Editorial

Nahtlose Gen-Reparatur

(29.06.2023) CRISPR-Cas ist DAS Verfahren zum Editieren von Genen. Seine Nachteile umgeht das Start-up Seamless Therapeutics mit Designer-Rekombinasen.
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CSO Felix Lansing und CEO Anne-Kristin Heninger vor Rekombinase-Tetramer gebunden an DNA-Zielsequenz

Erbkrankheiten, die durch eine Veränderung in einem einzelnen Gen verursacht werden, sind prädestiniert für eine Gentherapie. Zu den bislang rund 8.000 monogenetischen Erbkrankheiten gehören beispielsweise die Muskel­dystrophie, Mukoviszidose und Chorea Huntington, die alle ohne Behandlung tödlich verlaufen und einen hohen Leidensdruck bei Betroffenen und Angehörigen verursachen. Gezielte Eingriffe ins Genom, die Genomeditierung, haben nicht nur das Potenzial defekte Gene auszutauschen oder zu reparieren – sie können auch chronische Infektionen heilen, indem sie zum Beispiel ins menschliche Genom integriertes virales Erbgut herausschneiden.

Seit seiner Etablierung als Werkzeug für die Genom­editierung steht die CRISPR-assoziierte Nuklease Cas9 besonders im Fokus der Aufmerksamkeit und wird oft salopp als „Genschere“ bezeichnet. Durch eine geschickt konstruierte Leit-RNA gelangt Cas9 zur Zielsequenz und erzeugt dort einen Doppel­strang­bruch. Nun kann ein DNA-Fragment entfernt oder ausgetauscht werden. Für das Schließen der Strangbrüche ist die Zelle auf ihr eigenes DNA-Reparatur­system angewiesen. Das hat mehrere Nachteile: Zum einen sind DNA-Reparatur­systeme vorwiegend in sich teilenden Zellen aktiv, sodass CRISPR-Cas in mitotisch inaktiven Zellen schlecht funktioniert. Zum anderen arbeiten die zelleigenen DNA-Reparatur­systeme nicht besonders genau – mit dem Risiko, dass „Indels“ Leseraster verschieben oder dass größere Deletionen, Translokationen bis hin zur von Krebszellen bekannten Chromothripsis ganze Chromosomen destabilisieren („CRISPR therapies march into clinic, but genotoxicity concerns linger“, Nature Biotechnology, 39, 897-9).

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Rekombinase statt Nuklease

Um diese Nachteile zu überwinden, setzt das Dresdener Start-up Seamless Therapeutics auf programmierbare Rekombinasen, die unabhängig vom zelleigenen DNA-Reparatur­system operieren. „Die Rekombinasen sind keine Scheren“, betont Anne-Kristin Heninger, die zum Gründerteam von Seamless Therapeutics gehört und das Unternehmen heute als Geschäftsführerin (CEO) vertritt. „Rekombinasen machen deshalb keine Fehler wie Nukleasen, sondern modifizieren DNA auf das Nukleotid präzise. Diese Genauigkeit ist ein wichtiger Sicherheitsaspekt für die Anwendung am Menschen.“ Ein weiterer Vorteil der Rekombinasen ist ihre Vielseitigkeit. Während CRISPR-Cas vor allem für das Heraus­schneiden von genetischem Material geeignet ist, können Rekombinasen im Prinzip alles: Genfragmente entfernen, einfügen, austauschen oder sogar invertieren.

Letzteres hat die Arbeitsgruppe von Frank Buchholz – Lehrstuhl­inhaber für Medizinische Systembiologie an der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden und ebenfalls Gründungs­mitglied von Seamless Therapeutics – im letzten Jahr anhand des Blutgerinnungs­faktors VIII (F8) an menschlichen Zellen in vitro demonstriert (Nat Commun, 13:422). Die Inversion eines ca. 140 Kilobasenpaar langen Abschnitts im F8-Gen verursacht eine schwere Form der Gerinnungs­störung Hämophilie A, die spontane, potenziell lebens­bedrohliche Blutungen auslöst und darüber hinaus zu chronisch schmerzhaften und degenerativen Gelenk­erkrankungen führen kann.

Ursächliche Therapie

Derzeit lassen sich bei der Hämophilie A nur die Symptome behandeln. Dazu wird den Patienten das fehlende Protein mehrmals wöchentlich intravenös verabreicht mit Kosten zwischen 100.000 bis 900.000 Euro pro Jahr und Patient. Eine Gentherapie mit einer Designer-Rekombinase hat dagegen das Potenzial, das defekte Gen direkt in den betroffenen Körperzellen zu reparieren und die Symptome damit langfristig zu verbessern – wenn nicht sogar die Krankheit zu heilen.

