Editorial

Klonieren, Teil 2

Wie man das Ding mit Gewalt in das Dingens bekommt

von Cornel Mülhardt


Die Hitzewelle ist vorbei, es regnet wieder, im Labor kehrt der Alltag ein. Unser Methoden-Autor sinniert derweil über den Wert von Zwischenklonen nach und erinnert sich an geniale, nie veröffentlichte Fachartikel.


Es regnet wieder. Bis vor nicht allzu langer Zeit wäre das ein Hilferuf gewesen, der Ruf nach Sommerferien und ein bisschen Wärme, die man sich nicht morgens mühsam von seinem Lebensabschnittsgefährten ergaunert hat. Wie anders heute! Dieser Regen bedeutet, dass ich nach fast drei Monaten Dürre nun das mühsam installierte Bewässerungssystem in meinem Garten wieder abmontieren und beruhigt zum Alltagsgeschäft zurückkehren kann. A propos Alltag: Bush hat immer noch keine Massenvernichtungswaffen gefunden, schämt sich aber nicht ein bisschen dafür. So lange kann kein Rekord-Sommer sein, dass am Ende nicht doch die Normalität zurückkehrt.

Auch im Labor kehrt wieder der Alltag ein und mit ihm das Thema Klonieren. Im ersten Teil kamen wir bis zu dem Punkt, an dem Sie sich Ihr zu klonierendes Fragment mittels PCR selbst in die richtige Form gebracht haben – womit es jedoch noch lange nicht kloniert ist. Meist bringt man ja im Primer eine simple Schnittstelle vom Kaliber EcoR I oder BamH I unter, doch nicht alle Restriktionsenzyme sind so pflegeleicht; manche von ihnen schneiden am Ende eines PCR-Fragmentes eher schlecht, was die Klonierungseffizienz dramatisch senken kann.

Sollte diese Taktik nicht erfolgreich sein, können Sie natürlich angesichts der heutigen Preise einfach neue Primer bestellen, was den Erfolg allerdings keineswegs garantiert, oder Sie können einen kleinen Umweg einschlagen und das PCR-Fragment zunächst in einen "Zwischenvektor" klonieren, nackt und unverdaut, wie es ist, um es dort anschließend wieder herauszuschneiden. Das mag dem Einen oder Anderen umständlich erscheinen, hat aber seine Vorteile. Erstens werden Sie dann ganz klassisch vorgehen, d.h. Verdau, Gel, Bande ausschneiden und aufreinigen, und auf diese Weise zur Klonierung einen Haufen garantiert korrekte Fragmente mit genau den richtigen Überhängen an den Enden zur Verfügung haben, und zweitens haben Sie anschließend schier unbegrenzte Mengen an DNA an der Hand.


Auf ewig mein: das Fragment

Sicher, es handelt sich dabei um einen Klon, an dem Sie eigentlich gar nicht interessiert sind, aber wer garantiert Ihnen denn, dass die Klonierung nun sofort funktioniert, nur weil beim Fragment alles stimmt? Gerade wenn die Mengen an Template beschränkt sind, weil Sie sich vielleicht in den Kopf gesetzt haben, die genetische Individualität aller Ameisen in ihrer Küche zu bestimmen, werden Sie erheblich ruhiger schlafen, wenn Sie wissen, dass das Fragment nun auf Ewig Ihres sein wird. Nicht zuletzt können Sie häufig solch einen Zwischenklon auch viel einfacher durchsequenzieren, weil das Fragment oft recht klein ist und Sie die Standardprimer des Zwischenvektors (zum Beispiel die berühmten "universal" oder "T7") benutzen können.

Unterschätzen Sie den Wert solcher Zwischenklone nicht. Ich hatte einmal einen Chef, der ein hochkomplexes Klonierungsprojekt entworfen hat, an dem die bedauernswerte Laborantin, die mit der Arbeit beauftragt war, ein Jahr lang zu knabbern hatte. Das ganze Projekt scheiterte letztlich aufgrund eines simplen, aber fatalen Überlegungsfehlers, und weil alles "on the run" kloniert worden war, waren am Schluss nicht einmal mehr gescheite Zwischenklone da, mit denen man noch etwas hätte anfangen können. Die Ärmste hatte letztendlich ein Jahr für den Müllkübel gearbeitet.


Thema Schnittstellen: Es kommt noch besser

Wenn Sie meinen, dass damit das Thema Restriktionsschnittstellen ausgereizt wäre, dann haben Sie sich allerdings getäuscht, es kommt noch besser. Das klassische Klonieren hat ja den klitzekleinen Nachteil, dass das Endprodukt immer die Sequenz der Schnittstelle beinhaltet, wovon immer zwei bis drei Aminosäuren betroffen sind, wenn man wie die Meisten mit proteinkodierenden Sequenzen arbeitet. Häufig nutzt man deswegen bereits vorhandene Schnittstellen, dann ändert sich an der Aminosäuresequenz des Proteins garantiert nichts. Wenn man statt dessen Schnittstellen dort einfügt, wo es einem arbeitstechnisch am besten passt, dann schlägt man sich anschließend häufig mit der Frage herum, ob die eingefügten oder modifizierten Aminosäuren nicht möglicherweise einen entscheidenden Einfluss auf die Funktion des Proteins haben – und wenn Sie sich diese Frage nicht stellen, dann tut es irgendwann ein Anderer.

