Editorial

Toxische Bindung
unterbunden

(18.04.2024) FundaMental Pharma um Hilmar Bading möchte neurodegenerative Erkrankungen wie ALS mit neuartigen TwinF-Interface-Inhibitoren quasi „einfrieren“.
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Nicht nur Stephen Hawkings Verständnis von Raum und Zeit war besonders. Bei dem berühmten Astrophysiker wurde in seinem 21. Lebensjahr Amyotrophe Lateral­sklerose (ALS) festgestellt. Die verheerende Erkrankung führt für gewöhnlich innerhalb weniger Jahre nach Diagnose zum Tod. Stephen Hawking wurde trotz ALS 76 Jahre alt.

So wie dem Physikgenie geht es jedoch den wenigsten, weiß Hilmar Bading. Er ist Professor für Neurobiologie an der Universität Heidelberg sowie Mitgründer und Vorstandsmitglied des Heidelberger Start-ups FundaMental Pharma. Um hier Abhilfe zu schaffen, arbeitet Badings Unternehmen an niedermolekularen Wirkstoffen, die einen Key Player bei neuro­degenerativen Erkrankungen wie ALS adressieren: den NMDA-Rezeptor.

Editorial

Das NMDA-Rezeptor-Paradox

Der Mediziner beschäftigt sich schon seit den frühen 1990er-Jahren mit diesen Rezeptoren. Sie erfüllen eine interessante Doppelrolle im Gehirn, die auch als NMDA-Rezeptor-Paradox bezeichnet wird. „Die NMDA-Rezeptoren befinden sich in unseren Synapsen und sind wichtig für Lern- und Gedächtnisprozesse. Es handelt sich dabei um Ionenkanäle, die sich durch Bindung des Neurotransmitters Glutamat öffnen“, so Bading.

Bereits 1969 zeigte der US-amerikanische Psychiater John W. Olney jedoch, dass Injektionen von Glutamat bei Mäusen zu Hirnschädigungen führen (Science, 164(3880): 719-21). In den späten 1980ern wies der US-amerikanische Neurologe Dennis Choi zudem nach, dass die NMDA-Rezeptoren maßgeblich für diese Glutamat-induzierte Toxizität verantwortlich sind (J Neurosci, 7(2): 357-68). „Da hat man sich natürlich gefragt: ‚Wie kann das sein?‘. Die Erklärung damals war, dass der Rezeptor bei niedrigschwelliger Aktivierung seine normalen Funktionen ausübt, bei einem Transmitterüberschuss jedoch zum Zelltod führt. Das habe ich nie für ein realistisches Modell gehalten“, erinnert sich Bading.

Extrasynaptisch und extra toxisch

Grund genug also für den Mediziner nachzuhaken. Im Jahre 2002 machte Badings Forschungsgruppe – damals noch am MRC Laboratory of Molecular Biology in Cambridge, England – mit einer provokanten Erklärung des vermeintlichen Paradoxes auf sich aufmerksam (Nat Neurosci, 5(5): 405-14). „Wir haben festgestellt, dass das Glutamat, das im synaptischen Spalt freigesetzt wird, die normale Funktion des NMDA-Rezeptors triggert. Es gibt aber NMDA-Rezeptoren auch außerhalb der Synapsen. Werden diese aktiviert, wird der Zelltod eingeleitet.“

Bei vielen neuro­degenerativen Erkrankungen sei laut Bading die Wiederaufnahme von Glutamat gestört oder es komme zur unkontrollierten Freisetzung des Transmitters. Steigt dadurch die Glutamat-Konzentration im extrazellulären Raum, kommt es zur Aktivierung der toxischen extrasynaptischen NMDA-Rezeptoren. „Daraus hat sich für uns die Frage ergeben, was an den extrasynaptischen Rezeptoren anders ist und diese schädlichen Effekte auslöst.“ Badings Idee: Die NMDA-Rezeptoren außerhalb der Synapse müssen einen bisher unbekannten Bindungspartner haben, der die Zelle in den Tod führt. So entdeckte er mit seiner Forschungsgruppe an der Universität Heidelberg den TRPM4-Kanal, einen Ionenkanal, der sich an extrasynaptische NMDA-Rezeptoren heftet. Unterbindet man diese Vereinigung, bleibt die Aktivierung des NMDA-Rezeptors ohne Folgen für die Zelle (Science, 370(6513): eaay3302).

