Editorial

Scientific Excellence only?

(01.03.2024) Wissenschaftliche Exzellenz ist manchmal nicht alleiniges Kriterium bei der Beurteilung von Förderanträgen. Auch die Doktorarbeit sollte lange genug her sein.
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Wie viele Förderorganisationen weltweit schreiben es sich dick auf ihre Fahnen:  Das alleinige und alles entscheidende Kriterium für positive Förderbescheide ist … Scientific Excellence!

Insbesondere der European Research Council (ERC) hatte sich bei seiner Gründung im Jahre 2007 ausgiebig und wiederholt darüber ausgelassen, welches das einzige Hauptkriterium sein sollte, auf das Europas Flagschiff-Organisation für die reine Grundlagenforschung ihre Förderentscheidungen stützen werde. „Das ist typisch für die gesamte Organisation – die einzige Grundlage ist wissenschaftliche Exzellenz“, war damals nur eines von vielen ähnlichen Zitaten.

Tatsächlich sollte es sich im Folgenden zeigen, dass der ERC sein selbst auferlegtes Schlüsselkriterium „Scientific Excellence only“ bis heute wirklich in die Tat umsetzt. Wobei – vielleicht doch nicht voll und ganz …

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Turbo-Habilitation

… Tatsächlich erhielten wir eine E-Mail, die uns zu diesem Thema doch ein wenig die Augenbrauen hochziehen ließ. Eine deutsche Biochemikerin beschrieb darin ihre bereits einige Jahre zurückliegende Frustration angesichts der eigenen Erfahrungen mit den Förderrichtlinien des sogenannten „Starting Grants“, den der ERC explizit für „talented early-career scientists“ eingerichtet hat. Und wir müssen zugeben: Zu einem gewissen Grad hatte sie recht mit ihrer Klage.   

Die Forscherin war damals 30 Jahre alt und arbeitete an einem deutschen Forschungsinstitut. Ihre Forschungsarbeit war so erfolgreich gewesen, dass sie bereits ihre Habilitation abschließen konnte – was ihr damit tatsächlich sehr früh gelungen war. Sie hatte bereits elf Originalarbeiten und zwei Reviews für angesehene Journals verfasst, weitere fünf Manuskripte waren in der Begutachtung. Außerdem hatte sie bereits zwei sehr kompetitive Stipendien erhalten und erfolgreich eigene Fördermittel eingeworben. Also dachte sie, dass es wohl nicht ganz vermessen sei, sich für einen ERC Starting Grant zu bewerben. Wer weiß, vielleicht würden ihre bisherigen Leistungen und vor allem ihr eingereichter Forschungsplan ja tatsächlich als „exzellent“ beurteilt werden …

Zu jung, um exzellent zu sein?

Doch so weit kam es nicht mal annähernd! Sie scheiterte schon, bevor sie überhaupt eine First-Stage Application schreiben konnte. Der simple Grund dafür war, dass ihre wissenschaftliche Karriere offensichtlich zu schnell vorangeschritten war. Denn als sie die Richtlinien des Programms durchlas, musste sie überrascht feststellen, dass wissenschaftliche Exzellenz offenbar doch nicht das einzige Kriterium für die Bewilligung eines Starting Grants war. Vielmehr mussten Bewerber zudem ihren Doktorgrad zwischen zwei und sieben Jahren vor der Deadline für die Anträge erworben haben. Es mag angesichts der in der Zwischenzeit ebenfalls abgeschlossenen Habilitation seltsam erscheinen, aber unsere Biochemikerin wurde tatsächlich erst eindreiviertel Jahre vor der Antrags-Deadline promoviert.

Also schrieb sie einen Brief an den ERC, wie auch an das deutsche Wissenschaftsministerium. Der entscheidende Satz in der Antwort lautete: „Die Förderrichtlinie des ERC zielt explizit auf Kandidaten, die etablierter sind. Es wird angenommen, dass dies in den ersten zwei Jahren nach der Promotion nicht mehrheitlich der Fall ist.“

Prominente Parallelen

Gut, das Wörtchen „mehrheitlich“ vermeidet hier die Blamage. Denn mit dem Kriterium „Zwei Jahre nach der Promotion“ hätte auch Georges Köhler für das Projekt, das am Ende zur Entwicklung der monoklonalen Antikörper und letztlich zum Nobelpreis führte, keinen ERC Starting Grant bekommen können. Bekanntlich begann er es unmittelbar nach seiner Promotion. Und Francis Crick hatte seine Doktorarbeit noch nicht einmal geschrieben, als er mit James Watson die DNA-Struktur entschlüsselte.

Geht es nicht auch in jüngerer Zeit einigen Forschern genauso wie Crick? Verschieben nicht immer wieder insbesondere diejenigen das Zusammenschreiben der Doktorarbeit auf „irgendwann später“, die gerade mit ihren Resultaten in hochkompetitiven Feldern extrem erfolgreich sind – weil sie lieber erstmal ihren experimentellen „Lauf“ weiter fortsetzen wollen?

Dem Autor dieser Zeilen sind einige solche „Doktorarbeits-Verschieber“ aus der Vergangenheit bekannt. Sicher kann man in solchen Fällen sagen: Sind sie doch selber schuld! Aber sind nicht gerade die oftmals die exzellentesten?

Schnelligkeit schadet

Ihre E-Mail schloss unsere Jungforscherin jedenfalls mit den Sätzen:

„Es wäre einfacher gewesen, eine Ablehnung meines Antrags zu akzeptieren, als auf diese Weise überhaupt keine Chance zu haben.“

Und was bleibt aus ihrem Beispiel als Schlussfolgerung für diejenigen, die versuchen möchten, ihre erste unabhängige Forschungsgruppe über einen Starting Grant des ERC aufzubauen? Ja, du musst auf jeden Fall exzellent sein – aber auch nicht zu schnell.

Ralf Neumann

(Illustr.: AdobeStock / freshideas)

 

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Letzte Änderungen: 28.02.2024