Tierstudien konnte man jedenfalls zeigen, dass sich die Immunfunktion wieder verbessert und die Mortalität sinkt, wenn man die Anzahl von Zellen mit dem SASP-Phänotyp reduziert. Daher prüft man nun, ob Substanzen, die gezielt seneszente Zellen in die Apoptose treiben, sich positiv bei der Bekämpfung von Infektionen auswirken (siehe dazu auch unser „Stichwort des Monats: Senolytika“).

Noch kein Beweis

„Obwohl noch viel Arbeit nötig ist, um die Veränderungen in der Zusammen­setzung und Funktion des Immunsystems im Laufe des Lebens besser zu verstehen, ist klar, dass Alter ein wichtiger Faktor ist, der bei der Bewertung der Variation des humanen Immunsystems berücksichtigt werden muss”, schreiben Petter Brodin und Mark Davis in einem Übersichtsartikel von 2017 (Nat Rev Immunol, 17: 21-9). „Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass selbst wenn festgestellt wird, dass bestimmte Parameter positiv oder negativ mit dem Alter korrelieren, dies nicht als Beweis für ihre Beteiligung am Alterungs­prozess angesehen werden kann”.

Das fasst den Stand der Forschung wohl ganz gut zusammen. Folglich bleibt noch viel zu forschen in Sachen Immunseneszenz.

Karin Hollricher

Dieser hier gekürzte Artikel erschien zuerst in ausführlicher Form in Laborjournal 3/2023.

Bild: AdobeStock/Erik & Design Cells


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Letzte Änderungen: 28.03.2023