Wie man einen Todeskomplex zerlegt

Nun galt es, Substanzen zu finden, die die Interaktion der beiden Kanäle verhindern. Dazu benutzten die Heidelberger einen methodischen Ansatz, den die meisten Kollegen und Kolleginnen für wenig erfolgversprechend hielten. „Zunächst haben wir die Kontaktstellen des NMDA-Rezeptors und von TRPM4 gemapped. Dann ‚errechneten‘ wir passende Moleküle am Computer, die die Verbindung der beiden Kanäle blockieren und damit den Todeskomplex zerlegen. Die meisten Leute haben gesagt: ‚Das wird nicht funktionieren‘“.

Davon unbeirrt synthetisierten die Forschenden ihre virtuellen Moleküle und testeten sie in einem Schlaganfall-Mausmodell. Die so entdeckten Substanzen tauften die Heidelberger TwinF-Interface-Inhibitoren. Der Name rührt von den beiden Phenylalaninen (Einbuchstabencode: F) her, die sich in TRPM4 an der Schnittstelle zum NMDA-Rezeptor befinden und für deren Interaktion essentiell sind. Bereits 2018 ließ Badings Gruppe an der Universität Heidelberg diese Moleküle patentieren. Für einen späteren Einsatz im Menschen mussten die TwinF-Interface-Inhibitoren jedoch optimiert werden. „Dafür bekommt man an der Universität jedoch keine Förderung. In einem akademischen Setting ist für die Wirkstoff­entwicklung kaum Platz“, so Bading.

Gescheitertes Warm-up

Glücklicherweise hatte der Mediziner bereits 2016 das Unternehmen FundaMental Pharma mitgegründet, das ein neuro­protektives Petido­mimetikum auf den Markt bringen wollte. Das „Den­driten-Stabili­sations-Nasenspray“ stieß zwar auf wissenschaftliches Interesse, die Suche nach potentiellen Investoren war jedoch erfolglos. Rückblickend bezeichnet Bading dies als „gescheitertes Warm-up“. Um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen, kaufte das Start-up der Universität Heidelberg das Patent für die TwinF-Inter­face-Inhibitoren ab, um sie in Eigenregie weiterentwickeln zu können. Parallel dazu zeigte Badings Gruppe an der Universität Heidelberg, dass ihr TwinF-Inter­face-Inhibitor FP802 in einem ALS-Mausmodell erstaunlich wirksam war (Cell Rep Med, 5(2):101413). „Das Molekül stoppt den Tod der Motoneurone komplett und friert die Erkrankung quasi ein“.

Für FundaMental Pharma steht nun die Wirkstoff­optimierung auf dem Programm. Zudem überlegen die Heidelberger, die TwinF-Inter­face-Inhibitoren auch bei Erkrankungen wie Chorea Huntington und der Alzheimer-Demenz zu testen. „Man weiß schon seit einiger Zeit, dass bei diesen neuro­degenerativen Erkrankungen die Glutamat-Toxizität ebenfalls eine Rolle spielt. Unsere ersten akademischen Ergebnisse dazu sind sehr vielversprechend“, so der Mediziner. Momentan liege der Schwerpunkt des Unternehmens jedoch klar auf ALS. Dafür ist das Unternehmen derzeit auf der Suche nach Investoren für eine Serie-A-Finanzierungsrunde. Bis zu einem fertigen Wirkstoff werden laut Bading jedoch noch einige Jahre ins Land gehen, doch er ist zuversichtlich: „Wir werden es schaffen. Da wird was kommen.“

Tobias Ludwig

Bild: Pixabay/chenspec (Neurone) & FundaMental Pharma (Porträt)


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Letzte Änderungen: 18.04.2024