Ich hatte einen Chef, der fröhlich einen viralen Promoter mutierte, um die Eigenschaften seines Lieblingsvirus zu modifizieren – leider lag der Promoter in einem proteinkodierenden Bereich und alle, aber wirklich alle generierten Mutanten änderten die Aminosäuresequenz eines durchaus wichtigen Virusproteins. Die Publikation, in der die bahnbrechenden Erkenntnisse dieser Arbeit unter die Menschheit gebracht werden sollte, kam standepede von den Referees zurück, denen das genannte Detail natürlich nicht entgangen war und die hartnäckig darauf pochten, man möge doch bitte die Effekte von mutiertem Promoter und mutiertem Protein klar unterscheiden. Die Publikation wurde nie veröffentlicht!

Es gibt aber noch einen dritten Weg. Tatsächlich kann man Schnittstellen de novo kreieren, ohne das kodierende Potential der Sequenz zu verändern. Ganz einfach ist das natürlich nicht, weshalb es auch eher selten gemacht wird, aber es geht! Das Problem ist, dass man eine Stelle finden muss, die schon fast so aussieht wie eine Schnittstelle und mit ein oder zwei Mutationen in etwas Brauchbares verwandelt werden kann, was im Buchstabensalat einer DNA-Sequenz aber eher schwer zu finden ist.


Tatsächlich ist die umgekehrte Vorgehensweise besser, indem man nämlich über die Aminosäuresequenz geht. Eine "normale" Restriktionsschnittstelle umfasst ja sechs Basen, so zum Beispiel die von EcoRV (GATATC). Je nachdem, in welchem Leseraster wir uns befinden, lesen sich diese Basen als GAT’ATC, was für genau zwei Aminosäuren kodiert (nämlich Asp + Ile = D + I), als xGA’TAT’Cxx (= GR* + Y + HLPQR) oder als xxG’ATA’TCx (= ATGKL...+ I + S). Sie sehen: Wenn das Leseraster verschoben ist, wird die Sache komplizierter, weil dann nur noch eine Base genau definiert ist, während beispielsweise xGA, je nach der ersten Base, für Arg, Gly oder ein Stopcodon kodieren kann. Wenn Sie nun eine der möglichen AS-Kombinationen, beispielsweise GYH oder RYQ, in Ihrer Sequenz wiederfinden, dann wissen Sie, dass Sie an dieser Stelle eine EcoRV-Schnittstelle unterbringen können.

Diese Methode funktioniert tatsächlich von Hand, sofern man die entsprechende Tabelle zur Verfügung hat (in meinem Buch zur Molekularbiologie finden Sie sie beispielsweise) und etwas Geduld mitbringt, doch einfacher geht es natürlich mittels Computer. Das klassische Programm, das einem für eine gegebene AS- oder DNA-Sequenz alle prinzipiell unterbringbaren Restriktionsschnittstellen nennt, heißt SILMUT und findet sich als (uralte) Freeware in einer DOS- und in einer Mac-Version im Internet. Ich vermute allerdings, dass diese Funktion mittlerweile auch in andere Programme übernommen wurde; wer von einem solchen Freeware-Produkt weiß, möge sich bitte bei mir melden, damit ich dies im nächsten Teil nachtragen kann.


Ich komm’ wieder, keine Frage!

Tja. Eh man sich’s versieht, ist die Seite zuende, dabei hatte ich Ihnen das letzte Mal doch ein paar Restriktionsenzyme versprochen, von denen Sie noch nie etwas gehört haben! Keine Angst, aufgeschoben ist nicht aufgehoben, im nächsten Teil machen wir weiter mit der vierten Methode, DNA-Fragmente zu klonieren, ohne die Funktion des Proteins zu stören, und werden uns anschauen, wie man so ein Fragment in einen Vektor hineinbekommt.

Im letzten Artikel ist mir übrigens ein peinlicher Fehler unterlaufen: Es heißt natürlich Quentchen, nicht Quäntchen, weil sich das Wort von Quent ableitet und nicht von Quant. Sie wissen nicht, was ein Quent ist? Wäre doch ein guter Grund, den Duden aus der Ecke zu holen und von seinem Staub zu befreien...

Anmerkungen, Lob und Schelte wie immer an: cornel.muelhardt@web.de




Letzte Änderungen: 08.09.2004