Editorial

Herausforderer für
Escherichia coli

(14.02.2024) Vibrio natriegens ist anspruchslos, wächst schnell und lässt sich einfach transformieren. Das hört sich nach einem perfekten Chassis für Klonierungen an.
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E.-coli-Konkurrent Vibrio natriegens ist ein Verwandter von Vibrio cholera

„Never change a running system.“ Das gilt auch für E.-coli-Bakterien, an denen im Klonier- und Expressionsgeschäft kaum ein Weg vorbeiführt. E. colis charakteristisches Aroma steckt weltweit porentief in Inkubatoren sowie Autoklaven. Dass ein Großteil der molekularbiologischen Werkzeuge auf diese Spezies ausgerichtet ist, hat gute Gründe. Schließlich ist E. coli ungefährlich und lässt sich leicht transformieren, kultivieren und manipulieren. Dank seiner kurzen Verdopplungszeit von zwanzig Minuten vergehen zwischen Transformation und fertig isoliertem Plasmid nur zwei Tage. Das setzt freilich voraus, dass die lieben Kolleginnen und Kollegen die nötigen Spielregeln zur Herstellung kompetenter Zellen eingehalten und die Zellen nicht vollständig aufgebraucht haben.

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Interessante Eigenschaften

Wer sich von derlei Fragen unabhängig machen und seine Klonierungen an einem einzigen Tag schaffen will, sollte sich Vibrio natriegens, einen Verwandten von Vibrio cholera, genauer anschauen. Denn V. natriegens kann mit einigen für das molekularbiologische Tagesgeschäft interessanten Eigenschaften glänzen. Das gramnegative Meeresbakterium ist zwar für ein großes Krabbensterben in China verantwortlich, für Menschen ist es jedoch nicht gefährlich und es kann wie E. coli in S1-Laboren gehandhabt werden. Bei optimaler Fütterung verdoppelt sich V. natriegens in zehn Minuten, das Bakterium kommt aber auch mit kargen Medien aus, die Verbindungen mit geringem Energiegehalt enthalten wie Format oder Acetat, und es wächst auch auf Meerwasser.

Ein zusätzlicher Trumpf ist die natürliche Kompetenz von V. natriegens, die das Bakterium zu einer ernsten Konkurrenz von E. coli in molekularbiologischen Laboren machen könnte. Dass sich die wenigen Handgriffe von der Transformation von V. natriegens bis zur gepickten Kolonie in einem Arbeitstag erledigen lassen, zeigt Buz Barstows Team an der Cornell University in PNAS Nexus (Link unten).

Gen von V. cholera

Bei dem Versuch der Gruppe, die natürliche Kompetenz von V. natriegens zu steigern, stießen die Forschenden per Zufall auf einen besonders kompetenten Stamm. Ihr ursprünglicher Plan war, den Kompetenz-Regulator tfoX zu frisieren. Vibrionaceae aktivieren tfoX normalerweise bei Nahrungsmangel in Gegenwart von Chitin. Wird das tfoX-Gen von V. cholera mittels Plasmid in V. natriegens überexprimiert, steigen die Transformationsraten auch ohne Chitin auf eins bis 10 Prozent (ACS Synth Biol, 6(9): 1650–5).

Das tfoX-Plasmid muss in dem Stamm aber immer mitgeführt und mit Selektionsmarkern erhalten werden. Warum also tfoX nicht einfach gleich ins Genom integrieren? Um dies zu bewerkstelligen, wählten die Forschenden als Ausgangspunkt einen Δdns-Stamm, dem die extrazelluläre Nuklease (dns) fehlt. Die Nuklease würde in den Transformations-Ansätzen unweigerlich die zu transformierende DNA wegfressen.

Die ersten Versuche, ein von einem P23-Promotor angetriebenes tfoX in das Genom des Δdns-Stamms zu integrieren, schlugen jedoch fehl – sobald die Zellen tfoX exprimierten, ereilte sie der Tod. Setzte die Gruppe jedoch ein Plasmid für die tfoX-Integration ein, das neben tfoX das Gen für den LacI-Repressor beherbergte, erhielten die Forschenden einen Stamm, der tfoX exprimierte. Die ursprünglich beabsichtigte Induktion des LacI-Repressors mit IPTG funktionierte zwar nicht. Aber offensichtlich enthält dieser Stamm Bruchstücke des LacI-Repressors, die zur Expression von tfoX und damit zur natürlichen Kompetenz führen – ein entsprechender Stamm ohne LacI wies keine natürliche Kompetenz auf.

