Editorial

Live-Bilder aus
Mausorganen

(13.03.2024) Bisher sind Mikroendoskope für die Untersuchung von Mäusen noch deutlich zu dick. Ein saarländisches Team konstruierte ein hauchdünnes Endoskop, das auch in feinste Organe passt.
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Mediziner sind oft auf indirekte Beobachtungen angewiesen, wenn sie wissen wollen, was im menschlichen Körper vorgeht. Sie messen zum Beispiel Puls und Herzschlag oder nehmen Blutproben, die sie zur Analyse ins Labor schicken. Deuten Zustand und Laborwerte des Patienten etwa auf ein Nierenproblem, einen Leberschaden oder einen Tumor hin, muss „tiefer gebohrt“ werden. Biopsien kommen aber meist erst ins Spiel, wenn eine Erkrankung schon verdächtige Spuren hinterlassen hat. Chirurgen brauchen ungleich mehr Geschick als Pathologen, um an Informationen schwer zugänglicher Organ- oder Gewebestrukturen zu gelangen.

Statt Proben aus der Tiefe von Geweben ans Licht zu holen, könnten sie aber auch Licht in die Gewebe schicken, um direkt vor Ort sehen zu können, ob Zellen zum Beispiel auf eine bestimmte Therapie ansprechen. „Minimal­invasiv“ oder „intravital“ lautet die Devise. Mediziner verwenden dazu häufig Endoskope, die seit dem ersten von dem Frankfurter Philipp Bozzini 1806 konstruierten Modell eine beachtliche Metamorphose durchlaufen haben. Bozzinis starrer mit Kerzenlicht beleuchteter „Lichtleiter“, der eher an ein Folterinstrument erinnert, entwickelte sich über die Jahre zu einem dünnen und flexiblen, mit LED statt Kerzenlicht beleuchtetem High-Tech-Instrument.

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Mensch oder Elefant

Eine mit einem Endoskop durchgeführte Darmspiegelung ist unangenehm, aber sicher nicht lebensbedrohlich. Würde man ein für Menschen vorgesehenes Endoskop an Elefanten anwenden, würden die Tiere das vermutlich nicht einmal mitkriegen. Im umgekehrten Fall sieht das schon anders aus – viele in den Biowissenschaften eingesetzte Modellorganismen wie zum Beispiel Mäuse sind Winzlinge. Und wie soll ein Endoskop­schlauch in eine Maus passen, ohne das Tier übermäßig zu verstümmeln?

Die Antwort hierauf gibt Marcel Lauterbachs Gruppe an der Universität des Saarlandes in einem bioRxiv-Manuskript (LINK unten). Das Team konstruierte ein Mikro­endoskop aus Glasfasern, das mit seinen 360 Mikrometern Durchmesser so dünn ist, dass es durch diverse Körpergänge einer lebenden Maus passt. Die vielen transgenen Mauslinien, die Zell- oder Gewebe-spezifisch verschiedene Fluoreszenzmarker exprimieren, machen Mäuse für Untersuchungen mit dem Endoskop besonders interessant. Statt bei jedem Versuch ein Tier oder eine chirurgisch entnommene Probe zu opfern und mit einer hohen biologischen Variabilität rechnen zu müssen, ermöglicht das Mikro­endoskop in den lebenden Tieren minimal­invasive Untersuchungen von Geweben und/oder Organen über einen längeren Zeitraum. Mit dem Mikro­endoskop sind also auch an kleinen Organen sogenannte longitudinale Studien möglich.

Glasfasern in Glaskapillare

Der Lichtleiter des Mikro­endoskops besteht aus circa 1.500 hauchdünnen optischen Fasern, die in eine sieben Millimeter lange und 360 Mikrometer dicke Glaskapillare integriert sind. Ein Leiterende ist mit einem Spezialkleber an eine sogenannte Gradienten-Index-Linse (GRIN-Linse) angeschlossen. Als Halterung und stabilisierende Verbindung zu den übrigen Komponenten dient ein abgeschnittener Kanülenaufsatz, in den die Glaskapillare eingeführt wird. Der Kanülenaufsatz ist mit einem Mikro­manipulator verbunden, der das Endoskop in winzigen Schritten bewegt. Das andere Ende führt zu einer CCD-Kamera mit fünfzigfachem Objektiv sowie einer Doppellinse. Für Licht sorgen LEDs mit fünf definierten Anregungsfiltern (395/25; 475/28, 555/28, 635/22 und 730/40).

