Editorial

Enzymatische
RNA-Schreibmaschine

(12.07.2023) Die Tage der althergebrachten chemische RNA-Synthese könnten gezählt sein, denn mit Enzymen ist die Synthese deutlich nachhaltiger.
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So überschaubar die vier Bausteine der RNA sind, so vielfältig sind die Strukturen und Einsatzmöglichkeiten von RNA – das Molekül kann die kühnsten Formen annehmen, Menschen vor Infektionen bewahren oder sogar Krebsleiden stoppen. Der Bedarf für therapeutische RNA-Moleküle wächst in einem Tempo, mit dem die chemische RNA-Synthese kaum noch mithalten kann. Vielleicht sollte sie es ohnehin nicht, denn die klassische Phosphoramidit-basierte RNA-Synthese, bei der der Strang von 3‘ nach 5‘ wächst, ist eine ziemlich schmutzige Technik. Wie bei der Phosphoramidit-Synthese von DNA werden reichlich Trichloressigsäure als Lösungsmittel und ätzendes Dimethoxytrityl als vorübergehende Schutzgruppe eingesetzt. Außerdem können die ziemlich rabiaten Bedingungen zur Abspaltung von Purinbasen (Depurinierung) führen.

Im Gegensatz hierzu arbeiten Enzyme, an denen die Evolution Jahrmillionen feilen konnte, nicht nur hocheffizient, sondern auch von Natur aus nachhaltig. Ihr Potenzial für die Synthese von Nukleinsäuren erkannte, neben anderen, auch George Churchs Gruppe an der Harvard Medical School – vor drei Jahren stellte sie eine Technik vor für die Template-unabhängige enzymatische DNA-Synthese mit der Terminalen Deoxynucleotidyl-Transferase (TdT) als Schlüsselenzym (siehe dazu auch „Großes Potenzial, aber noch viele Fragezeichen“ auf LJ online).

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Polymerase aus Spalthefe

Das Team entwickelte das Konzept der enzymatischem Nukleinsäure-Synthese weiter und übertrug es nun auf RNA. Der wesentliche Unterschied zwischen enzymatischer DNA- und RNA-Synthese ist das Enzym. Die Gruppe verwendet eine Variante der Poly(U)-Polymerase (PUP) aus der Hefe Saccharomyces pombe, die alle vier Nucleosidtriphosphate (NTPs) akzeptiert. Neben den NTPs benötigt die PUP ein kurzes Oligonucleotid, um die RNA Synthese in 5‘-3‘-Richtung aufnehmen zu können.

Damit jeweils die gewünschte Base in die wachsende Nucleotid-Kette eingefügt wird, und keine undefinierbar langen Homopolymere entstehen, enthalten die NTPs an der 3‘-OH-Position eine Schutzgruppe (reversibler Terminator). Diese muss stabil sein, sich unter möglichst milden Bedingungen wieder entfernen lassen und darüber hinaus auch möglichst klein sein, um sterisch nicht zu stören. Churchs Mannschaft wählte Allylether-Gruppen an den freien 3‘-OH-Gruppen der NTPs, die sie mit Palladium als Katalysator schonend und dennoch gründlich wieder ablösen konnte. Anders als bei der unter harschen Bedingungen ablaufenden chemischen Synthese sind keine weiteren Schutzgruppen, etwa an 2‘-OH, nötig, was das Protokoll und die Aufreinigung erleichtert. Die Deblockierung erfolgt durch sanfte Hydrolyse, anschließend kann der nächste „terminale“ NTP-Baustein an die RNA-Kette angehängt werden.

