Editorial

Kurz angebunden oder anhänglich - Biochromatographie

Mario Rembold


(14.06.2023) Die Chromatographie ist eine Standardmethode in den Biowissenschaften. Tüftler entwickeln sie jedoch beständig weiter oder passen sie an individuelle Zwecke an – indem sie zum Beispiel Säulen selber drucken oder komplexe Analyten vor der Chromatographie modifizieren.

Früher nannte man sie High Pressure Liquid Chromatography, heute heißt sie High Performance Liquid Chromatography oder kurz HPLC. Eigentlich sind beide Bezeichnungen korrekt, denn sie beschreiben anschaulich in nur vier Wörtern, was bei der HPLC passiert: Die Probe wird in einer Flüssigkeit gelöst und danach mit hohem Druck durch eine stationäre Phase gepresst, die die enthaltenen Analyten mit optimaler Leistung trennt. Die HPLC wird meist mit automatisierbaren Instrumenten durchgeführt, die sich in angeschlossene Arbeitsabläufe einbinden lassen – etwa die direkte Weiterleitung der aufgetrennten Komponenten in ein Massenspektrometer ohne weitere Aufarbeitung per Hand.

Der besondere Kniff der HPLC sind wie bei allen Flüssigchromatographien die chemischen oder physikalischen Wechselwirkungen der mobilen Flüssigkeitsphase mit der stationären Phase des Säulenmaterials. Moleküle, die mit der stationären Phase intensiv interagieren, sind länger in der Säule unterwegs als solche, die mit ihr nur wenig wechselwirken. Die unterschiedlichen Retentionszeiten, die die aufgetragenen Substanzen vom Einspritzen in die Säule bis zum Wiederaustritt benötigen, nutzt man aus, um Stoffgemische zu trennen. Die Wahl des Säulenmaterials hängt von der Art des Analyten und seinen erwarteten Interaktionen mit der stationären Phase ab. Zu den wichtigsten Kriterien zählen zum Beispiel Größe, Ladung, Polarität sowie Fett- oder Wasserlöslichkeit.

Mit einer Peristaltikpumpe betriebene Superdex-Säule für die FPLC
Selbst in Zeiten computergesteuerter UHPLC-Geräte mit superfeinem Säulenmaterial und aberwitzig hohen Drücken findet man in manchen Laboren noch selbst gebastelte Chromatographie-Aufbauten wie diese mit einer Peristaltikpumpe betriebene Superdex-Säule für die FPLC. Foto: Norelle Wildburger

Bei der Ionenaustausch-Chromatographie sind elektrostatische Interaktionen zwischen Anionen und Kationen ausschlaggebend für den Trennerfolg. Die stationäre Phase ist mit geladenen Gruppen modifiziert, die den Fluss gegenteilig geladener Moleküle in der mobilen Phase bremsen.

Bei der Größenausschluss-Chromatographie (Size Exclusion) spielt die physikalische Beschaffenheit der stationären Phase eine wichtige Rolle. Je nachdem, wie porös das Säulenmaterial ist, verfangen sich kleinere Moleküle darin stärker als größere und sind hierdurch deutlich länger in der Säule unterwegs.

Mit der Affinitätschromatographie reinigt und analysiert man vor allem Proteine. Dabei nutzt man die hohe Affinität bestimmter Proteine zu geeigneten Partnern an der stationären Phase. Ein Beispiel sind Immunglobuline, die mit Protein-A-dekoriertem Säulenmaterial interagieren und von diesem zurückgehalten werden.

Auch hydrophobe oder hydrophile Eigenschaften kann der Analytiker gezielt ausnutzen, um Substanzen zu trennen. Wählt er ein polares Lösungsmittel als mobile Phase und füllt die Säule mit einem unpolaren Säulenmaterial, spricht man von einer Umkehrphasen- oder Reversed-Phase-Chromatographie – die Chromatographie mit apolarer mobiler und polarer stationärer Phase wird hingegen als Normalphasen-Chromatographie bezeichnet.

