Editorial

Strahlender Elementetausch

(19.06.2023) Manche Bakterien sind nicht wählerisch. Statt Lanthanoiden akzeptieren sie auch radioaktive Actinoide, die etwa in Kernbrennstoffen enthalten sind.
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Deutschland ist ausgestiegen, Österreich war nie drin, andere Länder fahren – zum Entsetzen ihrer Nachbarn – jetzt erst richtig hoch. Ob man nun bei der Atomenergie aktiv dabei ist oder nicht, das Entsorgungs­problem verbrauchter Kernbrenn­stoffe ist ein globales. Endlager müssen für die Ewigkeit halten, da in den Brennstoffen auch radioaktive Elemente mit besonders langer Strahldauer enthalten sind. Americium zum Beispiel hat zwei langlebige α-strahlende Isotope: 241Am mit 432,2 und 243Am mit 7.370 Jahren Halbwertszeit.

Könnte man die langlebigen von den kurzlebigen abtrennen oder gar recyclen, wäre viel erreicht. Dass selbst für derartige Vorhaben die Mikrobiologie Lösungswege auf Lager haben könnte, zeigt ein Team um die Chemikerin Lena Daumann von der LMU München. In Zusammenarbeit mit dem Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf nahm es sich Bakterien vor, die Lanthanoide zum Leben brauchen. Einige methylo­trophe Bakterien haben als unverzichtbares Stoffwechsel­enzym eine Lanthanoid-abhängige Methanol-Dehydro­genase (MDH). Mit ihr verwerten sie Methanol oder Methan als Kohlenstoff- und Energiequelle.

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Ähnliche Eigenschaften

Aber müssen es wirklich immer Lanthanoide sein? Kommen die Bakterien nicht vielleicht auch mit Actinoiden zurecht – jene Unterzeile im Periodensystem, die gespickt ist mit radioaktiven Elementen? Von der Halbwertszeit einmal abgesehen unterscheiden sich manche Lanthanoide von manchen Actinoiden kaum. Ihr Radius ist vergleichbar, ihre Ladung (+3) ebenso. Vulkanbewohner wie Methyl­acidiphilium fumariolicum (SolV) arbeiten am liebsten mit leichteren Lanthanoiden. Der Ionenradius ist kleiner gegenüber den schwereren höherer Ordnungszahl. Auch bei den Actinoiden gibt es leichtere und schwerere, mit ähnlichen „Körpermaßen“ wie bei den Lanthanoiden.

Drei Actinoide – Plutonium (Pu), Americium (Am) und Curium (Cm) – kamen aufgrund der hohen Ähnlichkeit zu leichten Lanthanoiden für die Forscher in die engere Wahl. Zunächst stellten sie das Enzym XoxF-MDH rekombinant in E. coli her. N-terminaler His-Tag und Maltose­bindeprotein halfen bei der Affinitäts­aufreinigung und ließen sich durch Schnitt mit der TEV-Protease wieder beseitigen. Übrig blieb C-terminal Strep-getaggtes Apoenzym (apo-XoF-MDH), welches sich durch Inkubation mit dem Cofaktor Pyrrolo­chinolin­chinon (PQQ) und einem Metall der Wahl (alles äquimolar, 72 Stunden, 5°C) zum Holoenzym formieren sollte.

Plutonium tanzt aus der Reihe

Ob und wie aktiv ein rekonstituiertes Enzym war, ließ sich am Methanol­verbrauch (zu Formaldehyd) photometrisch verfolgen. Bei den leichten Lanthanoiden kletterte mit wachsender Ordnungszahl (= sinkendem Radius) die Enzymaktivität sukzessive und erreichte mit Neodym (Ionenradius: 95,8 Pikometer) ihr Maximum. Schwere Lanthanoide ergaben sukzessive sinkende Aktivitäten und wurden diesbezüglich von den Actinoiden – Am (98 pm) und Cm (97 pm), nicht aber Pu (99,5 pm) – überboten. Offenbar zählen für das Enzym also primär Ladung und Ionenradius seines Cofaktors.

