Editorial

„Es ist ein mutiger Schritt der Kommission“

(13.11.2023) Das sagt Klaus-Dieter Jany über die geplante EU-Verordnung, die bestimmte genomeditierte Pflanzen mit Sorten aus klassischer Zucht gleichstellt.
editorial_bild

Für die Risiko­bewertung genetisch modifizierter Pflanzen war bislang die Methode wichtiger als das Ergebnis. Dabei erzeugen CRISPR/Cas9 & Co. in vielen Fällen Varianten, wie sie auch auf natürliche Weise oder durch klassische Zucht hätten entstehen können. Nach dem EuGH-Urteil zur Einordnung von Mutagenese-Verfahren aus dem Jahr 2018 fallen aber auch Pflanzen, die durch Genom­editierung erzeugt sind, unter die gesetzlichen Regelungen für gentechnisch veränderte Organismen (GVOs).

Im Sommer dieses Jahres legte die Europäische Kommission nun einen Vorschlag für eine Verordnung vor, die den Umgang mit Nutzpflanzen zeitgemäß regeln soll und neue genomische Techniken speziell berücksichtigt. Konkret geht es dabei um Pflanzen zur Erzeugung von Lebens- und Futtermitteln. In einer gemeinsamen Stellungnahme äußern sich der Wissenschaftskreis Genomik und Gentechnik e. V. (WGG) und der Verband Biologie, Biowissenschaften & Biomedizin in Deutschland (VBIO) weitestgehend positiv zum Entwurf. Darüber sprachen wir mit Klaus-Dieter Jany, dem Vorsitzenden des WGG.

Editorial

Neu im Entwurf sind die Kategorien NGT-1 und NGT-2 – NGT steht für Neue Genomische Techniken. Was unterscheidet NGT-Pflanzen von herkömmlichen GVOs?
Klaus-Dieter Jany: Früher, bei der klassischen Gentechnik, hat man in der Regel komplette funktionelle Gene ziemlich ungerichtet ins Genom einer Pflanze eingeführt. Heute, mit den neuen genomischen Techniken, kann man sehr gezielt entsprechend einer vorgegebenen Sequenz die DNA schneiden und einzelne Basen austauschen oder eliminieren; oder kurze Nukleotid­sequenzen einführen, um zum Beispiel ein Enzym zu modifizieren. Wie in der klassischen Gentechnik könnten auch gesamte neue funktionelle Gene eingefügt werden. Was nun bei der geplanten Gesetzgebung für NGT-Pflanzen neu ist: Sie berücksichtigt nur Pflanzen, in die keine sogenannte artfremde DNA eingeführt wurde. Es muss immer etwas sein, was – wie man so schön sagt – bereits im Züchterpool vorhanden ist. Das gilt insbesondere für komplette Gene. Ein berühmtes Beispiel hierfür ist der gegen Apfelschorf resistente Apfel in der Schweiz. Der würde nun nicht mehr unter die klassische Gentechnik-Regelung fallen, sondern wäre von der neuen Verordnung erfasst. Gegenwärtig werden wahrscheinlich 95 Prozent aller genom­editierten Pflanzen ohnehin nur dahingehend modifiziert, dass wenige Basen betroffen sind. Das wären dann NGT-1-Pflanzen, und die hätten die geringsten regulatorischen Hürden. Hier wurde keine fremde DNA eingefügt, und die Pflanzen sind auch nicht von natürlich vorkommenden oder auf herkömmliche Weise gezüchteten Sorten zu unterscheiden.

NGT-2-Pflanzen können aber auch neue Gene enthalten?
Jany: Ja, aber keine artfremden Gene, sondern nur solche, die dem Züchterpool entstammen.

Im Entwurf heißt es, in NGT-1-Pflanzen dürfe kein endogenes Gen unterbrochen sein. Aber genau solche Ausfälle passieren doch auch in der klassischen Zucht und sogar in der Natur. Warum ist das bei NGT-1 nicht zulässig?
Jany: Als Naturwissenschaftler finden wir das vielleicht unsinnig, denn in der Züchtung passiert es oft, dass ein Gen ausfällt. Der Gesetzgeber verlangt aber, dass wir weiterhin alle Gene in der Pflanze erhalten, damit sie weitestgehend der natürlichen Variante entspricht. Damit möchte man Angriffspunkte von Kritikern vermeiden. Hier geht es letzten Endes nicht um naturwissenschaftliche, sondern um juristische Erwägungen.

