Editorial

Waffenübergabe im Immunsystem

Miriam Colindres


MAGDEBURG/JENA: Neue Strategie der angeborenen Immunabwehr entdeckt. Dendritische Zellen treten bei einer Entzündungsreaktion im Gewebe in Kontakt mit Mastzellen und übertragen diesen ihre Fähigkeit, Antigene zu präsentieren.

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Anne und Jan Dudeck vor dem Multiphotonen-Intravitalmikroskop, das ihnen die entscheidenden Erkenntnisse vermittelte. Foto: AG Dudeck

Anne Dudeck steckt noch im Aufbau ihrer Arbeitsgruppe. Erst im August 2016 wechselte sie von der TU Dresden auf eine W2-Professur am Institut für Molekulare und Klinische Immunologie der Universität Magdeburg. Dennoch kann sie bereits einen ersten großen Erfolg von dort vermelden: Gemeinsam mit dem Team von Marc Thilo Figge am Leibniz Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena konnte sie mit ihren Mitarbeitern einen bislang völlig unbekannten Mechanismus des angeborenen Immunsystems quantitativ beschreiben.

Zellen live in 3D

Der Schwerpunkt von Dudecks Arbeitsgruppe ist die Interaktion der Zellen im angeborenen Immunsystem. Einen bestimmten Zelltyp hat sie dabei besonders im Fokus. „Die Mastzelle ist eine sehr spannende Zelle des angeborenen Immunsystems“, verrät Anne Dudeck. „Sie ist zwar als Effektorzelle der allergischen Reaktion bekannt, doch über weitere Funktionen der Mastzellen bei der Immun­abwehr weiß man nur wenig.“

Dudecks Team interessiert sich konkret für die Interaktionen der Mastzellen mit anderen gewebsständigen Zellen wie dendritischen Zellen – sowie deren Einfluss auf die adaptive Immunantwort. Die Mastzellen selbst zeichnen sich durch ihre intrazellulären Granula aus, in denen funktionell aktive Immunmediatoren gespeichert vorliegen. Diese setzen sie in einer Abwehrsituation innerhalb von Sekunden frei und stoßen damit die Aktivierung von anderen Immunzellen an. „Die Mastzelle ist sozusagen Initiator und Dirigent der gewebsständigen Immunantworten“, erklärt Dudeck.

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Graphische Zusammenfassung der Erkenntnisse aus Magdeburg und Jena: Dendritische Zellen befähigen Mastzellen, Antigene zu präsentieren. Im Verlauf einer Entzündungsreaktion interagieren dendritische Zellen (grün) und Mastzellen (rot) in der Haut direkt miteinander. Dendritische Zellen übergeben dabei MHC-Klasse-II-Komplexe an Mastzellen, bevor sie in die Lymphknoten wandern, um dort spezifische T-Zellen (blau) zu expandieren. Die in der Haut verbleibenden Mastzellen können nun T-Zellen aktivieren, sobald diese in die entzündeten Hautareale eingewandert sind. Durch diese Strategie können die dendritischen Zellen ihre Aufgabe in den Lymphknoten erfüllen, ohne dass ihre Aktivierungskapazität am Ort der Entzündung fehlt – sie haben ihre Waffen quasi an die Mastzellen übergeben. Schema: AG Figge

Im Gegensatz zu den sessilen Mastzellen sind dendritische Zellen wesentlich beweglicher und patrouillieren im gesunden Zustand auf der Suche nach Pathogenen oder anderen „Gefahren“ durch das Gewebe. Werden sie fündig, nehmen sie Antigene auf und wandern zu den Lymphknoten, wo sie ihre Antigene den T-Zellen präsentieren.

Mäusen auf die Ohren geschaut

In einem Gewebe mit Barrierefunktion wie etwa der Haut bilden Mastzellen und dendritische Zellen ein dichtes Netzwerk. Schon als Postdoc ging Anne Dudeck daher der Vermutung nach, dass diese Zellen miteinander kommunizieren und interagieren. Und tatsächlich konnte sie zeigen, dass Mastzellen in vitro den Reifeprozess und die Funktion von dendritischen Zellen beeinflussen (Eur. J. Immunol. 41(7):1883-93)

Mit ausgefeilterer Methodik und maßgeschneiderten Analysetechniken konnten die Teams von Anne Dudeck und Marc ­Thilo Figge jetzt einen entscheidenden Schritt weiter gehen. Die Magdeburger nutzten ein Reportermaus-Modell, in dem ausschließlich die Mastzellen rot fluoreszierendes Protein tdRFP exprimieren. Diese Mastzell-Reportermaus verpaarten sie mit einer Reportermaus für dendritische Zellen, die das grün fluoreszierende Protein GFP exprimieren. Um nun die Interaktion zwischen Mastzellen und dendritischen Zellen in vivo zu untersuchen, setzte Anne Dudecks Ehemann Jan die intravitale 2-Photonenmikroskopie ein.

