Editorial

Das Preisschild am Wissen

(20.06.2023) Im April erklärten die Editorial Boards von NeuroImage und NeuroImage: Reports geschlossen ihren Rücktritt. Was war der Auslöser?
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Die 1992 gegründete Fachzeitschrift NeuroImage ist mit etwa eintausend Artikeln pro Jahr und überdurch­schnittlichen Zitations­metriken ein führendes Journal für bildgebende Neurowissen­schaften. Im Jahr 2020 stellte Elsevier die Fachzeitschrift vollständig auf Open Access (OA) um. Jeden Artikel lässt sich das Verlagshaus seitdem mit Article Processing Charges (APC) in Höhe von 3.150 Euro vergüten. NeuroImage: Reports ist eine 2021 aufgelegte OA-Begleit­zeitschrift, die Nullbefunde und registrierte Berichte veröffentlicht. Pro Artikel veranschlagt sie 1.640 Euro.

„Unsere Rücktritts­entscheidung fiel uns schwer“, erklärt Til Ole Bergmann, der schon während seiner Promotion Manuskripte für NeuroImage begutachtete, seit 2019 dort als Handling Editor und seit 2022 als Editor-in-Chief von NeuroImage: Reports tätig war. Hauptberuflich erforscht Bergmann als Associate Professor für Neuro­stimulation am Neuroimaging Center der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz die Funktion neuronaler Oszillationen des menschlichen Gehirns.

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Unangemessene Kosten

Im Juni 2022 hatten die Editoren von NeuroImage Elsevier erstmalig angeschrieben. „Über Monate versuchten wir, das Verlagshaus zu überzeugen, die APCs nicht weiter zu erhöhen, sondern zu halbieren. Ansonsten können Zeitschriften wie NeuroImage auf Dauer keinen Erfolg haben, da sich Forscher zunehmend gegen unangemessene Kosten für Veröffentlichung und Zugang wehren.“

Doch vergeblich: Elsevier lehnte eine Reduzierung der Artikel­gebühren kategorisch ab. Schließlich „gibt der Markt die derzeitigen APCs her und Autoren sind bereit, diese Gebühren zu zahlen“, fasst Bergmann Elseviers Argumentation zusammen. Als Konsequenz wiesen die Editoren den Wissenschafts­verlag im März 2023 darauf hin, aus ethischen Gründen zurücktreten und eine eigene Zeitschrift gründen zu müssen. Erneut war Elsevier nicht zur Diskussion bereit.

Beim niederländischen Wissen­schafts­verlag und weltweiten Marktführer Elsevier klingt das anders. Sein Vizepräsident für Globale Kommunikation Andrew Davies schrieb Laborjournal: „We are disappointed with the decision of the NeuroImage Editorial Board to step down from their roles, especially as we have been engaging constructively with them over the last couple of years […]“.

Neues Journal, neues Glück?

Schon zuvor waren Editorial Boards infolge von Kontroversen um das Geschäftsgebaren von Wissenschafts­verlagen zurückgetreten. So legte beispielsweise 2019 die Redaktion von Elseviers Journal of Informetrics einstimmig ihr Amt nieder und gründete die Fachzeitschrift Quantitative Science Studies. Ihre Begründung: Fachzeitschriften dürfen nicht länger im Besitz kommerzieller Verlage sein. Zeitschriften und Zitationsdaten müssen frei zugänglich sein. Das neu gegründete Journal hinkt Elseviers Zeitschrift in der Anzahl veröffentlichter Artikel und der Güte biblio­metrischer Indikatoren noch ganz knapp hinterher. Dafür veranschlagt es nur eine APC von 1.090 Euro – zwei Drittel weniger im Vergleich zu Elseviers 3.610 Euro.

Im Jahr 2015 trat das 37-köpfige Redaktionsteam von Elseviers Linguistik­journal Lingua zurück, um gegen die Geschäfts­praktiken des Verlags zu protestieren. Während die Editoren eine neue OA-Fachzeitschrift namens Glossa gründeten, führte Elsevier Lingua unter neuer Leitung fort. Sowohl in der Anzahl veröffentlichter Manuskripte als auch hinsichtlich von Zitations­metriken sind beide Journale mittlerweile gleichwertig. Lingua verlangt eine APC von 2.640 Euro; Glossa veranschlagt 500 Euro.

Präzedenzfall Biomedizin

Diesem Schema aus Rücktritt, Neugründung eines gemeinnützigen OA-Journals und Kosten­verringerung folgen auch Bergmann und seine Redaktions­kollegen. Mit der Fachzeitschrift Imaging Neuroscience ist es ihr erklärtes Ziel, NeuroImage als führendes Journal in den bildgebenden Neuro­wissen­schaften abzulösen.

In Kooperation mit dem US-Universitäts­verlag MIT Press ist nun zunächst eine APC von 1.600 US-Dollar vereinbart worden – also weniger als die Hälfte der APC von NeuroImage. Mithilfe von Sponsoren hoffen die Editoren, die APC von Imaging Neuroscience zukünftig unter 1.000 US-Dollar drücken zu können. „Inwieweit wir Gutachter­tätigkeit vergüten können, müssen wir in ein paar Jahren sehen“, ergänzt Bergmann. Denn vorerst sieht sich das neue alte Redaktionsteam keiner leichten Aufgabe gegenüber. „Hinsichtlich von Zitations­metriken fangen wir bei null an und müssen einerseits die Qualität und Leistung eines kommerziellen Verlags gewährleisten und uns andererseits gegen die etablierten Journale der Verlagsbranche durchsetzen“, ist sich Bergmann bewusst. Nicht selten misslingt das.

Eintausend Gutachter

Und NeuroImage? Elsevier stellt die Fachzeitschrift unterdessen auf ein Hybridmodell um, bei dem ein internes Redaktionsteam Manuskripte bewertet. Laut Bergmann bleibt dem Verlagshaus auch nichts anderes übrig: „Die wissenschaftliche Community steht hinter unserer Entscheidung. Wir haben ausschließlich positives Feedback erhalten. NeuroImage ist nicht länger in der Forschungs­gemeinde verankert. Für Imaging Neuroscience haben sich dagegen bereits über eintausend Wissenschaftler als Gutachter registriert.“ Elseviers Kommu­nikations­manager Davies sieht das anders: „We do not anticipate any major impact.“

Doch Bergmanns Hoffnungen hegten schon andere vor ihm. Als das Editorial Board von Elseviers Mathematik-Journal Topology 2006 zurücktrat, schrieb die American Mathematical Society: „The resignation of the Topology board could have a big impact if it were to set off a wave of resignations of boards of other commercially published journals.” Eine solche Welle an Rücktritten erwartet Bergmann nicht. „Andere Journale und Verlage beobachten natürlich genau, ob unser Geschäftsmodell bei einem nicht-kommerziellen Verlag funktioniert. Nur wenn wir erfolgreich und nachhaltig sind, finden wir Nachahmer“, ist er sich sicher. Oder einen Schritt weiter gedacht: Was genau soll es eigentlich so unmöglich machen, dass deutsche Universitäten ähnlich der MIT Press oder der Oxford University Press Publikations­belange in die eigenen Hände nehmen?

Henrik Müller

Dieser hier gekürzte Artikel erschien zuerst in ausführlicher Form in Laborjournal 6/2023.

Bild: brainwashed 4 you/Adobe Stock


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Letzte Änderungen: 20.06.2023