Editorial

Reißfeste Seidenfaser
durch Muschelkleber

(03.05.2023) Fusioniert man rekombinante Seidenproteine mit dem Mussel foot protein 5, erhöht sich die Ausbeute im Bioreaktor und man erhält stabilere Fasern.
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Kleines Bild: Die „geklebte“ Seidenproteinfaser unter dem Rasterelektronenmikroskop

Fünftausend Jahre nach ihrer Entdeckung ist echte Seide noch immer etwas ganz Besonderes und entsprechend teuer. Neben der Modeindustrie hat aber längst auch die Biomedizin ein Auge auf sie geworfen. Die reißfeste, robuste und dennoch hauchdünne Naturfaser ist vielen chemisch-synthe­tischen Fasern überlegen – und ist zudem biologisch abbaubar und ein nachwachsender Rohstoff. Auf Seidenraupen oder Spinnen ist man bei der Produktion von Seide nicht (mehr) angewiesen, das übernehmen inzwischen Mikroorganismen. Diese synthetisieren rekombinante Seidenproteine, die aus vielen kurzen Einheiten des amyloiden Peptids bestehen, und in puncto Reißfestigkeit sowie anderen mechanischen Eigenschaften mit dem Original mithalten können (ACS Nano, 15(7):11843-53).

Die Ausbeute „mikrobieller Seide“ ist allerdings ziemlich mickrig. Dass ihre Synthese im Bioreaktor nicht so recht flutschen will, liegt an der Länge und Sequenz der Seidenproteine. Bei den sich ständig wieder­holenden kurzen Motiven, etwa des amyloiden Peptids FGAILSS, gerät die Translations­maschinerie unweigerlich ins Stottern. Die Fermen­tations­bedingungen lassen sich nicht mehr weiter optimieren und die Länge der Seidenproteine beziehungsweise die Anzahl oder Sequenz der Peptidmotive zu ändern, ginge auf Kosten der mechanischen Eigenschaften der Faser.

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Klebriger Muschelbart

Was also tun? Denkbar wäre, kürzere Stücke herzustellen und diese erst posttranslational zu polymerisieren. Dazu bräuchte man einen molekularen Kleber, der die Fragmente zu langen Ketten verknüpft. Ein Forscherteam um Fuzhong Zhang von der Washington University in St. Louis, USA, hat den passenden Kleber gefunden: Er stammt aus Muscheln und wird zusammen mit dem Seidenprotein in E. coli produziert.

Um auf ihrer Wanderschaft über Unterwasser­strukturen oder beim Klettern über ihre Artgenossen Halt zu finden, sekretieren Muscheln klebrige Proteine. Muschelfuß­proteine bilden sogenannte Byssal-Fasern, die unter Köchen auch als „Muschelbart“ bekannt sind. Bevor das Tier im Topf landet, schneidet der Koch den Muschelbart einfach weg. Damit landet das vielleicht wertvollste Stück der Muschel im Müll. Kulinarisch haben Muschelfuß­proteine keine Bedeutung, als Superkleber aber schon.

Das Mussel foot protein 5 (Mfp5) enthält viele Tyrosin-Reste, ist flexibel und bildet spontan ungeordnete Strukturen und Aggregate. Grund dafür sind vielfältige (kationische) Wechsel­wirkungen der Proteine untereinander und mit sich selbst. Zu ihrer Eigenschaft als molekularer Kleber tragen außerdem hydrophobe Effekte bei.

Kopf und Fuß verknüpft

Zhang und Co. haben Mfp5 in zwei Teile gesplittet und N- beziehungsweise C-terminal mit einer Seiden­protein­sequenz (16-mal sich wiederholende FGAILSS-Motive) fusioniert. Das Fusionsprotein ist circa 60 kDa schwer, der größte Teil besteht aus dem amyloiden Seidenprotein, das zahlreiche Beta-Faltblatt-Strukturen enthält. Die gesplitteten Mfp5-Fragmente paaren sich und verknüpfen die Kopf- sowie Fußenden der einzelnen Seidenproteine durch die muschel­typischen, „klebrigen“ Wechselwirkungen des Mfp5-Proteins.

Mfp5 besteht aus 74 Aminosäuren und ist knapp 9 kDa schwer. Die Split-Stelle geht ungefähr durch die Mitte des Proteins und generiert zwei unterschiedliche Hälften. Beide enthalten viele Tyrosin-Reste, eine Hälfte ist schwach positiv geladen (+1), die andere aufgrund vieler Lysin- und Arginin-Gruppen jedoch sehr stark (+15).

