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(17.08.2023) Das Start-up-Projekt Umlaut.bio von EMBL-Forscher Lars Steinmetz hat es auf modifizierte tRNAs abgesehen, die Tumorzellen beim Wachsen helfen.
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Das Münchner Innovations- und Gründerzentrum für Biotechnologie (IZB) liegt nicht in München, sondern im beschaulichen Martinsried, nur wenige Kilometer südlich-westlich der bayerischen Landes­hauptstadt. Der etwas dörfliche Charakter mit nur wenig mehr als 4.000 Einwohnern sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Martinsried als El Dorado der Biotechnologie gilt und neben bereits etablierten Unternehmen jede Menge Start-ups beherbergt (viele davon im IZB), aus dem namhafte Firmen wie Amgen (damals Micromet) und MorphySys hervorgegangen sind. Zum gründungs­freundlichen Klima trägt sicher auch die Nähe zu Forschungs­instituten der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, der LMU-Uni-Klinik Großhadern und der beiden Max-Planck-Institute für Biochemie und für biologische Intelligenz (bis 2023 MPI für Neurobiologie) bei.

Gemeinsam mit dem High-Tech Gründerfonds (HTGF) sowie den Firmen Bayer, Boehringer Ingelheim und Medice veranstaltet das IZB regelmäßig einen Life Science Pitch Day, bei dem Start-ups die Chance bekommen, ihre Geschäftsideen einer Gruppe von Investoren und Entscheidungs­trägern aus der Industrie vorzustellen. Dieses Jahr waren aus ganz Deutschland und der Schweiz 16 Projektteams am Start, um ihre Ansätze zur Bekämpfung von Krebs, Infektions-, Autoimmun-, Alters- und Stoffwechsel­krankheiten vorzustellen.

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Modifizierte Nukleotide

Aus Heidelberg nach Martinsried angereist war Bastian Linder für Umlaut.bio. Das in Gründung befindliche Spin-out aus der Arbeitsgruppe von Lars Steinmetz am Europäischen Molekularbiologie-Labor (EMBL) konzentriert sich auf niedermolekulare Wirkstoffe, die auf tRNA-Modifikationen abzielen und als neuartige Therapeutika gegen eine Vielzahl von Krebs­erkrankungen eingesetzt werden sollen.

Im Mittelpunkt stehen dabei modifizierte Nukleotide in Transfer-RNAs, also solche, die nicht den „Standard­buchstaben“ im genetischen Code entsprechen, wie Co-Gründer Linder erklärt. Solche modifizierten tRNA-Nukleotide seien häufig an der Genregulation beteiligt und für Krebszellen besonders wichtig. Der Grund dafür war allerdings bislang unklar. „Unsere Forschung hat nun einen Mechanismus identifiziert, durch den diese modifizierten tRNAs protein­codierende Boten-RNAs vor ihrem Abbau schützen“, so Linder. „Dies betrifft vor allem mRNAs von Signalwegen, die Tumorzellen für ihr Wachstum benötigen, und zwar unabhängig von der genauen Art des Tumors.“

Umlaut.bio möchte deshalb Wirkstoffe entwickeln, die in der Lage sind, die Entstehung von tRNA-Modifikationen zu modulieren. „Dadurch können wir regulierend in die Genexpression eingreifen, und zwar einerseits so spezifisch, dass hauptsächlich Signalkaskaden betroffen sind, die Tumorzellen für ihr Wachstum benötigen, andererseits aber so breit, dass unser Ansatz in verschiedenen Krebsformen funktionieren sollte.“

Eine neue Art von Therapie

Da das Fehlen der tRNA-Modifikationen die Translation nicht behindert, sondern nur die Stabilität der mRNAs verändert, gehen Linder und Steinmetz davon aus, dass die meisten Zellen die von ihnen entwickelten Medikamente gut tolerieren werden. „Unsere Wirkstoffe sollten nur auf Krebszellen wirken, die übermäßig abhängig von den verschiedenen Signalwegen sind. Daher eignet sich unser Ansatz für die Entwicklung einer neuen Art von nebenwirkungsarmer Krebstherapie“, sind die Forscher überzeugt.

Linder ist Experte, was RNA-Modifikationen angeht, und hat Methoden zu ihrer Bestimmung entwickelt, die heute zum Stand der Technik gehören. Steinmetz forscht neben dem EMBL auch an der Stanford University zu Genomik und Präzisions­medizin und ist außerdem ein erfahrener Gründer, der Firmen schon bis zu ihrem Börsengang begleitet hat. So ist Sophia Genetics zehn Jahre nach der Gründung im Jahr 2011 seit 2021 an der Nasdaq gelistet. Die Firma bietet eine Software-Plattform an, mit der Krankenhäuser, Labore und Pharmafirmen unter anderem genomische Daten analysieren lassen können.

Der ungewöhnliche Firmenname Umlaut.bio bezieht sich laut Linder auf die chemischen Veränderungen an den Buchstaben des genetischen Codes, die die Grundlage für die Medikamenten­entwicklung bilden. Nun soll die Ausgründung mit voller Kraft vorangetrieben werden, um möglichst bald die ersten präklinischen Daten zu erzeugen. Der Life Science Pitch Day war aus Sicht von Umlaut.bio ein voller Erfolg: „Wir haben wichtiges Feedback von institutionellen Investoren bekommen und konnten sogar einige Risikokapitalgeber für weiterführende Gespräche gewinnen.“

Larissa Tetsch

Bild: Pixabay/WOKANDAPIX


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Letzte Änderungen: 17.08.2023