Minimalmedium mit Acetat

Die Spuren des LacI-Repressors mögen ein Schönheitsfehler sein, für Barstows Team war die damit verbundene natürliche Kompetenz des neuen Stamms aber sehr willkommen. Die Forschenden stellten für ihn ein Minimalmedium (MCM) zusammen, das sowohl die Transformation als auch das Zellwachstum begünstigt, um einen Medienwechsel überflüssig zu machen. Acetat als Kohlenstoff- und Energiequelle erschien ihnen dafür als gut geeignet. Tatsächlich ließen sich die Bakterien in einem Medium mit 3 mM Acetat und 350 mM Natriumchlorid sowohl gut kultivieren als auch transformieren. Unter einem pH-Wert von 6,5 rutschte die Transformationsrate jedoch in den Keller. Das Team pufferte das MCM-Medium daher mit HEPES auf pH 7,4.

Um Zellen für die Transformation heranzuziehen, werden 20 Milliliter MCM mit einer Einzelkolonie angeimpft. Wichtig ist, die Übernacht-Kultur nicht zu bewegen. Nach 18 bis 20 Stunden bei 30 °C (oder alternativ nach 24 bis 40 Stunden bei 20 °C) werden die Zellen geerntet, in 350-µl-Portionen aliquotiert, danach 3:1 mit Glycerol vermischt und schließlich schockgefroren.

Zur Transformation wird ein Aliquot kompetenter Zellen aufgetaut und das Plasmid zugegeben. Auch bei der Transformation von unmittelbar hergestellten kompetenten Zellen muss V. natriegens unbedingt erst das Einfrier-Auftau-Prozedere durchlaufen. Einminütiges Vortexen vor der DNA-Zugabe nehmen die Zellen unbeschadet hin, verübeln jedoch jegliche Bewegung, geschweige denn Auf- und Abpipettieren nach der DNA-Zugabe. Außerdem finden Auftauen und Plasmid-Inkubation nicht auf Eis, sondern bei Raumtemperatur statt. Hierin liegt der große Vorteil gegenüber E. coli. Die ungekühlte Inkubation bedeutet, dass der Stoffwechsel auch schon während der Transformation arbeiten kann und als Selektionsmarker verwendete Antibiotika-Resistenzgene von Beginn an exprimiert werden. Damit erübrigt sich auch die bei E. coli nötige Erholungsphase.

Perfekte Rahmenbedingungen

Während die unmittelbar nach der Transformation ausplattierten Flüssigkeiten trocknen, exprimieren die Transformanden ausreichende Mengen des Resistenzgen-Produkts, um sich gegen das Antibiotikum zu wappnen. Ausplattiert wird auf LBv2-Agarplatten mit entsprechendem Antibiotikum, zum Beispiel Kanamycin. Ligationsansätze sind direkt ohne Aufreinigung transformierbar. Das Team testete die kompetenten Zellen erfolgreich in einem Experiment, bei dem ein PCR-Produkt ligiert und gleichzeitig das DNA-Template entfernt wurde, sowie bei einem Gibson-Assembly. Die ausplattierten Zellen bilden Kolonien, die noch am selben Tag gepickt werden können. Die Plasmid-Extraktion mit einem Miniprep am Folgetag läuft analog zu E.-coli-Protokollen mit ähnlichen Ausbeuten ab.

In dem Moment, in dem eine kompetente V.-natriegens-Zelle ein DNA-Molekül „verschluckt“, ist sie auch für andere Moleküle empfänglich. Das bietet perfekte Rahmenbedingungen für Cotransformations-Vorhaben. Genomeditierungen lassen sich einfach durch Cotransformation eines Plasmids sowie einer linearen DNA mit entsprechenden circa 3 Kilobasen langen homologen Armen durchführen.

Andrea Pitzschke

Specht D. et al. (2024): Efficient natural plasmid transformation of Vibrio natriegens enables zero-capital molecular biology. PNAS Nexus, 3(2):444.

Bild: Bryce Brownfield/Cornell University




Letzte Änderungen: 14.02.2024