Das Fusionsprotein lässt sich mit guter Ausbeute herstellen und macht mit acht Gramm pro Liter Kultur fast ein Siebtel des Gesamtprotein-Gehalts aus. Gereinigt wird es mit der Nickel-Affinitäts­chromatographie. Für die Fasergewinnung nutzt man das Lösungsmittel Hexafluor­isopropanol (HFPI), das als starker Wasserstoff­brücken-Donor die Mfp5-Interaktionen unterbindet und das Protein durch Wasserstoffbrücken-Bindungen vor Aggregation oder Ausfällen bewahrt. Fasern sind die gezielt ausgefällte Form des löslichen Proteins. Sie bilden sich, wenn eine hoch­konzentrierte Proteinlösung in ein Koagulationsbad eintritt und eine möglichst große Kontakt­oberfläche vorhanden ist.

Doppelt harte Lakritzstrippe

Zhangs Team spritzte das aufkonzentrierte, in HFPI gelöste Fusionsprotein als Spinnlösung (Dope) in ein 95-prozentiges Methanolbad. Sobald die Lösung aus der dünnen Kanüle in das Bad fließt, verändern sich die Wechselwirkungen zwischen Protein und ursprünglichem Lösungsmittel. Anstelle der Wasserstoff­brücken-Bindungen mit HFPI überwiegen die nicht-kovalenten Bindungen zwischen den Mfp5-Fragmenten. Hierdurch bilden sich Fasern, die aus gestapelten Beta-Faltblatt-Strukturen des Seidenproteins bestehen.

Solche Strukturen hatten die Forscher schon in früheren Experimenten mit „unverklebten“ Proteinen in Beta-Nanokristallen beobachtet. Offensichtlich unterstützen die Mfp5-Enden die Anordnung der beta-Faltblätter entlang der Faser-Achse: Die Interaktionen der Mfp5-Moleküle innerhalb eines Faltblatt-Stapels halten kürzere Stapel zusammen; die Wechselwirkungen zwischen Mfp5-Molekülen benachbarter Stapel sorgen für die Aneinanderreihung.

Die entstandene Seidenfaser zeigt unter dem Raster­elektronen­mikroskop regelmäßig angeordnete Fibrillen, die eine ebenmäßig zylindrische Faser mit einem Durchmesser von circa 19 Mikrometern bilden (siehe Bild). Liebhaber von Lakritz-Meterstrippen erleben ein Déjà-vu. Gegenüber der kleberfreien Variante (16x FGAILSS) haben Fasern aus Mfp5-Fusionsproteinen eine 77 Prozent höhere Reißfestigkeit (400 MPa) und sind doppelt so hart (118 MJ/m3). Fasern aus Proteinen, die das ungesplittete Mfp5 nur an einem Ende tragen, sind deutlich schwächer.

Faseriges GFP

Dass die vielen Tyrosin-Reste wesentlich zur Festigkeit der Faser beitragen, zeigten Experimente mit mutierten Seidenproteinen. Im leicht sauren Milieu (bei pH 5,5) gesponnene Fasern sind durch verstärkte Kationen-π-Interaktionen noch stabiler (480 MPa, 179 Mj/m3). Beim „Nassspinnen“ der Faser wird die konzentrierte Proteinlösung langsam in 95 Prozent Methanol mit entsprechend eingestelltem pH-Wert (Natriumacetat) entlassen. Danach wird sie in einem 75- bis 80-prozentigem Methanolbad etwa auf die fünffache Länge gezogen und muss anschließend nur noch trocknen.

Wenn Interaktionen zwischen positiv geladenen Gruppen und Tyrosin-Resten der Mfp5-Moleküle entscheidend für den Aufbau und die Stärke des Seidenproteins sind, müsste das Prinzip auch bei anderen Proteinen funktionieren. Dass dies tatsächlich der Fall ist, belegte das Team mit drei ähnlich aufgebauten rekombinanten Faserproteinen. Sogar globuläre Proteine konnte es mithilfe der gesplitteten Mfp5 an beiden Enden in ein Faserprotein verwandeln. Deutlich verbesserte Faser­eigenschaften zeigte beispielsweise das grün fluoreszierende Protein (GFP), nachdem es die Arbeitsgruppe an beiden Enden mit den split-Mfp5-Molekülen ausgestattet hatte. Das GFP in Faserform büßte dabei nicht einmal seine Fluoreszenz ein.

Andrea Pitzschke

Li J. et al. (2023): Bi-terminal fusion of intrinsically-disordered mussel foot protein fragments boosts mechanical strength for protein fibers. Nat Commun, 14:2127.

Bild: Pixabay/2023852 & Li J. et al.




Letzte Änderungen: 03.05.2023