Möglicherweise will man auch vermeiden, dass der Verbraucher solche Produkte ablehnt. Denn ob die Kaufentscheidung letztlich rational oder emotional begründet ist, läuft ja auf dasselbe Ergebnis hinaus. Hat in diesem Punkt die Wissenschaftskommunikation der letzten 20 Jahre versagt?
Jany: Was vielleicht versäumt wurde ist, zum Beispiel an Universitäten oder Max-Planck-Instituten Kommunikationsstellen einzurichten, mit Leuten, die genau für diese Aufgabe qualifiziert sind. Und die die Erkenntnisse mit Unterstützung der Wissenschaftler in eine Sprache übersetzen, die der Verbraucher versteht. Wissenschaftler sind froh, wenn sie genügend Geld und Zeit für ihre Forschung aufbringen können. Für Wissenschaftskommunikation fehlt da in der Regel einfach auch die Zeit.

Ich erinnere mich gerade an die Sorge vor Handystrahlung in den 1990er-Jahren. Heute nutzt jeder ganz selbstverständlich sein Smartphone. Hier haben sich die Bedenken beim Verbraucher ja auch zerstreut.
Jany: Da ist der individuelle Nutzen aber direkt im Alltag spürbar. Lebensmittel hingegen haben wir hierzulande im Überfluss. Da sieht der Verbraucher vielleicht gar keinen eigenen Vorteil – obwohl wir jetzt fast 30 Jahre Sicherheitsforschung zu gentechnisch veränderten Pflanzen hinter uns haben und die EU rund 300 Millionen Euro dafür ausgegeben hat. Und wir haben keinerlei Risiken feststellen können, die nicht auch bei konventionell gezüchteten Pflanzen vorkommen.

Auch wenn es für den Kunden in Deutschland derzeit nicht so wichtig scheint: Weltweit macht es sehr wohl einen Unterschied, ob wir Pflanzensorten haben, die resistent sind gegen bestimmte Schädlinge, die Trockenheit besser vertragen oder auf derselben Fläche höhere Erträge bringen. Im Zuge des Klimawandels müssen auch wir in Europa uns mit solchen Fragen zur Nachhaltigkeit und dem schonenden Umgang mit Ressourcen beschäftigen. Hier wundert mich, dass laut aktuellem Entwurf NGT-Pflanzen vom ökologischen Landbau ausgenommen werden sollen – gerade der Öko-Landbau setzt doch auf Nachhaltigkeit. Das finde ich widersprüchlich.
Jany: Bei der Gesetzgebung ist viel Lobbyismus im Spiel, und einige sehr starke Ökoverbände bestehen darauf, diesen Punkt gesetzlich zu verankern. Sie wollen, dass diese Pflanzen nicht in der ökologischen Landwirtschaft angewandt werden dürfen. Aus meiner Sicht ist das eine Bevormundung. Wir plädieren dafür, diesen Punkt aus dem Gesetz herauszunehmen und die Entscheidung den Ökoverbänden zu überlassen. Wir hatten ja einen ähnlichen Fall bei den klassisch durch Strahlung oder Chemikalien mutierten Pflanzen. Die unterliegen aktuell nicht der Gesetzgebung, aber gewisse Ökoverbände verbieten ihren Mitgliedern, solche Sorten zu nutzen. Diese Freiheiten bestehen also unabhängig vom Gesetz. Ist so etwas aber einmal gesetzlich verankert, lässt sich das nur schwer wieder herausnehmen.

Derzeit handelt es sich nur um einen Entwurf, und es wären Änderungen möglich, bevor das Ganze verbindlich ausformuliert wird. Noch also kann sich die Wissenschaft Gehör verschaffen. Gibt es hier etwas, das Ihnen noch wichtig ist zu erwähnen?
Jany: Wir appellieren an die Bundesregierung, dass Deutschland diesen Gesetzes­entwurf nicht blockiert und eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedsstaaten zustande kommt.