In den 2022 veröffentlichten Experimenten hatten die Autoren – zu denen neben Buchholz auch die Seamless-Therapeutics-Gründer Felix Lansing, Teresa Rojo-Romanos und Maciej Paszkowski-Rogacz gehören – mit ihrer Rekombinase RecF8 in etwa der Hälfte der kultivierten Endothel­zellen die erwünschte Reparatur erreicht. Da Schätzungen zufolge 2-5 % Restaktivität des Faktors VIII ausreichen, um die schweren Krankheits­symptome der Hämophilie A auf ein akzeptables Maß zu reduzieren, sollte diese Erfolgsquote für eine Therapie bereits ausreichen.

Auf eine Sequenz programmiert

Die Seamless-Rekombinasen basieren unter anderem auf der etablierten Cre-Rekombinase des Bacteriophagen P1. Diese erkennt bestimmte symmetrische, invers palindromische Sequenz­motive, die loxP-Stellen, an denen dann rekombiniert wird. „loxP-Stellen kommen im humanen Genom nicht vor“, weiß Felix Lansing, CSO und Mitgründer von Seamless Therapeutics. „Es ist also unsere Aufgabe, die Rekombinasen neu zu programmieren, sodass sie andere Zielsequenzen spezifisch erkennen. Unsere Arbeit beginnt deshalb immer mit einer bioinfor­matischen Analyse, um eine geeignete Zielsequenz zu finden. Anschließend wird die Rekombinase mit einem Prozess, den wir als molekulare Evolution bezeichnen, auf die Zielsequenz programmiert.“

Ein besonderer Kniff des Unternehmens ist die Kombination von zwei unter­schiedlichen Rekombinase-Untereinheiten zu einem Heterodimer, das im Unterschied zur Cre-Rekombinase asymmetrische DNA-Sequenzen erkennen kann. Grundsätzlich muss für jede neue Anwendung eine Rekombinase maßgeschneidert werden, erklärt Lansing: „Je nachdem, was wir machen wollen, können wir so vor und nach dem zu verändernden Genom­abschnitt die gleiche oder auch unterschiedliche Zielsequenzen adressieren.“

Reicher Geldsegen

Die Entwicklung der Technologie war eine Gemein­schafts­leistung, bei der jeder Gründer seine oder ihre Stärken einbringen konnte, betont die Seamless-Geschäfts­führerin Anne-Kristin Heninger. So ist Paszkowski-Rogacz als Bioinformatiker vor allem am Anfang des Prozesses involviert, während Rojo-Romanos und Lansing die Programmierung der Rekombinasen im Blick haben. Heninger bringt zellbiologische Expertise ein und hat sich in der Gründungs­phase auf Unternehmens­strategie, Business- und Finanzplan konzentriert. Frank Buchholz schließlich stellt seine langjährigen Erfahrungen in der Erforschung von Rekombinasen und seine Expertise in der Gründung von Biotech-Unternehmen in den Dienst des Start-ups.

„Seamless Therapeutics ist ein GO-Bio gefördertes Unternehmen“, so Heninger. „In der ersten Förderphase dieses BMBF-Förderprogramms erhielten wir als akademisches Projekt ca. 3,4 Millionen Euro, um unsere Technologie zu kommerzialisieren.“ Tatsächlich konnte das junge Unternehmen für eine Seed-Finanzierungsrunde die Investoren Wellington Partners und Forbion ins Boot holen und wurde außerdem in die zweite Förderphase von GO-Bio aufgenommen. „Insgesamt hat uns das 11,8 Millionen Euro gebracht“, freut sich die Geschäftsführerin.

Name mit Alleinstellungsmerkmal

Unter dem Namen Seamless Therapeutics debütierte das Unternehmen im März 2023 offiziell auf internationaler Bühne und konnte große Aufmerksamkeit für seine Genom­editierung­stechnologie erreichen. Der Name hebt dabei das Allein­stellungs­merkmal der Technologie hervor, denn die Rekombinasen arbeiten nahtlos, ergo „seamless“.

Im Prinzip können die Rekombinasen der Seamless Therapeutics nun auf jede beliebige Zielsequenz programmiert werden. Bevor sie in ersten klinischen Studien am Menschen erprobt werden können, gibt es für das junge Unternehmen aber noch einiges zu tun. Erstes Ziel ist es, eine eigene Pipeline an Produkt­kandidaten aufzubauen, einen Leitkandidaten voranzubringen und mit diesem die präklinische Entwicklung abzuschließen. Hier sieht sich das Gründerteam auf einem guten Weg.

Larissa Tetsch

Bild: Seamless Therapeutics/Frank Buchholz


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Letzte Änderungen: 29.06.2023