Editorial

Irgendwann ist’s
mal gut mit Zitieren

(20.10.2023) Wenn etwas zum allgemeinen Fachwissen oder Laborhandwerk gehört, sollte man die zugrundeliegenden Arbeiten nicht mehr zitieren. Eigentlich jedenfalls.
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Jeder Labor-Biologe stellt mit dem pH-Meter seine Puffer ein. Doch wer zitiert dafür den dänischen Chemiker Søren Peder Lauritz Sørensen, der 1909 erstmals das Konzept der pH-Skala vorstellte?

Oder ähnliche Frage: Welcher Arabidopsis-Forscher zitiert noch den Erfurter Arzt und Botaniker Johannes Thal, der 1577 erstmals das heutige Top-Modell der molekularen Pflanzenforschung beschrieb?

Sørensen und Thal könnten so gesehen gut und gerne zu den meistzitierten Köpfen der wissenschaftlichen Literatur gehören. Tun sie aber nicht – und das ist auch richtig so. Denn irgendwann gehören Dinge einfach zum allgemeinen (Fach-)Wissen oder Handwerk – und spätestens dann sollte es mal gut sein mit Zitieren.

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Routine in den Referenzen

Aus diesem Grund zitiert auch keiner mehr Charles Darwin, wenn er den Begriff „natürliche Selektion“ verwendet. Oder Friedrich Miescher beziehungsweise James Watson und Francis Crick, wenn er über DNA schreibt. Alle Vier würden sonst sicher mit zu den meistzitierten Autoren aller Zeiten gehören.

Allerdings: Was ist dann mit Ulrich Laemmli, der 1970 das erste SDS-Polyacrylamidgel fuhr? Oder mit Oliver Lowry und Marion Bradford, die 1951 und 1976 unterschiedliche Methoden zur Proteinbestimmung entwickelten? Seit Jahrzehnten gehören die drei Methoden zur absoluten Routine in jedem biochemisch-molekularbiologischen Labor. Dennoch werden die Drei bis heute weiterhin fleißig zitiert – zuletzt jeweils runde fünfzig Mal pro Jahr.

Irgendwie scheinen die drei einfach Glück gehabt zu haben. Im Gegensatz zu vielen anderen, wie etwa dem Schweden Arne Tiselius, der 1937 die Agarosegel-Elektrophorese in der heute noch üblichen Form veröffentlichte – aber schon lange in keiner Referenzliste mehr auftaucht. Und dieses „Glück“ sorgte letztlich dafür, dass die Artikel von Lowry, Bradford und Laemmli heute die drei meistzitierten wissenschaftlichen Veröffentlichungen aller Zeiten sind.

Zitierungen oder Erkenntnistiefe?

Schön für sie! Und klar, methodische Fortschritte sind enorm wichtig für den wissenschaftlichen Fortschritt. Aber dennoch stehen Lowry, Bradford und Laemmli diesbezüglich ja wohl kaum auf einer Stufe mit Darwin, Miescher oder Watson und Crick.

Wie bitte? Ach so, ja klar – hier geht‘s ja nicht um Erkenntnistiefe, sondern „nur“ um Zitierungen. Und was zählen die heute schon bei der Bewertung wissenschaftlicher Leistungen?  …

Ralf Neumann

(Illustr.: Eric Dee)

 

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Letzte Änderungen: 16.10.2023