Editorial

Neuschreiben
mutierter Gene

(16.08.2023) Krankmachende Mutationen können auf sehr langen Genabschnitten verteilt sein. Mit dem Long-Range Rewriting kann man sie auf einen Schlag editieren.
editorial_bild

Beim Blick auf Wirkstoff-Statistiken offenbart sich ein Faible vieler Pharma­unternehmen für seltene Krankheiten. Von 561 Therapeutika, die die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) zwischen 2016 und 2022 zugelassen hat, zielen 107 auf „Orphan Diseases“. Damit kommt Letzteren eine überproportional hohe Bedeutung zu, die mit dem Einzug von CRISPR/Cas-Gentherapien weiter steigen könnte (siehe dazu auch „Gentherapie kurz vor dem Ziel“ auf LJ online).

Seltene Krankheiten sind auf Defekte in bestimmten Genen zurückzuführen. Je nach Patient treten die Mutationen aber häufig an vielen verschiedenen Positionen innerhalb der oft langen Gene auf. Das erschwert die Entwicklung effizienter Therapien, weil für jede einzelne Mutation ein individueller Ansatz nötig ist – inklusive dem gesamten Rattenschwanz aus Forschung, Entwicklung, klinischen Studien, Zulassung sowie Produktion, der die Kosten in die Höhe treibt.

Editorial

Grobe und präzise Reparatur

Das kalifornische Start-up CRISPR-HR Therapeutics will dies ändern, indem es die homologe Rekombination bei CRISPR-Cas-basierten Gentherapien bestmöglich ausreizt. Zur Erinnerung: Die zwanzig Nukleotide lange Spacer-Sequenz der guide-(g)RNA leitet die Genschere Cas9 an die komplementäre Sequenz im Genom, worauf sie beide DNA-Stränge zerschneidet. Den hierdurch entstandenen Doppelstrangbruch kann die Zelle auf zweierlei Weise reparieren: Durch Non-Homologous End Joining (NHEJ) oder Homology-Directed Repair (HDR). Beide Mechanismen konkurrieren – NHEJ ist aber deutlich effizienter und die Wahrscheinlichkeit für HDR ist vergleichsweise gering. Der Bruch wird beim NHEJ jedoch oft fehlerhaft zusammengefügt und die dabei entstehenden Insertionen oder Deletionen (INDELs) entstehen durch Zufall. Mit Hinblick auf eine Gentherapie ist dieser Prozess eher etwas fürs Grobe, etwa zum Ausschalten eines Gens.

Bei der viel präziseren HDR wird dagegen ein zugegebenes homologes DNA-Template mit der korrigierten Sequenz in die Bruchstelle eingebaut. Dazu trägt das Template beidseitig homologe Enden, die zu den stumpfen Enden (blunt ends) des Doppelstrangbruchs passen. Die Stränge dröseln sich auf und komplementäre Moleküle paaren sich neu. Im Zuge des sogenannten Rewriting kopiert die HDR-Maschinerie die neue Sequenz und integriert sie ins Genom.

Großzügiger Austausch

Mit den bisher verwendeten Techniken beschränkt sich die Rewriting-Kapazität aber nur auf kurze Abschnitte von 1 bis 100 Basenpaaren (bp). Ließe sich das Rewriting auf deutlich längere Abschnitte ausdehnen, würden sich die Türen für effizientere Gentherapien ziemlich weit öffnen – man könnte dann lange Genabschnitte, die viele einzelne Mutationen enthalten, großzügig entfernen und durch korrekte Fragmente ersetzen.

Die Kalifornier nahmen sich als Testobjekt für dieses sogenannte „Long-Range Rewriting“ zunächst einen über 3 kb langen Abschnitt des Gens für den Blut­gerinnungs­faktor VIII (F8) vor, in dem 65 Mutationen bekannt sind, die zu schwerer Hämophilie A führen können. Mit zwei guide-RNAs zielte das Team auf den Anfang und das Ende des 3,3-kB-Abschnitts im Genom (Exon 14 von F8) – Cas9 sollte das Genom nicht einfach nur aufschneiden, sondern das angepeilte Stück herauslösen. Als Template-DNA diente eine via PCR hergestellte dsDNA mit der korrekten Gensequenz sowie homologen Enden, die sich an neun Positionen von dem ursprünglichen Genabschnitt unterschied. Anschließend schleuste die Gruppe Cas9, die beiden gRNAs (dual guide) sowie das dsDNA-Template in Lungen­karzinoma-Zellen (H1299-Zellen) ein und untersuchte die Zellen nach 1, 3, 5 und 10 Tagen mit Restriktions­analyse sowie Next Generation Sequencing.

Funktioniert auch mit SluCas9 und Nickasen

Ähnlich wie bei anderen CRISPR-Editier-Assays beobachteten die Forschenden nach dem dritten Tag die besten Ergebnisse. Zudem zeigte sich, dass zwei der vier getesteten gRNA-Paare besonders gut geeignet waren und die höchsten Editier-Erfolge ergaben. Mit der auf homologe Rekombination getrimmten Cas9-Variante, Cas9-HR, traten weniger INDELs auf als mit normaler Cas9. Dies bestätigte sich bei weiteren, auf gleiche Weise ausgetauschten Sequenzen, die mit genetischen Krankheiten assoziiert waren. Das Team wagte sich dabei an immer längere Gen-Abschnitte heran. Es tauschte zum Beispiel eine 8 kb lange Sequenz des Exons 30 im Gen für das Apolipoprotein B (ApoB) aus, die für die meisten krank­machenden Mutationen bekannt ist und neun Mutationen enthielt. In diesem Fall gelang der Austausch aber nur mit der nativen Cas9, Cas9-HR war bei dieser Länge überfordert.

Das Long-Range Rewriting der Gruppe funktionierte nicht nur mit der klassischen SpCas9 aus Strepto­coccus pyogenes, sondern auch mit der schlankeren Cas9-Variante SluCas9 aus Staphylo­coccus lugdunensis. Und sie lässt sich auch mit Nickasen durchführen. Schnitten zwei unterschiedliche Nickasen vor und hinter dem anvisierten Genom­abschnitt jeweils einen Strang, erzielte die Gruppe Editier­-Effizienzen von fünf bis zehn Prozent.

Nach weiteren umfangreichen Editier-Experimenten kamen die Forschenden zum Ergebnis, dass die Wahl der beiden guide-RNAs eine große Rolle für den Editier-Erfolg spielt und die Editier-Ergebnisse in HEK203- sowie H1299-Zellen sehr ähnlich sind. Derzeit versuchen die Kalifornier die Technik so zu optimieren, dass INDELs möglichst weitgehend unterdrückt werden.

Andrea Pitzschke

Piggott C. et al. (2023): Methods and techniques enabling multi-kilobase long-range genomic rewrite/replace editing. bioRxiv, DOI: 10.1101/2023.08.05.551844

Bild: Pixabay/stux




Letzte Änderungen: 16.08.2023