Editorial

Unser Dossier
"Wissenschaftsprekariat"

(29.03.2024) Nicht nur der Hashtag "#IchBinHanna" machte klar: Die Befristungsregeln für Anstellungen in der Forschung sind nicht mehr haltbar. 17 Beiträge dazu in unserem Dossier.
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Bald siebzehn Jahre ist es her, da zementierte ein neues Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) die sogannte "12-Jahres-Regel". Diese begrenzt die Möglichkeit, Forschende befristet einzustellen, auf sechs Jahre – und räumte nach der Promotion eine Qualifizierungsphase von weiteren sechs Jahren ein (beziehungsweise neun Jahren in der Medizin). Danach ist eine Weiterbeschäftigung an Universitäten nur noch auf einer Dauerstelle möglich.
Das Gesetz hat versagt. Anstatt, wie intendiert, eine Zunahme von unbefristeten Stellen zu bewirken, ist der Anteil an befristeten Stellen unterhalb der Professur auf mittlerweile über 80 Prozent gestiegen. Die Konkurrenz um die weiterhin stark begrenzten Dauerstellen ist damit heftiger denn je. Nur allzu verständlich, dass das Rumoren unter Deutschlands „Early Career Researchers (ECRs)“ seitdem stetig lauter wurde.

Editorial

Reform muss her!

Im Sommer 2021 stellte das Bundesforschungsministerium (BMBF) daher ein Erklärvideo ins Netz, in dem die fiktive Postdoktorandin „Hanna“ auf erschreckend naive Weise die akademischen Befristungsregeln des Gesetztes erklärte. Der befristet angestellte Forschungsnachwuchs fühlte sich veralbert und schrie vor allem in den sozialen Medien unter dem Hashtag „#IchBinHanna“ kollektiv auf. Dem BMBF blieb nichts übrig, als das peinliche Video wieder aus dem Netz zu nehmen.
Und schnell war klar: Eine Reform des WissZeitVG musste her. Letzten Sommer stellte das BMBF schließlich ein entsprechendes Eckpunktepapier vor. Doch kaum war es veröffentlicht, hagelte es erneut Kritik. Und schnell war klar: Die darin enthaltenen Vorschläge werden es nicht in einen Reformentwurf zum WissZeitVG schaffen. Also lud das BMBF dreizehn Repräsentanten relevanter Organisationen zu einer Anhörung ein. Und seitdem arbeitet es zusammen mit den anderen betroffenen Ministerien an einem neuen Referentenentwurf zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes.

Wirkung verfehlt

Einige Beobachter befürchten allerdings, dass sich die Politik vorerst nicht einigen wird und eine Reform des WissZeitVG daher in dieser Legislaturperiode ausbleibt. Das WissZeitVG nicht zu reformieren, ist jedoch keine Option. Denn wie schrieb unser „Wissenschaftsnarr“ bereits vor zwei Jahren:
„Das Gesetz hat seine intendierte Wirkung nicht nur verfehlt, ja es führt sogar zu einem verschärften Aussortieren von gut ausgebildeten und bewährten Wissenschaftlern. Diese würden zwar gerne weiterforschen, sogar die Mittel wären im System dafür vorhanden – allerdings eben nur für eine befristete Anstellung. Und diese muss ihnen aus rechtlichen Gründen verwehrt werden.“
Die Situation ist also verzwickt. Die Debatte um die WissZeitVG-Reform wird daher weitergehen – und könnte in naher Zukunft eher noch lauter werden.
Vielleicht kann unser neues Dossier „Wissenschaftsprekariat“ beim Lösen dieses Knotens helfen. Darin äußern zum einen Betroffene – Promovierende, Promovierte, Technische Angestellte, ... – ihre konkreten Sorgen und Probleme mit dem aktuellen WissZeitVG. Und zum anderen analysieren unsere Autorinnen und Autoren schonungslos die Fehlentwicklungen, die das WissZeitVG verursacht hat – um ausgehend davon konstruktive Vorschläge zu entwickeln, wie es tatsächlich effektiv reformiert werden könnte.

Ralf Neumann

(Illustration kreiert mit Dall-E2)

 

Hier geht's zum vollständigen Dossier "Wissenschaftsprekariat"

 

Highlights daraus:

 

>> Reformvorschlag gescheitert

Eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes sollte die Befristungsmöglichkeiten nach der Promotion auf drei Jahre begrenzen. Ein gut gemeinter Vorschlag, der aber einhellig kritisiert wird ...

 

>> Hanna hätte es fast geschafft

Schon lange verlangen viele eine Reform des Wissenschaftssystems – und fordern vor allem mehr Dauerstellen. Das „Hanna-Video“ des Bundesforschungsministeriums hat die Diskussion darüber nun verschärft. Wie aber könnte eine solche Reform konkret gelingen? ...

 

>> „Praktisch ein Berufsausübungsverbot“

Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) soll erneuert werden. Die vorgeschlagene 3-Jahresregel hält GBM-Präsident Volker Haucke für einen ganz schlechten Kompromiss ...

 

>> „Alles ist besser als der Status quo“

Das "Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft" nimmt kein Blatt vor den Mund, um die missliche Lage des akademischen Mittelbaus aufzuzeigen ...

 

>> Von Promovierenden und Promovierten lernen

Eine Anregung, denjenigen zuzuhören, die die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) direkt betreffen wird: den Promovierenden und Promovierten  ...

 

>> Gestresst, überarbeitet, verunsichert

Ein Postdoc hat’s schwer. Das ergab eine Umfrage unter Forschern an Max-Planck-Instituten. Auch das BMBF hat keine besseren Ideen für das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) ...

 

>> Wie Forscher zu Migranten werden

Viel wird gerade über Migration gesprochen. Auch im folgenden Brief. Allerdings bekommt der Begriff hier wissenschaftspolitisch eine ganz eigene Note  ...

 

 

 

 

 



Letzte Änderungen: 23.02.2024