Bei dieser handelt es sich um eine neuartige 3D-Mikroskopie, die aufgrund der nicht-linearen Wechselwirkung der eingesetzten Photonen eine hohe Eindringtiefe in das Gewebe bei niedriger Laserintensität ermöglicht – sodass das Gewebe keinen Schaden nimmt. An der Ohrhaut der Reportermäuse konnten die Dudecks nicht-invasiv an ein und derselben Stelle verfolgen, was einerseits im gesunden Gewebe passiert – und was andererseits nach dem Auslösen einer Entzündungsreaktion bis hin zur Regeneration des Gewebes. „Auf diese Weise waren wir die Ersten, die den Mastzellen live bei der Arbeit zuschauen konnten“, berichtet Anne Dudeck.

Dabei beobachteten Dudeck und Co. Überraschendes: Obwohl sie in der Haut sehr eng beieinander sitzen, traten dendritische Zellen und Mastzellen im gesunden Zustand kaum in Kontakt miteinander – anders als Dudeck zuvor in vitro beobachtet hatte. Erst nach Auslösen der Entzündungsreaktion veränderte sich die Interaktion qualitativ. Die Dudecks konnten live mitverfolgen, wie die dendritischen Zellen nach einer anfänglichen Migrationsstarre von etwa sechs bis acht Stunden plötzlich „erwachten“, um dann aktiv das Gewebe abzuscannen und mit den kaum beweglichen Mastzellen in Kontakt zu treten. Die Magdeburger beobachteten, dass zwischen den beiden Zelltypen eine sehr dauerhafte und stabile Verbindung entstand – ähnlich wie bei einer immunologischen Synapse. Außerdem sahen sie, dass sich die Farbe der Mastzellen auf einmal von rot nach gelb veränderte. Was war passiert? Da die Mastzellen nachhaltig gelb blieben, auch nachdem die dendritischen Zellen bereits größtenteils aus der Haut zu den Lymphknoten ausgewandert waren, schlussfolgerte Anne Dudeck, dass die rot-fluoreszierende Mastzelle „grünes“ Protein von der grün-fluoreszierenden dendritischen Zelle aufgenommen hatte.

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Marc Thilo Figge und Anna Medyukhina bei der Bildanalyse. Diese erlaubte die objektive und automatische Quantifizierung der experimentellen Beobachtungen. Foto: AG Figge

„Um unsere Vermutung zu untermauern, brauchten wir eine genaue quantitative Bewertung“, erklärt Dudeck. „Und hier kamen unsere Kollegen aus Jena ins Spiel.“ Figges Team ist spezialisiert auf die bildbasierte Systembiologie, welche die quantitative Analyse von mikroskopischen Bilddaten umfasst (Cytometry A 87(6): 462-70). Konkret implementierte Figges Mitarbeiterin Anna Medyukhina eine auf die Daten der 2-Photonenmikroskopie zugeschnittene Bildanalyse-Pipeline. Damit gelang es ihr, Hunderte von Mastzellen zu identifizieren sowie deren Interaktionen mit dendritischen Zellen zu analysieren, indem sie die relative Anzahl der Mastzellen bestimmte, die die Proteine dendritischer Zellen enthielten.

Diese objektive und vollautomatische Bildanalyse erlaubte den Beteiligten schließlich die statistisch belastbare Schlussfolgerung, dass der beobachtete Farbumschlag der Mastzellen tatsächlich eine Folge der Interaktion mit dendritischen Zellen ist. Dudeck klingt begeistert: „Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Systembiologen war von entscheidender Bedeutung.“

Nun ist das GFP ja ein artifizielles Markerprotein, das die dendritischen Zellen nur in der Reportermaus exprimieren. Anne Dudeck und Co. fragten sich deshalb, welche für die Immun­reaktion wichtigen Proteine auf die Mastzellen übertragen wurden. „Wir kamen auf die Idee, dass womöglich MHC-Klasse II-Komplexe zwischen den beiden Zelltypen transferiert werden könnten, da die Hauptfunktion der dendritischen Zellen die Antigenpräsentation über den MHC-Klasse-II-Komplex ist,“ sagt Dudeck.

