Editorial

Rettet das Mittelmaß!

(26.04.2024) Bringt es in der Gesamtbilanz wirklich was, durch Wettbewerbe immer mehr Exzellenz aus der "ganz normalen" Forschung herauskitzeln zu wollen?
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Exzellenzwettbewerbe. Was haben Wissenschaftspolitikerinnen und -funktionäre zuletzt einen Spaß und Eifer entwickelt, die notorisch Fördermittel-klammen Forschungsaktiven in immer mehr solcher Wettbewerbe zu treiben.

Sicher, es gab immer auch schlechte Forscherinnen und -forscher. Und bei der nie da gewesenen Masse an aktuell Forschenden, gibt es heute vielleicht sogar mehr denn je. Aber dennoch: Vor gar nicht langer Zeit galt Forschung an sich noch als etwas Exzellentes – quasi per definitionem.

Heute offenbar nicht mehr. Heute meint man offenbar, Exzellenz erst durch mehr und härtere Wettbewerbe aus weitestgehend mittelmäßiger Forschung herauskitzeln zu müssen. Und ganz nebenbei haben sich auf diese Weise die Maßstäbe zur Beurteilung von Forschungsleistungen verschoben: Forschung ist eben nicht mehr per se exzellent, sondern nur noch einige aus deren Zunft sind exzellent – nämlich lediglich diejenigen, die sich erfolgreich durch die so betitelten Wettbewerbe schlagen.

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Viele Verlierer

Dabei wird zwar immer wieder geschickt vorgegaukelt, dass es in den „fairen“ Wettbewerben nur Gewinner gibt – frei nach dem Motto: „Wir machen einen Wettbewerb und ernten Exzellenz zum Wohle aller“. Aber bitte keine Augenwischerei: Jeder Wettbewerb hat Verlierer – und mit der aktuellen Wettbewerbsmanie wird man wohl besonders viele produzieren.

Logischerweise ist das nicht gerade motivierend für alle diejenigen, die auf diese Weise das Etikett „mittelmäßig“ aufgestempelt bekommen. Und ist überhaupt schon gezeigt, ob man in der Gesamtsumme (!) tatsächlich „bessere Forschung zum Wohle aller“ bekommt?

Unabhängig davon kann ja vielleicht der Konstanzer Wissenschaftsphilosoph Jürgen Mittelstraß die vielen trösten, die sich jetzt zwangsläufig „mittelmäßig“ fühlen müssen. Schon vor Jahren schrieb er: „Damit Exzellenz wirklich werden kann, muss viel Qualität gegeben sein; und damit Qualität wirklich werden kann, muss viel Mittelmaß gegeben sein [...] Es ist das breite Mittelmaß, das auch in der Wissenschaft das Gewohnte ist, und es ist die breite Qualität, die aus dem Mittelmaß wächst, die uns in der Wissenschaft am Ende auch die Exzellenz beschert.“

Da kann man nur sagen: Rettet das Mittelmaß! Es ist das Fundament, aus dem immer wieder exzellente Forschung entsteht.

Ralf Neumann

(Illustr.: Adobe Firefly)

 

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Letzte Änderungen: 26.04.2024