Editorial

Schutzmantel für
Stickstoff-Lieferanten

(22.11.2023) Pseudomonas chlororaphis könnte Kunstdünger ersetzen. Dazu muss man die etwas mimosenhaften Mikroben jedoch mit einer Schutzhülle versehen.
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Heute leben drei bis vier Milliarden Menschen auf der Welt. Falsch? So wenige wären wir Modellierungen zufolge tatsächlich, gäbe es keinen künstlichen Stickstoffdünger, der für reiche Ernten sorgt (Mol Plant Microbe Interact, 36(9):536-8). Guano, Chilesalpeter und andere natürliche Düngerquellen können mit der chemischen Industrie nicht mithalten. Nur Leguminosen haben es geschafft, sich von Stickstoff-fixierenden Bakterien Ammoniak bequem in ihre Wurzelknöllchen liefern zu lassen. Auch ein noch so großer Anbau von Hülsenfrüchten würde aber nicht ausreichen, die Ernährungsfrage zu lösen. Dazu sind noch immer große Mengen Kunstdünger nötig. Der Preis für die guten Ernten sind jedoch eine hohe Nitrat­belastung im Grundwasser und gestörte Ökosysteme. Dreimal höhere Preise für Kunstdünger zahlen Landwirte seit der Energiekrise und bangen zugleich, ob angesichts der politischen Lage die nächste Lieferung überhaupt ankommt. Gibt es denn keinen Plan B?

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Frostempfindliches Multitalent

Helfen könnte eine ausgewählte Klientel frei lebender Stickstoff-fixierender Bodenbakterien. Zu ihnen gehören Vertreter von Pseudomonas, die das pflanzliche Wachstum fördern, indem sie in den Hormonhaushalt eingreifen und obendrein auch Stickstoff fixieren, der in Form von Ammonium im Boden landet. Ein besonders attraktiver Vertreter ist das Multitalent Pseudomonas chlororaphis (World J Microbiol Biotechnol, 37(6):99). Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat ihre Zulassung für einen P.-chlororaphis-Stamm jüngst erneuert. Zudem werden P.-chlororaphis-Produkte bereits zur Saatbeize eingesetzt, um Getreide vor Fusarium und anderen Pathogenen zu schützen.

P. chlororaphis hat jedoch einen gravierenden Schwachpunkt – das Bakterium reagiert sehr empfindlich auf Frost, Hitze und Feuchtigkeit. Das sind aber genau die Bedingungen, die im Boden oft auftreten und sich auch bei Transport und Lagerung nur mit viel Aufwand vermeiden lassen. Um die Zellen vor diesen Witterungsbedingungen zu schützen, hat Ariel Fursts Team am Massachusetts Institute of Technology einen Schutzmantel für P. chlororaphis geschneidert.

Polyphenole aus grünem Tee

Ihre Gruppe beschäftigt sich schon länger mit Technologien, mit denen man Mikro­organismen schonender durch Trocknungsverfahren bringen kann oder fatalen Sauerstoff von Anaeroben fernhält. Das Lösungskonzept besteht aus Metallkationen und Polyphenolen, die sich in Eigenregie zu einem gitterartigen Netzwerk formieren. Je nach Konstellation resultieren hieraus unterschiedliche physikalische Eigenschaften. Giftig dürfen die Komponenten aber nicht sein, da sie auf dem Feld und in Spuren auch auf dem Teller landen. Der Fokus des Team lag daher auf Polyphenolen, die von der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) bereits zugelassen sind, sowie auf unbedenklichen Metall­ionen. In die engere Auswahl kamen Gallussäure (GA), Tanninsäure (TA) und Epigallo­catechin­gallat (EGCG) sowie Fe3+, Mn3+, Al3+ und Zn2+.