Für die Flüssigchromatographie muss der Experimentator immer eine mobile Phase mit der dazu passenden stationären Phase kombinieren. Simone Dimartino von der School of Engineering der Universität Edinburgh möchte dabei nicht von Chromatographie-Säulen kommerzieller Anbieterr abhängig sein. Seine Gruppe stellt die stationären Phasen daher mithilfe von 3D-Druckern kurzerhand selbst her. Das Säulenmaterial aus dem 3D-Drucker enthält aber nicht die üblichen kleinen Kügelchen beziehungsweise Beads – es besteht aus einem einzigen Monolithen mit poröser Struktur und feinen Kanälchen. Die Details zur Produktion des 3D-gedruckten Säulenmaterials kann man in der Doktorarbeit von Ursula Simon nachlesen, die bei Dimartino promovierte und inzwischen bei Merck arbeitet (DOI: 10.7488/era/1196; J. Sep. Sci. 44: 1078-88).

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Für ihre Doktorarbeit im Labor von Simone Dimartino (r.) an der Universität Edinburgh entwickelte Ursula Simon eine mit dem 3D-Drucker herstellbare monolithische Ionenaustauschersäule. Foto: S. Dimartino
Säulenmaterial aus einem Guss

„Die Idee ihrer PhD-Arbeit war, ein für die Chromatographie geeignetes Säulenmaterial zu finden, das jeder im Labor mit dem 3D-Drucker selbst herstellen kann“, erklärt Dimartino. „Man gibt das Material in den 3D-Drucker und das Gerät produziert daraus eine fertig gepackte Chromatographie-Säule.“ Oft riskiert man mit selbst gepackten Säulen eine geringe Reproduzierbarkeit, weil es sehr vom individuellen Geschick und der Erfahrung des Experimentators abhängt, ob die Beads letztendlich mehr oder weniger dicht gepackt in der Säule sitzen. Der 3D-Drucker liefert hingegen eine Säule aus einem Guss mit der exakt vorgegebenen Feinstruktur. „Man braucht dieses ganze Pack-Prozedere nicht mehr“, freut sich Dimartino.

Die Herausforderung bestand für Simon darin, ein für den 3D-Drucker kompatibles Material zu finden, das sich chemisch modifizieren lässt. Es muss zunächst flüssig sein, während des Druckvorgangs aber schnell polymerisieren und aushärten. „Der 3D-Druck verlangt ein mechanisch robustes Material. Für die Chromatographie sind hingegen die chemischen Eigenschaften ausschlaggebend“, stellt Dimartino fest. „Ursula hat beides kombiniert und entwickelte ein Säulenmaterial, das sowohl mit dem 3D-Druck als auch mit der Chromatographie kompatibel ist.“

Der Anwender erhält ein „Kochrezept“, das auf günstigen Ausgangssubstanzen basiert. „Man muss nichts aufwändig selbst synthetisieren, sondern mischt ein paar Chemikalien in einem Gefäß und gibt die Mischung in den 3D-Drucker. Die Idee ist, eine Chromatographie-Säule in einem Schritt zu drucken“, beruhigt Dimartino.

Noch nicht ganz perfekt

Er zeigt einige Muster aus dem 3D-Drucker, darunter ein großer Würfel mit zwei bis drei Millimeter breiten Poren und Kanälen. Ein anderes Klötzchen sieht glatt und dicht aus. „Es hat aber die exakt gleiche Geometrie wie der Würfel, nur auf einer kleineren Skala mit vielleicht 500 Mikrometern“, erläutert Dimartino und spricht danach eine noch bestehende Limitierung des 3D-Drucks an. „Wir können größere Objekte nicht zugleich mit hoher Geschwindigkeit und extrem guter Auflösung drucken. Für die Chromatographie brauchen wir aber möglichst schnell große Säulen in hoher Auflösung.“

Dimartino blickt jedoch optimistisch in die Zukunft und ist sicher, dass die 3D-Drucktechnik auch hier in absehbarer Zeit große Fortschritte machen wird: „Denken Sie mal zehn Jahre zurück. Damals existierte der 3D-Druck im Alltag noch gar nicht – heute gibt es 3D-Drucker, die Häuser drucken!“

Noch nicht ganz für den 3D-Druck geeignet sind die Riesensäulen im Labor von Kevin Pagel. „Bei uns steht zum Beispiel eine zwei Meter hohe Größenausschluss-Säule, die wir selber gepackt haben – das dauert bei dieser Größe sehr lang“, gibt Pagel einen Einblick in sein Equipment. Pagel leitet an der Freien Universität Berlin eine Arbeitsgruppe, die auf die Analyse von Zuckern spezialisiert ist.