Der Lichtstrahl trifft auf einen dichroitischen Spiegel, der ihn rechtwinklig in die optischen Fasern abgelenkt. Als fluoreszierendes Signal kehrt er durch die optischen Fasern zurück, läuft schnurstracks durch den dichroitischen Spiegel, weiter über Emissionsfilter sowie Linse und wird schließlich von der Kamera eingefangen. Die Saarländer Gruppe hat vier Emissionsfilter in das Mikro­endoskop eingebaut, die zu den Fluoreszenz-Eigenschaften der gängigsten Proteine und Fluorophore passen.

Pixeliges Rohbild

Von einer Arduino-Platine gesteuert, nimmt das Mikro­endoskop mit fünf Wellenlängen nacheinander immer wieder Bild für Bild auf. Da jede einzelne optische Faser Licht aussendet und punktuelle Signale liefert, entsteht zunächst ein recht pixeliges Bild. Eine MATLAB-basierte Bildbearbeitungssoftware des Teams glättet das Rohbild, das Signal-zu-Hintergrund-Verhältnis verbessert eine entsprechende Kalibrierung. Die Autofluoreszenz rechnen die Forschenden aus den Aufnahmen heraus, indem sie bei jedem Einzelbild vier Prozent der Signalstärke abziehen. Die Gruppe wertete eine mindestens 80%ige Zunahme eines Signals gegenüber dem bisherigen Maximum als positive Reaktion einer untersuchten Zelle oder eines Gewebes auf einen Stimulus.

Lauterbachs Team testete das Mikro­endoskop an zwei transgenen Mauslinien, die grün fluoreszierende Fusionsproteine exprimierten. Eine Linie exprimierte in Nierenzellen (NPHS2-exprimierende Podozyten) den grün fluoreszierenden Calciumindikator GCaMP3, die andere exprimierte GCaMP3 in Bürstenzellen der Luftröhre (TRPM5-exprimierende Zellen).

Um die Podozyten in Aktion zu beobachten, legten die Forschenden in euthanisierten Mäusen einen Katheder, durch den eine Angiotensin-2-haltige Lösung, in die unmittelbare Umgebung der Podozyten strömte. Danach richteten sie das Mikro­endoskop auf die Nierenoberfläche und zeichneten die Fluoreszenzsignale auf. Innerhalb von zehn Sekunden nach der Injektion des Hormons stiegen die Fluoreszenzwerte auf das Doppelte an und sanken in den nächsten zwanzig Sekunden wieder auf das Ausgangsniveau.

Fluoreszierende Bürstenzellen

Die Reaktion der fluoreszierenden Luftröhrenzellen untersuchte die Gruppe an lebenden fixierten Mäusen. Die Bürstenzellen tragen Chemosensoren, deren Aktivierung eine Signalkaskade auslöst, die schließlich die Ca2+-Ionen-Konzentration ansteigen lässt. Den Tieren wurde unter einem chirurgischen Mikroskop die Luftröhre ventral aufgeschnitten. Nach der Behandlung mit Denatonium-Benzoat stieg die Fluoreszenz in den Bürstenzellen rasch an und kehrte danach wieder auf das Ausgangsniveau zurück.

Da das Mikroendoskop mit zwei Emissionsfiltern ausgestattet ist, sind auch mehrfarbige Analysen möglich. Die Forschenden untersuchten auf diese Weise eine Kultur neuronaler Zellen, die das grün fluoreszierende Protein GCAMP6f sowie das rot fluoreszierende Protein mKate2 exprimierten. GCAMP6f reagiert als Calciumsensor auf intrazelluläre Änderungen der Ca2+-Konzentration, mKate2 dient als stabil exprimierte Referenz. Durch Depolarisierung der Membran mit Kaliumchlorid provozierte das Team das Einströmen von Ca2+-Ionen, wodurch sich das Signalverhältnis von Calciumsensor- und Referenzprotein änderte.

Mithilfe des fluoreszierenden und redoxsensitiven mitochondrialen Proteins roGFP2-Orp1 analysierte Lauterbachs Mannschaft den Redoxzustand von Pankreas und Niere. In Gegenwart von Oxidationsmitteln liegt die optimale Anregungseffizienz von roGFP2-Orp1 bei etwa 400 Nanometern, in Anwesenheit von Reduktionsmitteln jedoch bei circa 490 Nanometern. Die Zellen reagierten auf die Behandlung mit dem Oxidationsmittel Diamid oder dem Reduktionsmittel Dithio­threitol (DTT) durch die entsprechende Änderung der Anregungseffizienz. Im Pankreas erfolgte die Antwort vergleichsweise zögerlich, in isolierten Langerhans’schen Inseln jedoch umso schneller.

Andrea Pitzschke

Dancker T. et al. (2024): Multicore-fiber microendoscopy for functional cellular in-organ imaging. BioRxiv, DOI: 10.1101/2024.03.02.583077.

Bild: AdobeStock/phonlamaiphoto




Letzte Änderungen: 13.03.2024