Editorial

Tiger, Taschenmesser,
Targetingbremse

(12.04.2023) Das Team von Chase Beisel war fleißig. Es hat eine hyperaktive Cas-Nuclease identifiziert und das CRISPR-Editing von Bakterien verbessert.
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Cas12a2 (im Hintergrund) schneidet DNA-Einzelstränge

Alle zehn Jahre, so scheint es, glänzt CRISPR/Cas mit einem neuen Höhepunkt. Es begann vor 30 Jahren: da berichtete der Mikrobiologe Francisco Mojica von der Universität Alicante, er habe eine sehr merkwürdige Sequenz in dem Archaeon Haloferax mediterranei gefunden. Diese bestehe aus 30 bp sich wiederholenden und fast identischen Abschnitten, die durch etwa 36 bp lange Spacer voneinander getrennt seien (Mol Microbiol, 9:613-21).

Eine ähnliche Struktur – allerdings mit völlig anderen Sequenzen – hatte schon sechs Jahre zuvor eine japanische Gruppe bei E. coli beobachtet (J Bacteriol, 169:5429-33). Zwar konnte sich damals keiner einen Reim darauf machen. Aber als Mojica dann zehn Jahre später Überein­stimmungen zwischen den Spacer-Sequenzen und den Nukleinsäuren verschiedener Phagen entdeckt hatte und obendrein die Cas-Gene gefunden worden waren, stellte Mojica die These auf, in diesem von dem niederländischen Molekular­biologen Ruud Jansen CRISPR getauften Lokus stecke das Immun­gedächtnis der Mikro­organismen und Cas liefere die für die Abwehr nötige Nuclease. 2012 schließlich erklärten die Teams von Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna sowie Virginijus Šikšnys der staunenden Fachwelt, wie man CRISPR-Cas für gentechnische Manipulationen verwenden könne (Science, 337(6096):816-21). 2013 kam der Durchbruch: in diesem Jahr publizierten etliche Forschergruppen zum CRISPR-Editing bei Organismen, von der Hefe bis zum Affen.

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Hyperaktives Schweizer Taschenmesser

Nach diesem kurzen Exkurs in die CRISPR/Cas-Historie kommen wir nun zur aktuellen Forschung. Obwohl das Jahr erst wenige Monate alt ist, publizierte die 25-köpfige Arbeitsgruppe von Chase Beisel, die am Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg forscht, bereits vier Paper mit spannenden neuen Entdeckungen.

In zweien geht es um den letzten Neuzugang der CRISPR/Cas-Familie: eine bakterielle Cas-Nuclease, die pathogene RNA erkennt und spaltet, danach aber hyperaktiv wird und jegliche in der Zelle enthaltene Nukleinsäure zerstückelt. Weil sie über so viele verschiedene Funktionen verfügt, bezeichnet Beisel sie als „Schweizer Taschenmesser”. Wissenschaftlich korrekt heißt sie Cas12a2. Jack Bravo et al. und Oleg Dmytrenko et al. beschreiben das aus dem Schwefel oxidierenden Epsilon-Proteo­bakterium Sulfuricurvum sp. PC08-66 stammende Enzym in zwei aufeinander­folgenden Nature-Artikeln (613:582-7 und 613:588-94).

Was Cas12a2 von allen bisher bekannten Cas-Nucleasen unterscheidet: „Wenn Cas12a2 eine Ziel-RNA gefunden hat, erfolgt eine massive Konformations­änderung des Proteins, was dazu führt, dass es alle DNA- und RNA-Moleküle in der Zelle zerstört”, erklärt Beisel. Dieses Massaker kann die Bakterienzelle natürlich nicht überleben. „Damit verhindert sie, dass sich das Pathogen vermehren und in der Population verbreiten kann. Es ist eine Art Populations­schutz.” Ein erstaunlicher Akt von Altruismus und Verwandtschafts­selektion, oder nicht?

Auf jeden Fall lässt sich auch diese Entdeckung biotechnologisch nutzen, nämlich zum Nachweis einer Nukleinsäure bekannter Sequenz, also für die molekulare Diagnostik. Markiert man ein Reporter-Oligonucleotid mit einem Fluoreszenz­farbstoff, leuchtet dieser, wenn die Nuclease durch die Anwesenheit einer Ziel-RNA aktiviert wurde und das Oligo zerschneidet. Dieses System ist ähnlich empfindlich wie solche mit anderen Cas-Nucleasen (Cas12a/b und Cas13); mit dem Unterschied, dass letztere als Reporter nur Einzelstrang-DNA bzw. RNA akzeptieren.

Raubkatzen im Labor

Ein weiteres CRISPR/Cas-basiertes Nachweis­system aus dem Beisel-Labor ist TIGER (Transcribed RNAs Inferred by Genetically Encoded Records). Es ist der Bruder (oder die Schwester?) von LEOPARD (Leveraging Engineered tracrRNAs and On-target DNAs for PArallel RNA Detection), das wir bereits ausführlich beschrieben haben (siehe „LEOPARD jagt RNA“). Beide Technologien wurden zum qualitativen und quantitativen Nachweis von RNA entwickelt. LEOPARD arbeitet in vitro mit isolierter Nukleinsäure. Diese Diagnostik-Plattform will Beisel demnächst kommer­zialisieren. „Wir werden eine Firma gründen“, erzählt er. Mit Unterstützung von Go-Bio, dem Helmholtz Validation Fund und dem Medical Valley Award geht es voran.

