Editorial

Zelllyse mit Schallkanonen und Minisprengköpfen
Produktübersicht: Zellaufschlussgeräte

Zellaufschlussgeräte im Überblickpdficon

(15.05.2023) Zellaufschlussapparate sind meist nicht für den Hochdurchsatz ausgelegt. Die Entwicklung automatischer Zelllyse-Chips läuft aber bereits auf Hochtouren.

Egal wie ambitioniert und raffiniert die Strategie eines biologischen Experimentes ist –am Anfang steht praktisch immer der profane Aufschluss der Zellen. Neben chemischen beziehungsweise Reagenzien-basierten Techniken, die Thema der Produktübersicht in Laborjournal 1-2/2022 waren (Link), kann der Experimentator auch auf ein umfangreiches Arsenal physikalischer und mechanischer Verfahren zurückgreifen, um Membranen und Zellwände der untersuchten Zellen aufzubrechen.

Die traditionellen, schon seit Jahrzehnten hierzu eingesetzten Gerätschaften wie zum Beispiel Dounce- und Potter-Elvehjem-Homogenisatoren, Ultraschallgeräte, Mörser und Pistill oder Kugelmühlen sind aber meist nicht für die hohen Durchsätze geeignet, die sich insbesondere Proteomiker, Transkriptomiker oder Genomiker für den zügigen Ablauf ihrer Experimente wünschen.

Schnellere Zelllyse für Omiken

Die Gilde der Omiker arbeitet deshalb nicht nur an ausgefeilten Sequenziertechniken oder vertrackten massenspektrometrischen Analysemethoden, sondern auch an neuartigen Zellaufschluss-Verfahren, die im Hochdurchsatz funktionieren und möglichst auch für die Einzelzell-Analyse geeignet sein sollten. So hat sich zum Beispiel Clemens André Michaelis für seine Doktorarbeit in Matthias Manns Gruppe an der Ludwig-Maximilians-Universität München ein Protokoll für den effektiven Aufschluss von Bäckerhefen mit Glas-Kügelchen in Deepwell-Platten ausgedacht, das die Probenvorbereitung für die massenspektrometrische Analyse von Proteinen beschleunigt (bioRxiv, doi.org/j8cp).

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Im Wasser lebende Cyanobakterien und Archaeen nutzen Gasvesikel (GV) als Ballasttanks, die ihnen den nötigen Auftrieb verleihen. Gentechnisch modifizierte GVs kann man aber auch als Sprengköpfe für die Lyse von Zellen einsetzen. Illustr.: TU Delft

Michaelis' Verfahren beinhaltet aber immer noch relativ viele manuelle Schritte beim Handling der Platten. Deutlich besser lassen sich Zelllyse-Techniken automatisieren und im Hochdurchsatz verwenden, die auf kleinen Mikrofluidik- oder Halbleiter-Chips basieren. Häufig integrieren die Chips verschiedene Schritte bei der Vorbereitung von Proteomik- oder Sequenzierproben und steuern die Aufbereitung und Weiterverarbeitung der lysierten Zellen. Besonders ausgefeilt ist zum Beispiel der DISCO-Chip (Digital microfluidic Isolation of Single Cells for Omics), den das Team des Experten für digitale Mikrofluidik Aaron R. Wheeler an der University of Toronto entwarf (Nature Comm. 11: 5632).

Auf dem DISCO-Chip bewegen sich die Zellen in winzigen Mediumtropfen über einem zweidimensionalen Gitter aus quadratischen Elektroden, die die Tropfen durch elektromechanische Kräfte in die gewünschte Richtung lenken. Die Gruppe integrierte den Chip in den motorisierten Probentisch eines inversen Fluoreszenzmikroskops und stattete das Mikroskop mit einer zusätzlichen Laserquelle aus, die gepulste Laserstrahlen erzeugt.

Implodierende Luftbläschen

Mithilfe des Mikroskops oder einer auf künstlicher Intelligenz basierenden Zellerkennung kann der Experimentator einen Tropfen mit einer gewünschten Zelle auswählen und in ein virtuelles, von den Elektroden gebildetes Mikro-Well verfrachten. Dort wird er mit einem pulsierenden Laserstrahl beschossen, der auf einen winzigen Punkt von etwa 0,8 Mikrometer Durchmesser fokussiert ist. Die Laserpulse induzieren in dem Tropfen kleine Luftbläschen (Blasenkavitation), die schließlich implodieren und die Membran der anvisierten Zelle auseinanderreißen.

Die Kanadier nutzten den DISCO-Chip für die Probenvorbereitung von Genom-, Transkriptom- sowie Proteom-Analysen von Einzelzellen, mit denen sie zum Beispiel Kopienzahlvarianten in Krebszellen oder das Proteom einer U87-Zelllinie untersuchten. Der DISCO-Chip ist zwar nicht das einzige mikrofluidische Verfahren zur Probenvorbereitung von Omik-Analysen, die präzise Selektion und Lyse einzelner Zellen ist aber nur mit ihm möglich.