Zwei Meter lange Größenausschluss-Säule
Kevin Pagels Team schreckt bei der Analyse von Zuckern vor nichts zurück – auch nicht vor dem Packen einer zwei Meter langen Größenausschluss-Säule, die so zerbrechlich aussieht wie eine Neonröhre. Foto: Kevin Pagel

Zuckerstrukturen können komplex sein und stellen das Team immer wieder vor Herausforderungen. „Zucker sind sehr polar. Die klassische Umkehrphasen-Technologie, die man aus der Proteomik kennt, funktioniert mit ihnen nicht“, erläutert Pagel. Welche Arten von Zuckern in einer Probe zu erwarten sind, hängt von ihrer Herkunft ab: „Bei höheren Organismen ist das noch relativ überschaubar. In diesen findet man die drei Hexosen Glucose, Galactose und Manose. Dazu kommen die N-acetylierten Hexosen GlcNAc und GalNAc, die als Bausteine vorkommen. Denkt man aber an Pflanzen, Bakterien oder Pilze, dann gibt es unglaublich viele Isomere, und da wird es beliebig kompliziert.“

Pagels Gruppe setzt meist auf eine mehrdimensionale Chromatographie, die HPLC dient dabei als Vorbereitung für die massenspektrometrische Analyse. Ein typisches Experiment zur Zuckeranalytik beginnt im Pagel-Labor mit einer Größenausschluss-Chromatographie. Anschließend nimmt sich das Team eine isolierte Fraktion vor, etwa die Zehn- oder Zwölfmere. „Die sind extrem divers und unterscheiden sich in Stereochemie und Sulfatierung“, meint Pagel. Danach ist die Ionenaustausch-Chromatographie an der Reihe. „Anhand der Elution im Ionenaustauscher können wir ganz gut abschätzen, wie viele Ladungen auf den Zuckermolekülen sitzen, und bekommen eine Idee, wie diese sulfatiert sind – die am höchsten sulfatierte Spezies kommt immer ganz zum Schluss. Darauf folgt noch eine PGC-SPE-Kartusche, um alles zu entsalzen“. Die SPE beziehungsweise Festphasen-Extraktion reichert eine Fraktion an, mit PGC sind graphitische Kohlenstoffpartikel gemeint, die auf polare Eigenschaften hin selektieren.

Um zu guter Letzt auf die Strukturformel schließen zu können, benötigt man in der Regel noch eine Tandem-Massenspektrometrie. Zu den Ausnahmen zählen einige N-Glycane: „Weil da die Moleküle so gut bekannt sind, dass man die Massenspektrometrie nicht unbedingt braucht“, so Pagel.

Polarität erschwert Trennung

Auf Standardsäulen aus dem Chromatographie-Katalog kann sich Pagels Gruppe also nicht verlassen. „Wenn man mit Zuckern arbeitet, muss man das methodisch weiterentwickeln, weil die Moleküle die für uns unangenehme Polarität haben. Wir verwenden relativ viel Zeit für Derivatisierungs-Strategien an den Zuckern.“ Die Modifikationen erleichtern später die Analyse, denn von Haus aus bringen Zuckerverbindungen nur wenig mit, was man gut vermessen kann. „Zucker absorbieren ja kein UV und fluoreszieren nicht, da muss man erst irgendetwas reinbringen, um sie vernünftig detektieren zu können“, sagt Pagel und fährt fort: „Die Fluoreszenzlabel synthetisieren wir zum Teil selbst oder stellen isotopenmarkierte Label her.“

Vor der HPLC müssen die Moleküle zunächst markiert werden. Hier kann man laut Pagel aber recht gut kontrollieren, wo eine zusätzliche Gruppe eingefügt wird. „Das ist das Schöne bei den Zuckern – die haben eigentlich immer nur ein reaktives Ende, nämlich ein Aldehyd. Damit können wir so ziemlich alles an Aldehyd-Chemie machen, was man sich vorstellen kann.“