Cleveres Immunsystem

Um dieser Hypothese nachzugehen, wendete sich das Team dem Prinzip der Graft-versus-Host-Reaktion zu. Bei der Transplantation von Donor-Gewebe, das einem anderen MHC-Haplotyp entspricht als dem MHC-Haplotyp des Empfängers, kommt es zu einer Abstoßungsreaktion, da der MHC-II-Komplex des Spenders als fremd erkannt wird. Dieses Prinzip machten sich die Magdeburger Immunologen zunutze, indem sie zwei Mauslinien verwendeten, die Träger unterschiedlicher MHC-Haplotypen sind – Haplotyp H2s und Haplotyp H2b. Per Bestrahlung schalteten sie in der H2s-Maus die dendritischen Zellen aus, die im Gegensatz zu den Mastzellen nicht bestrahlungsresistent sind. Dann transferierten sie Knochenmark von der H2b-Maus in die H2s-Maus. Die Empfängermaus besaß nun Mastzellen vom Haplotyp H2s und dendritische Zellen vom Haplotyp H2b, die durch das transferierte Knochenmark neu gebildet wurden.

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Intravitale Multiphotonen-Mikroskopie einer dendritischen Zelle (grün) und einer Mastzelle (rot) während der Entzündungsreaktion in der Haut. Die Mastzelle enthält bereits intrazelluläre Vesikel (gelb) mit dem grün fluoreszierenden Protein der dendritischen Zelle. Foto: AG Dudeck

Damit war es den Dudecks möglich, die Mastzellen nach Auslösen einer Kontaktallergie-Reaktion mit Durchflusszytometrie zu untersuchen. Mit einem spezifischen Antikörper gegen den H2b-MHC-II-Komplex gelang ihnen der Nachweis, dass dendritische Zellen ihre MHC-Klasse-II-Komplexe auf die Mastzellen übertragen, bevor sie in die Lymphknoten auswandern. Überdies konnten sie auch die Funktionalität der übertragenen MHC-II-Moleküle nachweisen. Dafür kultivierten sie Mastzellen, die sie aus der entzündeten Haut isolierten, zusammen mit T-Zellen – und zeigten, dass diese Mastzellen in der Lage waren, die Proliferation der T-Zellen zu induzieren (J. Exp. Med. 214(12): 3791-811).

„Ich denke, wir haben hier wirklich eine neue Strategie des Immunsystems entdeckt, bei der die entsprechenden Zellen miteinander kommunizieren und zusammenarbeiten, um einen effektiven Abwehrmechanismus bereitzustellen“, so Anne Dudeck. Da die dendritischen Zellen in die Lymphknoten auswandern müssen, um dort die T-Zellen zu aktivieren, übertragen sie zuvor ihre Waffen an die Mastzellen. Die Mastzellen übernehmen dann während der Abwesenheit der dendritischen Zellen deren Funktion im entzündeten Gewebe. So bleibt das Gewebe weiterhin bewacht, und die Integrität des Immunsystems wird auch in der geschwächten Situation aufrechterhalten.

„Dieses Konzept ist strategisch unglaublich clever“, betont Dudeck. Dennoch sei sie mit dieser Entdeckung aber erst am Anfang ihrer Arbeit. Schließlich ist es ziemlich logisch, dass sie jetzt herausfinden möchte, welcher zelluläre Mechanismus der Übertragung der MHC-Moleküle zugrunde liegt. Das liegt noch völlig im Dunkeln. Außerdem liefert die Interaktion zwischen dendritischen Zellen und Mastzellen einen neuen Ansatzpunkt, um regulierend auf das Immunsystem Einfluss zu nehmen – beispielsweise bei der Therapie von Kontaktallergien.

Anne Dudecks Gruppe weiß also, was sie in ihrer neuen „Heimat“ zu tun hat.



Letzte Änderungen: 10.10.2019