TIGER ist die Fortführung von LEOPARD, entwickelt vor allem von Chunlei Jiao, ehemaliger Doktorand und nun Postdoc in Würzburg (Nat Biotechnol, doi.org/grmkm5). „Mit TIGER können wir in vivo die aktuelle und frühere Anwesenheit spezifischer RNA-Moleküle in individuellen Bakterien­zellen beschreiben”, so Beisel. Dafür muss man die Zellen mit einem Cas9-Editor ausrüsten sowie mit einer umprogram­mierten trans-activating RNA (auch Raptor, kurz Rptr, genannt), die eine zur ausgewählten zellulären RNA komplementäre Sequenz enthält. Wird die nachzuweisende zelluläre RNA exprimiert, bindet sie an Rptr. Dieses Konstrukt übernimmt die Funktion einer guideRNA (gRNA), an die ein Cas9-Editor andockt. Hat sie eine passende DNA-Zielsequenz gefunden, macht sich der Editor ans Werk.

Die Zielsequenz muss etwa 25 bp lang und mit einer PAM-Sequenz ausgestattet sein. Die editierten Zielsequenzen werden mit jeder Zellteilung an die Nachkommen weitergegeben. Somit lässt sich anhand dieses Merkmals überprüfen, ob die betreffende RNA jemals in der Geschichte dieser Nachkommen synthetisiert wurde. Darin unterscheidet sich dieser RNA-Nachweis von klassischer Transkriptomik, denn Letztere kann immer nur den Ist-Zustand dokumentieren. „Das System funktioniert in Multiplex-Verfahren an einzelnen Zellen”, freut sich Beisel. Denn alle durch das System bewirkte Editierungen können simultan ausgelesen werden. „Wir wollen es zu einem Werkzeug entwickeln, mit dem wir beispielsweise die Aktivierung von Antibiotika-Resistenzen nachweisen können.”

Aller guten Dinge sind vier … Paper

Und als wäre das alles nicht schon spannend genug, entwickelte das Beisel-Team auch ein System, um die gezielte Editierung in Nicht-Modell-Bakterien zu verbessern (Nat Commun, 14:680). Mit E. coli ist Editierung ja wirklich ganz einfach: man transformiert die benötigten CRISPR/Cas-Werkzeuge sowie die erwünschte DNA-Sequenz in die Bakterien und kombiniert sie mit einem von Bakteriophagen stammenden Rekombinase-System, das das DNA-Template gegen die ursprüngliche Sequenz austauscht. Sämtlichen nicht geänderten Sequenzen macht CRISPR/Cas ein Ende. Auf diese Weise lassen sich kleine und große DNA-Abschnitte editieren.

Voraussetzung ist aber eine hohe Transformations­effizienz und das Vorhandensein einer Phagen-Rekombinase. „Für viele Nicht-Modell-Bakterien fehlt uns aber beides”, sagt Beisel. „Man hat in E. coli beobachtet, dass die Aktivität von Cas9 in der DNA mitunter nicht zum Zelltod führt, sondern die Bakterien durch RecA-gesteuerte homologe Rekombination, also ohne die Hilfe von Phagen-Rekombinasen, die Schnitte in der DNA reparieren können. An dieser Beobachtung setzten wir an und manipulierten die Biologie ein bisschen, um die Reaktivität des CRISPR/Cas-Systems zu bremsen.” Die Überlegung war: Wenn das Targeting weniger effizient und somit langsamer ist als die durch RecA-vermittelte Reparatur, überleben mehr Zellen. „Wir hatten verschiedene Optionen, das Targeting zu bremsen”, sagt Beisel.

Auf dem Bremspedal

Beispielsweise fügten Daphne Collias, Postdoc am HIRI, und ihre Kollegen Punkt­mutationen in die guideRNA ein, die Cas-Nucleasen zu einer ausgewählten Sequenz lenkt. Diese war somit nicht 100 % homolog zu der Zielsequenz und würde – so die Hoffnung – die Aktivität von Cas entschleunigen. Doch das alleine reichte nicht immer aus, um die RecA-vermittelte Überlebensrate der Zellen zu steigern. Also variierten die Gruppe auch die Expression der gRNA. „Die besten Editierungsraten von bis zu 97 % erhielten wir mit einer Kombination aus Missmatches in der gRNA und Ersatz des nativen CRISPR-Promotors durch einen weniger aktiven”, erklärt Beisel. Sowohl Form wie auch Expression müssen also geändert werden, um das System so zu bremsen, dass das bakterielle RecA-Reparatur­system genug Zeit hat, seinen Job zu erledigen. Das funktionierte nicht nur in E. coli, sondern auch in Klebsiella-Arten. Beisel denkt, man könne damit auch viele andere Bakterien­spezies genetisch verändern, die sich bislang der klassischen CRISPR/Cas-Editierung verweigern.

1993 erstmals beschrieben, 2013 als molekular­biologisches Werkzeug eingeführt, 2023 aus dem Leben des Molekular­biologen nicht mehr wegzudenken – man darf gespannt sein, was 2033 über CRISPR/Cas an Neuigkeiten zu berichten sein wird. Wir bleiben dran.

Karin Hollricher

Bild: Jack Bravo/University of Texas at Austin & Pixabay/OpenClipart-Vectors (Tiger)




Letzte Änderungen: 12.04.2023