Editorial

Druckabfall öffnet Tore
für Transformation

(06.03.2024) Embryonale Stammzellen sind zwar nicht begeistert, wenn sie mit der Pressure-Jump-Poration behandelt werden. Sie nehmen danach aber bereitwillig Plasmide auf.
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Mit einem lauten „Platsch“ springt der Taucher ins Meer und stößt mit kraftvollen Schwimmzügen in die Tiefe vor, bewundert die Unterwasserwelt und steigt nach einiger Zeit wieder hinauf an die Wasseroberfläche. Je nachdem, wie tief er getaucht ist, kehrt er vielleicht mit einem geplatzten Trommelfell zurück und riskiert bei zu schnellem Auftauchen obendrein eine Dekompressionskrankheit.

Aber nicht nur der Körper des Menschen reagiert auf Überdruck und plötzliche Druckunterschiede ziemlich empfindlich – auch einzelne Zellen zeigen markante Reaktionen, wenn sich der Druck verändert. Zu diesen zählt zum Beispiel eine stärkere Durchlässigkeit der Zellmembran. Im Labor kann man das ausnutzen, um Zellen zu transformieren. Jeffrey T. Hendersons Gruppe an der Universität Toronto hat eine Apparatur konstruiert, mit der Forschende Zellen gezielt Druckänderungen aussetzen können. Diese sogenannte Pressure-Jump-Poration (PJP) funktioniert auch mit besonders fragilen embryonalen Stammzellen, die sich mit der üblichen Elektroporation nur schwer transformieren lassen.

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Durchlässiger oder tot

Die PJP nutzt die Druckempfindlichkeit der Zellmembran aus. Wird die Phospholipid-Doppelschicht der Membran einem erhöhten Druck ausgesetzt, treten Phasenübergänge auf, die die Fluidität und Permeabilität der Membran verändern. Auch andere Biomoleküle sind druckempfindlich – bei Proteinen reichen die Antworten darauf von der Stabilisierung bis zur Denaturierung. Die Dosierung des Drucks ist eine Gratwanderung. Die Druckveränderung kann zu einer vorübergehend erhöhten Membranpermeabilität führen, sie kann aber auch das Ende der malträtierten Zelle bedeuten.

Die kanadische Gruppe ging deshalb bei der PJP sehr bedacht zu Werke. Sie wusch die kultivierten embryonalen Stammzellen (ES R1) zunächst in einer Transfektionslösung, resuspendierte sie und füllte die Zellen anschließend zusammen mit dem Plasmid in eine dünne Glaskapillare. Die Kapillare schloss das Team danach mit steriler Vaseline luftdicht ab. Reih in Reih mit weiteren Kapillaren kamen sie danach in einen kleinen Druckbehälter, der mit Silikonöl gefüllt war. Sobald der Behälter verschlossen war, fuhr das Team den hydrostatischen Druck mittels Pumpe hoch und ließ ihn durch das Öffnen eines Drehventils mehr oder weniger abrupt fallen. Anschließend öffnete das Team die Kapillaren und plattierte die ausfließende Zellsuspension auf einem geeigneten Medium. Die Prozedur dauerte etwa fünf Minuten.

Spontaner Druckabfall

Die Forschenden tasteten sich bei ihren Versuchen zunächst an die Stärke und Dauer des Drucks heran, den die Zellen gerade noch überlebten. Ihre Hypothese war, dass ein leichter hydrostatischer Überdruck, gefolgt von einem Druckabfall, Zellmembranen dazu bringen würde, größere Moleküle aufzunehmen. Das Team variierte den hydrostatischen Druck gezielt zwischen 30 und 100 MPa (300 bis 1.000 bar), die für Zellen unschädlich sind. Als optimal erwies sich ein allmählicher Druckanstieg auf 60 bis 80 MPa (65 MPa/min). Dieser Wert wird 30 Sekunden gehalten und dann spontan auf Normaldruck abgelassen – sinkt der Druck nur langsam, erhält man keine Transformanden und es treten vermehrt Schädigungen an cytoplasmatischen Strukturen sowie an Membran- und Kernstrukturen auf.

Das ursprünglich für die Transformation getestete Plasmid war 9,2 Kilobasen lang und codierte das Fluoreszenzprotein dTomato, das die Gruppe nach 24 Stunden nachwies. Ein weiteres Test-Plasmid beherbergte das lacZ-Gen sowie das Gen für den Resistenzmarker Puromycin. Die transfizierten Zellen plattierten die Forschenden auf Gelatine-Medium beziehungsweise multiresistenten Fibro­blasten aus. Die Größe des Konstrukts und die Art des codierten Gens hatten keinen Einfluss auf den Erfolg der Transformation.

Stammzellen ja, HEK293T-Zellen nein

Bei einer Zelllinie, die das gelb-grün fluoreszierende Protein EYFP (Citrin) exprimierte, traten nach der Transfektion mit dTomato interessante Farbveränderungen auf – die Fluoreszenz von Citrin wurde schwächer. Offensichtlich wanderte Citrin nach der Pressure-Jump-Poration vom Zellinneren in das Medium. Co-Transfektions­experimente zeigten zudem, dass empfängliche Zellen gleich mehrere Moleküle verschluckten. Wenn sich die Schleusen erst einmal geöffnet hatten, war die Wahrscheinlichkeit, ein weiteres Konstrukt aufzunehmen, erhöht.

Der Flaschenhals bei der Transfektion mit der PJP-Technik besteht also darin, Zellen überhaupt aufnahmefähig zu machen. Ansonsten gibt es noch ein paar Kniffe zu beachten: Wer Zellen nach der Transfektion dichter ausplattiert, wird mit einer höheren Transfektionseffizienz belohnt. Die Forschenden vermuten, dass die Zellen autokrine Substanzen abgeben, die das gegenseitige Überleben der Transformanden fördern.

So verblüffend gut die Pressure-Jump-Poration mit embryonalen Stammzellen und Fibro­blasten gelang, so enttäuschend verlief sie mit etablierten Zelllinien. Weder aus L-Zellen von Mäusen noch aus immortalisierten Zelllinien (HEK293T, Cos-7) konnte die Gruppe Transformanden gewinnen. Bei der parallel durchgeführten Elektroporation sah es genau umgekehrt aus. Das Rätsel wird sich nur mit einem besseren Verständnis der Vorgänge lösen lassen, die während der PJP ablaufen.

Geschrumpft nach Druckbehandlung

Erste Hinweise fand die kanadische Gruppe jedoch schon. So waren die Zellkerne embryonaler Stammzellen unmittelbar nach der PJP und auch 30 Minuten später intakt und unbeeinträchtigt. In druckbehandelten Zellen traten teils fusionierte Mitochondrien auf und ein Prozent der Zellen schlugen irreversibel leck. 30 Minuten nach der Behandlung mehrten sich morphologische Auffälligkeiten, die in etwa 30 Prozent der Zellen auftraten. Primäre (PJP-trans­formierbare) Zellen verhielten sich offensichtlich anders als immortalisierte (PJP-unemp­fängliche) Zellen. Während embryonale Stammzellen nach durchlaufener Druckbehandlung deutlich schrumpften, veränderte sich die Größe von HEK293-Zellen nicht. Dieses Phänomen hing mit der Druckbehandlung zusammen, nicht etwa mit unterschiedlichem Verhalten in den engen Glaskapillaren.

Andrea Pitzschke

Huang S. et al. (2024): Cellular transfection using rapid decrease in hydrostatic pressure. Sci Rep, 14: 4631.

Bild: Pixabay/Bluesnap



Letzte Änderungen: 06.03.2024