Gibt es dazu bereits Signale aus der Politik?
Jany: Die Signale sind nicht eindeutig: Das Forschungsministerium sagt, wir brauchen dieses Gesetz. Das Umweltministerium sagt, wir brauchen es nicht. Und das Landwirtschaftsministerium äußert sich indifferent. Wir wünschen uns aber, dass Deutschland klar Stellung für diesen Vorschlag bezieht.

In Ihrer gemeinsamen Stellungnahme fällt das Resümee für den Vorschlag der Kommission unterm Strich positiv aus. Was genau wird besser, falls der Entwurf umgesetzt wird?
Jany: Wir werden einfachere Anmeldeverfahren haben, insbesondere für die Kategorie NGT-1. Hier greift dann weitestgehend das normale Sortenrecht, und es gibt nicht mehr diese riesigen zusätzlichen Auflagen, um eine Pflanze aus dem Labor auf das Feld zu bringen. Darin sehe ich einen großen Vorteil. In der Pipeline liegt zum Beispiel ein mehrjähriger Weizen mit langen Wurzeln, der dadurch auch trocken­resistenter ist. Oder Pflanzen, die sich eigenständig gegen Viren und Insekten schützen. Das kommt dem Green Deal [der Europäischen Kommission] zugute, weil wir Pflanzen­schutzmittel einsparen. Ich denke, die Kommission ist einen mutigen Schritt gegangen, um das verkrustete alte Gesetz an den Stand der heutigen Wissenschaft und Technik anzupassen.

Da Sie das Sortenrecht erwähnen: Man sollte noch betonen, dass auch Pflanzen aus klassischer Zucht nicht ungeprüft auf das Feld und in Lebensmittel gelangen.
Jany: Natürlich kommen auch diese Pflanzen nicht unreguliert auf den Markt. Auch NGT-1-Pflanzen müssten dementsprechend erst als Sorte zugelassen werden, und natürlich haben wir dann auch eine Sicherheitsbewertung. Nur dass es nicht, wie früher, um die gentechnischen Änderungen geht, sondern um die tatsächlichen Eigenschaften. Denn nur daraus können sich ja Risiken ergeben.

Das Gespräch führte Mario Rembold

Update (20.11.2023): Der WGG und VBio haben an die Bundesministerien für Ernährung und Landwirtschaft, für Umwelt und Naturschutz sowie für Bildung und Forschung einen offenen Brief (LINK) geschickt. In diesem bitten sie die zuständigen Bundesminister, „sich im weiteren europäischen Abstimmungsprozess für die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Regelungen einzusetzen“. Den Brief haben mehr als 400 Wissenschaftler und Forscherinnen unterzeichnet.

Bild: Pixabay/PublicDomainPictures (Hintergrund) & K.-D. Jany


Weitere Artikel zum Thema Gentechnik


- „Hinsichtlich grüner Gentechnik stecken wir in einer Zwickmühle“

Die Deutsche Kreditbank (DKB) hat sich laut Selbstdarstellung der Nachhaltigkeit verschrieben. Und schließt daher gentechnisch veränderte Organismen (GVOs) explizit aus ihrem Finanzierungs-Portfolio aus. Laborjournal sprach daher mit Andreas Gruber, Leiter Public Affairs & Nachhaltigkeit der DKB – über die pauschale Ablehnung grüner Gentechnik, überholte GVO-Narrative und neue Erkenntnisse.

- Unser irrationaler Umgang mit der grünen Gentechnik

Seit Jahrzehnten lehnt eine Mehrheit der deutschen und europäischen Bevölkerung den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft ab – obwohl diese zu einer ertragreicheren und umweltfreundlicheren Produktion beitragen könnte. Wie erklärt sich diese Ablehnung, und was muss getan werden, um die Chancen der Technologie besser nutzen zu können?

- In den Tiefen der Tomaten

Sekundäre Pflanzenstoffe sind medizinisch und kommerziell bedeutsam, doch ihre Gewinnung ist oft unprofitabel. Ein Forschungsteam verlagert daher ganze Synthesewege in besser geeignete Wirtsorganismen – mit Erfolg.

 



Letzte Änderungen: 13.11.2023