Fehlerfreie Arbeit

Im Flüssigphasensystem verfolgten Churchs Leute zunächst penibel jeden Schritt der enzymatischen RNA-Synthese. Analysen mit dem Massenspektrometer (MALDI-TOF, LC/MS) zeigten, dass das gewünschte Oligo, das zunächst zwei, dann fünf und schließlich zehn Nucleotide lang war, synthetisiert und isoliert wurde. Wie effizient die RNA-Synthese abläuft, hängt in erster Linie von der Konzentration des Initiator-Oligonucleotids ab sowie von der einzubauenden Nucleobase. Die Syntheseprodukte enthielten auch einige Verunreinigungen, die jedoch vor dem eigentlichen Produkt eluierten und daher nicht störten. Beim systematischen Durchspielen aller 16 möglichen Transitionen (A erkennen, T anhängen; T-A, A-A et cetera) arbeitete das Enzym fehlerfrei und fügte alle NTPs mit gleicher Effizienz an die RNA an. Ins Stottern geriet die Synthese jedoch hin und wieder bei längeren Abschnitten mit mehr als zehn Nucleotiden, bei denen falsche A-Homopolymere entstanden, zum Beispiel AAGAAA statt AAGAA.

Die PUP-Variante akzeptierte auch modifizierte NTPs, etwa 2‘-OH-NTPs, und verknüpfte beliebig kombinierbare Fluoro- sowie 2‘-O-methyl-Derivate zu den gewünschten RNA-Sequenzen. Mit alpha-Phosphorothioat (PS)-modifizierten NTPs tauchte jedoch ein noch ungelöstes Problem auf – die PS-NTPs wurden von der PUP eingebaut, zerfielen jedoch beim Deblockierschritt.

Dürftige Ausbeute

Für die Synthese von Oligosequenzen mit längeren Homopolymer-Abfolgen, beispielsweise CUACUAAAAAAAAAAAAAAAAAAA, nutzten die Forscher und Forscherinnen nichtblockierte NTPs, die teilweise mit N6-propargyl-ATP oder 2-Ethynyl-ATP modifiziert waren – die Modifikationen können als Anknüpfungspunkte für GalNAc-Gruppen dienen, die zum Beispiel bei RNA-basierten Therapeutika eingesetzt werden.

Weil die Ausbeute des Flüssigphasensystems zu wünschen übrig ließ, tüftelte das Team auch an der enzymatischen Festphasensynthese. Hierzu benötigte es ein Enzym, das die fertiggestellten RNA-Fragmente vom Initiator-Oligo ablöst, und stieß schließlich auf die Endonuclease V aus E. coli. Die Nuclease erkennt Inosin und durchtrennt die Sequenz zwei Basen weiter abwärts. Für die Festphasensynthese integrierte die Gruppe ein Inosin im Initiator-Oligo oder fügte zum gewünschten Zeitpunkt der Synthese ein reversibles Inosin-Terminator-NTP (3‘-O-allylether) hinzu.

Unerwünschte Nebenprodukte

Als Matrix für die Festphasensynthese diente ein mit langkettigem Alkylamin (LCCA) derivatisiertes sogenanntes Controlled Pore Glass (CPG), das auch für die übliche Festphasensynthese von DNA eingesetzt wird. Mit einem Bis(NHS)PEG5-Linker sowie einer NHS-Konjugationsreaktion verknüpfte das Team das Initiator-Oligonucleotid mit dem Glas – das Oligo enthielt an der gewünschten Position eine Deoxy- oder Riboinosin-Base, um von der Endonuclease V erkannt zu werden.

MALDI-TOF-Analysen der Gruppe belegen, dass bei der Festphasensynthese überwiegend die geplanten N+5-Produkte mit den gewünschten 2‘-Modifikationen entstanden. Es traten aber auch Nebenprodukte (N+4, N+6) auf. Diese könnten darauf zurückzuführen sein, dass die PUP nicht optimal an das Oligo auf der Glasoberfläche herankommt. Church und Co. arbeiten aber bereits daran, diese Schwachstelle zu beseitigen.

Andrea Pitzschke

Wiegand D. et al. (2023): A platform for controlled template-independent enzymatic synthesis of RNA oligonucleotides and therapeutics. bioRxiv, DOI: 10.1101/2023.06.29.547106

Bild: Pixabay/BrianPenny




Letzte Änderungen: 12.07.2023