Die drei Polyphenolverbindungen sind reichlich in grünem Tee vorhanden und für dessen Image als antioxidativer Radikalfänger verantwortlich. GA ist eine simple Polyphenolverbindung, das von ihr abgeleitete Derivat EGCG enthält drei Ringe. Die Komplexität von TA erinnert beinahe an die von Lignin. Die benachbarten Hydroxy­gruppen der Polyphenolringe können mit Metallionen Chelatkomplexe bilden. Das Molekülgemisch bildet hierdurch stabile weitverzweigte Metall-Phenol-Netzwerke (MPN). Mit dreiwertigen Metallionen entstehen generell steifere Netzwerke, in einer basischen Umgebung geht die Netzwerkbildung sehr koordiniert vonstatten.

Überleben mit MOPS

Mittels UV-Vis-Spektroskopie analysierten die Forschenden, welche Chelatkomplexe mit verschiedenen Zusammensetzungen von Metallionen und Phenolen zustande kamen. Dazu mischten sie Metall­ionen, Polyphenole sowie Bakterienzellen und beobachteten die Netzwerkbildung anhand der Farbänderung der entstehenden Charge-Transfer-Komplexe. Dass das Netzwerk die Bakterienzellen tatsächlich umhüllte, bestätigten Mikroskop­aufnahmen.

Doch überlebten die empfindlichen P. chlororaphis das Prozedere überhaupt? Ja. Aber nur, wenn das Gemisch MOPS-Puffer (20 mM, pH 7,4) enthielt. Dieser garantiert einen basischen pH-Wert, bei dem ein engmaschiges MPN entsteht. Eine hohe maschenweite oder saure Umgebung schaden hingegen der Zellviabilität. Die Zellen reagieren empfindlich auf die Netzwerkkomponenten, nicht jedoch auf das fertige Netz.

Die fertig umhüllten Zellen mussten anschließend einige Stresstests bestehen, in denen die Gruppe die Bedingungen der geplanten Anwendungen simulierte, etwa ungekühlter Transport oder die Lagerung außerhalb einer Klimakammer. Die Lyophilisation überstanden nur die mit dem MPN umhüllten Zellen. Temperaturen von 35 oder 50 Grad Celsius verkrafteten die nackten Zellen bei niedriger Luftfeuchte, jedoch nicht bei hoher.

Die Ummantelung mit dem MPN muss sehr fein ausbalanciert sein. Ein dicker Mantel schützt P. chlororaphis zwar besonders gut vor äußeren Bedingungen, erstickt aber die Zellen und unterbindet die Zellteilung. Zwei bis vier Schichten lautet die Erfolgsformel für guten Schutz bei minimaler Wachstumseinbuße. Netzwerke aus EGCG und Mn3+ lieferten die besten Ergebnisse.

Ganz ohne teure Geräte

Ein Spieler fehlte aber noch in der Rechnung. Damit die ummantelten Mikro­organismen ihren Zweck in der Landwirtschaft erfüllen können, dürfen sie die pflanzliche Entwicklung nicht stören. Keimtests mit gebeizten Samen etwa von Mais, Radieschen und Dill belegten jedoch, dass frische Zellkulturen von P. chlororaphis die Keimung verbessern. Die MPN-bemantelten Bakterien lieferten die höchsten Keimraten. Je nach Pflanzenart waren sie zwei- bis sechsmal höher als bei den Kontrollen.

Für die Ummantelung der Bakterien mit dem MPN-Netzwerk sind keine besonderen Geräte nötig. Je 125 Mikroliter Polyphenol- sowie Metallsalzlösung werden gemischt und zu einer wässrigen Zellsuspension gegeben. Anschließend rührt man den Ansatz zehn Minuten kräftig und versetzt ihn mit 0,5 Milliliter MOPS-Puffer. Danach wäscht man die Zellen dreimal, um überschüssige Netzwerkkomponenten zu beseitigen. Nach der ersten Beschichtung gibt man erneut ein Polyphenol-Metallsalz-Gemisch zu den Zellen und wiederholt die Prozedur.

Andrea Pitzschke

Burke B. et al. (2023): Self-Assembled Nanocoatings Protect Microbial Fertilizers for Climate-Resilient Agriculture. JACS Au, DOI: 10.1021/jacsau.3c00426

Bild: Jose-Luis Olivares/MIT




Letzte Änderungen: 21.11.2023