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Der automatische
Wurzelinspekteur

(04.10.2023) Mit dem Root Walker können Forschende genau beobachten, was an den Wurzeln von Pflanzen nach einem äußeren Stimulus passiert.
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Wer die Wurzeln von Pflanzen vermessen oder die Wirkung eines Effektors auf das Wurzelwachstum beobachten will, braucht vor allem Geduld. Bis eine Substanz von der Wurzel wahrgenommen wird und sich hierdurch ihr Wachstum verändert, dauert es eine ganze Weile. Selbst bei den dünnen Wurzeln von Arabidopsis thaliana können dabei Stunden vergehen. Mit dem Edding täglich Pünktchen auf der Petrischale zu setzen und irgendwann die Tages­etappen am finalen Scan nachzuvollziehen, ist eine eher ungenaue Aschenputtel­arbeit.

Außerdem sind gerade die unmittelbaren Reaktionen auf einen äußeren Reiz die spannendsten. Meist werden diese eher molekular­biologisch in aufgeschlossenen Wurzelproben erfasst – und damit nur genau einmal pro geopferter Pflanze. Besser wäre es, die Wurzeln nichtinvasiv mit einem automatisierbaren, hochauflösenden Mikroskop zu beobachten, das selbst winzige Wachstums­fortschritte von wenigen Mikrometern erfasst. Da jede Pflanze individuell ist, müsste man zudem ein paar Dutzend Exemplare gleichzeitig verfolgen können, um statistisch belastbare Ergebnisse zu erzielen. Das Mikroskop nur auf eine einzelne Wurzelspitze zu fokussieren, würde wenig nützen. Es muss verschiedene Wurzeln ins Visier nehmen können, und die Bewegung jeder einzelnen präzise und automatisch erfassen. Und zu guter Letzt sollte es auch bezahlbar sein.

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Herzstück: Inversionsmikroskop

Der von Wolfgang Buschs Team am Salk Institute for Biological Studies in La Jolla (USA) entwickelte Root Walker kommt diesem Idealbild eines Instruments zur automatischen Beobachtung des Wurzelwachstums recht nahe. Herzstück des Root Walkers ist ein preiswertes kommerzielles Inversions­mikroskop, das Bilder von drei Petrischalen gleichzeitig aufnimmt, auf denen jeweils bis zu zwanzig nebeneinander aufgereihte Arabidopsis-Keimlinge auf Agar wachsen. Vier Mikroskope hintereinander geschaltet können 12 Platten und bis zu 240 Keimlinge parallel beobachten. Der Nutzer kann die automatische Aufnahmefrequenz individuell einstellen, beispielsweise auf ein Bild pro Minute über eine Stunde hinweg, oder ein Bild alle fünf Minuten innerhalb von zwölf Stunden.

Die Gruppe von Busch, der am Max-Planck-Institut für Entwicklungs­biologie der Universität Tübingen promoviert hat und nach einer Zwischenstation am Gregor-Mendel-Institut für Molekulare Pflanzenbiologie in Wien nach Kalifornien ging, programmierte ein entsprechendes Software-Tool zur automatisierten Bildbearbeitung und -analyse, das die wichtigsten Informationen aus den Aufnahmen extrahiert. Der Nutzer muss lediglich festlegen, wo die Originalbilder gespeichert und Analyse­ergebnisse abgelegt werden sollen. Die Software vereint zunächst alle Aufnahmen eines Zeitpunkts zu einem gemeinsamen Bild, das binarisiert wird. Jedes Pixel hat eine Identität von „0“ (Wurzel, schwarz) oder „1“ (Agar, transparent). Hierdurch lässt sich die Mittelachse jeder Wurzel für die weitere Verarbeitung definieren – und man kann die Wurzel virtuell rekonstruieren und jedes hinzukommende Wachstum detektieren und vermessen.

Nur aktueller Wachstumsfortschritt

Die Bildverarbeitung merzt Artefakte aus, etwa Luftblasen, die an ihren für Wurzeln untypischen Maßen erkannt werden. Wurzeln wachsen nie kerzengerade und schon gar nicht alle zwanzig Exemplare einer Platte. Für den Root Walker ist das aber kein Problem, denn er misst immer nur das neu hinzugekommene Wachstum. Der Endpunkt einer vorangegangen Aufnahme wird jeweils zum Startpunkt der nächsten Aufnahme. Das Wachstum in der Vergangenheit ist passé und wird jeweils überschrieben – es zählt nur der aktuelle Wachstums­fortschritt.

Zwei automatisch generierte Diagramme liefern eine Übersicht der Analyse­ergebnisse. Eines davon zeigt die zunehmende Wurzellänge jeder Pflanze über die Zeit. Das zweite Diagramm stellt diese Ergebnisse als Durchschnittswerte gruppierter Keimlinge dar. Eine Gruppe könnten zum Beispiel Keimlinge gleichen Genotyps oder mit identischer Behandlung sein. Die im csv-Format dargestellten Ergebnisse enthalten Pixel-Angaben, die mit bekanntem Umrechnungsfaktor zu Längen­angaben konvertiert werden.

Beschleunigt und gestoppt

Die Forschenden testeten die Leistungsfähigkeit des Root Walkers mit Keimlingen, die auf normalem Medium vorgezogen und dann auf Agar mit zugesetzten Substanzen transferiert wurden. Enthielt der Agar Auxin in Konzentrationen von 10 nm oder 100 nm beschleunigte sich das Wurzelwachstum innerhalb einer Minute. Die Behandlung mit zwei Inhibitoren der Mitogen-aktivierten Proteinkinase Homolog 2 (MPK2) wirkte sich nach zwei Stunden auf das Wachstum der Wurzeln aus. MPK2 ist Teil des MAPK-Signalwegs, der in Eukaryonten zentrale Entwicklungs­schritte steuert. Offensichtlich stoppt das Wachstum nicht, weil die Inhibitoren eine inaktive MPK2-Vorstufe abfangen, sondern weil sie die Aktivität von MPK2 blockieren.

Der Root Walker ist auch für den Hochdurchsatz geeignet. Für eine genomweite Assoziationsstudie des Teams zum Wurzelwachstum von 260 Arabidopsis-Mustern (Akzessionen) benötigte eine Person zwei Wochen. Neben den bekannten Genotypen, die das Wurzelwachstum regulieren, fand sie mithilfe des Root Walkers auch neue.

Andrea Pitzschke

Platre M. P. et al. (2023): Root Walker: an automated pipeline for large scale quantification of early root growth responses at high spatial and temporal resolution. BioRxiv, DOI: 10.1101/2022.11.16.516796

Bild: Pixabay/Herbert_Winkler



Letzte Änderungen: 04.10.2023