Zucker sind wichtige Modifikationen auf Proteinen und beeinflussen deren Funktion. Das spiele auch eine Rolle für biopharmazeutische Anwendungen. „Antikörper sind glycosyliert, das kann einen deutlichen Einfluss auf ihre Aktivität haben“, nennt der Chemiker ein Beispiel. Deshalb sei die Zuckeranalytik auch ein wichtiger Baustein in der Qualitätskontrolle verschiedener biotechnologischer Produkte.

Standardisierte Analyse- und Chromatographie-Verfahren sind hingegen für den Anti-Dopingforscher Mario Thevis am Institut für Biochemie der Deutschen Sporthochschule Köln besonders wichtig. Er untersucht Blut- und Urinproben von Sportlern und fahndet darin nach verbotenen Substanzen und deren Metaboliten. Seine Ergebnisse müssen absolut reproduzierbar und mit denen anderer Analytiklabore vergleichbar sein. Die Welt-Anti-Doping-Agentur führt daher auch regelmäßig Ringtests durch. „Bei den Ringtests, wie auch bei jeder Routine-Dopingkontrollprobe, müssen wir die Vergleichbarkeit der analytischen Ergebnisse belegen“, betont Thevis, dessen Team nie weiß, wann es sich um einen Qualitätstest handelt. „Es gibt auch zweifach verblindete Proben, von denen wir nicht wissen, dass es Tests sind. Das macht die Überprüfung noch objektiver. Die HPLC nutzen wir als Trennverfahren, um optimale Ergebnisse mit der massenspekrometrischen Analyse im direkten Anschluss zu ermöglichen“, erkäutert Thevis. Damit lasse sich auch die Nachweisgrenze drücken. „HPLC und Massenspektrometrie operieren kombiniert und sind direkt über eine Auslasskapillare hinter der Trennsäule miteinander verbunden. Die HPLC liefert mit der Retentionszeit einen kritischen Parameter, der direkt in die Auswertung mit einfließt.“

Verräterische Metaboliten

Sportler, die verbotene Substanzen einsetzen, stehen im ständigen Wettrüsten mit den Kontrolleuren und Analytikern. Thevis erforscht mit seinem Team, wie verschiedene Substanzen verstoffwechselt werden, und wie sich das in den Signaturen aus HPLC und Massenspektrometrie niederschlägt. „Wenn ein anaboles Steroid für die Einnahme in Tablettenform vorgesehen ist, jedoch aufgelöst und durch Resorption über die Haut verabreicht wird, sehen wir andere Abbauwege und andere Metaboliten im Urin“, nennt der Biochemiker ein Beispiel. Allerdings machen es die zunehmend sensibleren Verfahren den dopenden Athleten immer schwerer, unter dem Radar zu bleiben.

Diese Fortschritte können aber auch den ehrlichen Sportlern zugute kommen, weil die Probenentnahmen mit weniger Aufwand verbunden sind. So testet die Kölner Gruppe etwa, ob sich auch getrocknete Bluttröpfchen für einen Dopingtest eignen. „Vielleicht sind künftig gar nicht mehr zwei Milliliter Vollblut aus der Vene nötig, und stattdessen reichen zwanzig oder vierzig Mikroliter Kapillarblut“, wagt Thevis einen Ausblick in die Zukunft.

Übrigens kann sich ein Sportler nicht generell darauf berufen, dass eine bestimmte Substanz heute noch nicht verboten ist. „Die Verbotslisten der Welt-Anti-Doping-Agentur enthalten einen Zusatzpassus, wonach chemisch-pharmakologisch verwandte Verbindungen ebenfalls verboten sind, auch wenn sie nicht gemeinsam mit namentlich aufgeführten Substanzen genannt werden“, mahnt der Forscher. Eine archivierte Probe könnte also auch noch Jahre später erneut analysiert werden. Oder man hat sogar die Signaturen aus HPLC und Massenspektrometrie noch gespeichert und kann diese erneut auf modernere Substanzen hin auswerten.