Die zeitaufgelöste Fluoreszenz­spektroskopie zeigte außerdem, dass die Actinoide Am und Cm im Enzym an dieselbe Stelle binden wie die Lanthanoide. Dass Plutonium überhaupt nicht mitspielen wollte, könnte an seinem eigenwilligen Redoxverhalten liegen; denn es hält sich nicht konsequent an die Plus-3-Ladung. Enzyme, die nicht rekombinant in E. coli hergestellt, sondern direkt aus einem Methylo­trophen-Vertreter isoliert wurden, erwiesen sich als ebenso wählerisch und zeigten die gleichen abgestuften Präferenzen. Dass die Enzymmoleküle teilweise schon vorab von Lanthanoiden besetzt waren, wurde mitberücksichtigt.

Verbotene Gläser

Was in vitro funktioniert, könnte ja auch in „echt“ gelten, dachten sich Daumann und Co. Solange Bakterien Actinoide ähnlich gut wie Lanthanoide in ihre Zellen aufnehmen, intrazellulär transportieren und schließlich zum Enzymbau verwenden, müssten sie damit auch ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Die zwei Lanthanoid-abhängigen Stämme Methyl­acidiphilum fumariolicum (SolV) und Methylo­bacterium extorquens sollten die Frage klären. Letzterer könnte allerdings auch auf eine Calcium-abhängige MDH ausweichen. Um das zu unterbinden, verwendeten die Bayern und Sachsen eine Knockout-Mutante.

Außerdem war es wichtig, eine weitere Schlupftür zu blockieren. Lanthanoide werden in der Glasindustrie verwendet, um die optischen Eigenschaften von Glas zu verbessern, es zu färben, zu entfärben oder um Unebenheiten zu beseitigen. Gläserne Erlis waren somit tabu, da sie das Medium unberechenbar bereichern könnten. In Polypropylen-Kolben wuchsen nach etwas Anlaufzeit (20 Stunden) beide Stämme exponentiell über drei Tage, wenn das Medium einen passenden Cofaktor enthielt. Die Wachstumskurven gingen Hand in Hand mit der Abnahme freier Cofaktoren im Medium.

Üppiges Elemente-Büffet

Genau wie das MDH-Enyzm in vitro konnten auch die lebenden Bakterien nichts mit Plutonium anfangen und verhungerten. Bakterien, die sich am üppigen Büffet frei bedienen durften, griffen zuerst zum Lanthanoid Lanthan. Americium und Curium kamen aber schon auf Platz 2 und 3, vor den meisten anderen Lanthanoiden. Für diesen Test fand die Bakterien­kultivierung in Methan-begastem Medium statt, das sämtliche Lanthanoide zusammen mit Am3+ und Cm3+ äquimolar enthielt. Nach fünftägiger Inkubation waren 80 Prozent des Lanthans aufgebraucht, bei Americium und Curium immerhin 50 Prozent. „Damit konnten wir zum ersten Mal zeigen, dass Lebewesen diese radioaktiven Elemente zum Leben nutzen können“, hebt Daumann in einer Pressemitteilung hervor.

Was gerade Methylacidiphilum fumariolicum zu einem vielversprechenden Kandidaten für die Bioremediation und das Recycling von Lanthanoiden und Actinoiden macht, ist seine enorme Robustheit. Der Extremophilen-Vertreter toleriert saure Milieus und hohe Temperaturen. Also genau jene Bedingungen, die die Elemente für eine gute Löslichkeit brauchen.

Andrea Pitzschke

Singer H. et al. (2023): Minor actinides can replace essential lanthanides in bacterial life. Angew Chem Int Ed Engl, DOI: 10.1002/anie.202303669

Bild: H. Singer (Labor Daumann) & Pixabay/Clker-Free-Vector-Images (Warnzeichen: radioaktiv)


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Letzte Änderungen: 14.06.2023