Akustischer Zellaufschluss

Ein paar hundert Meilen weiter östlich von Toronto, an der Harvard University im US-amerikanischen Cambridge, tüftelt die Gruppe des Physikers Daniel A. Weitz an Tropfen-basierten Mikrofluidik-Apparaturen für biologische Analysen. Für die Herstellung der Tropfen und ihren Transport in Mikrofluidik-Kanälen nutzt das Team unter anderem akustische Oberflächenwellen (SAW). SAWs sind hochfrequente Schallwellen, die sich ähnlich wie seismische Erdbebenwellen auf Oberflächen von Festkörpern ausbreiten. Sie entstehen, wenn ein sogenannter Interdigitalwandler (IDT) auf einem piezoelektrischen Kristall, etwa aus LiNbO3, platziert wird und diesen durch elektrische Signale zur Schwingung anregt.

Ist die Energie der Schallwellen hoch genug, kann man sie nicht nur zur Erzeugung von Tropfen einsetzen, sondern auch zur Lyse von Zellen. Den Beweis hierfür liefert das Team von Weitz mit der Konzeptstudie eines akustischen Zelllyse-Chip aus Polydimethylsiloxan (PDMS), dem Lieblingsmaterial der Mikrofluidiker (Lab Chip 19: 4064).

Der Chip ist auf das Nötigste beschränkt und besteht im Wesentlichen aus einem in das PDMS eingelassenen 11 Millimeter langen, 400 Mikrometer breiten und 65 Mikrometer hohen Kanal. An seinem Startpunkt ist eine kleine Vertiefung eingearbeitet, die als Einlass für die Zellsuspension dient. Das andere Ende mündet in einen entsprechenden Probenauslass.

Direkt neben dem Kanal platzierte die US-Gruppe einen LiNbO3-Kristall mit aufgesetztem IDW. Für die Lyse-Tests pipettierte sie eine E.-coli-Suspension in den Probeneinlass und versetzte den Piezokristall entweder mit einem 13-MHz-IDT oder einem 160-MHz-IDT in Schwingung. In einem kurzen Abschnitt des Kanals generierte der Kristall hierdurch akustische Oberflächenwellen mit Wellenlängen zwischen 35 und 300 Mikrometern. Durch die Menge der elektrischen Energie (Watt), die sie dem IDT zuführten, steuerten die Forscher und Forscherinnen die akustische Energie der erzeugten Oberflächenwellen. Beim 160 MHz-IDT genügten 1,5 Watt, um neunzig Prozent der Bakterien den Garaus zu machen, sobald sie das Beschallungsfenster des Kanals passierten. Im Vergleich zu Kontrollexperimenten mit üblichen Extraktions-Kits lieferte die akustische Zelllyse aber nur eine Ausbeute von zwanzig Prozent extrahierter Proteine und Nukleinsäure. Weitz und Co. sind dennoch zuversichtlich, dass sich die Wiederfindungsraten mit einem optimierten Design des SAW-Lyse-Chips erheblich verbessern lassen.

Der akustische Zelllyse-Chip von Weitz wirkt aber beinahe bieder, wenn man ihn mit den ziemlich wilden Experimenten vergleicht, die Mikhail G. Shapiros Mannschaft am California Institute of Technology in Pasadena veranstaltet: Shapiros Team konstruierte winzige Sprengköpfe aus Gas-gefüllten Vesikeln, die nach einem kurzen Ultraschall-Puls explodieren und Wirkstoffe freisetzen oder Krebszellen in Stücke reißen (bioRxiv doi.org/gkv2tk).

Gasvesikel (GV) bestehen aus zylinderförmigen Protein-Hüllen, die auf der Außenseite hydrophil und auf der Innenseite hydrophob sind. Sie sind für Gase durchlässig, schließen Wasser aber aufgrund der hydrophoben inneren Oberfläche vollständig aus. In der Natur findet man sie zum Beispiel in Wasser bewohnenden Cyanobakterien oder Archaeen, die durch die GVs den nötigen Auftrieb erhalten, um sich in der jeweils optimalen Wassertiefe aufhalten zu können.

Gasvesikel als Minisprengköpfe

Shapiros Team verfrachtete ein GV-Protein codierendes Operon zusammen mit dem für das lumineszierende Protein NanoLuc codierenden Gen in einen Stamm des Bakteriums Salmonella typhimurium, der häufig in Experimenten zur Bakterien-basierten Krebstherapie eingesetzt wird. Die exprimierten Gasvesikel sollten als Sprengkopf dienen, der die lumineszierende NanoLuc durch ein äußeres Signal aus den Bakterien freisetzt. Als Zünder für die Gasvesikel setzten die Kalifornier einen Ultraschall-Sender ein, der in den GVs einen Überdruck erzeugt. Ist der Druck groß genug, platzen die GVs und bilden zahllose winzige Luftblasen.

Die eigentliche Sprengwirkung entsteht aber erst, wenn die Nano-Luftblasen durch die weitere Einwirkung des Ultraschalls zu einer größeren Luftblase im Mikrometer-Maßstab anschwellen. In einem Prozess, der als inertiale Kavitation bezeichnet wird, fällt die Luftblase schließlich in sich zusammen und implodiert. Die physikalischen Kräfte, die dabei entstehen, sind ziemlich beachtlich und reichen locker aus, um die S.-typhimurium-Bakterien komplett zu zerlegen und ihre NanoLuc-Ladung herauszuschleudern.

Ultraschall-Zünder

Die GVs können aber auch mit Molekülen bestückt werden, die sie zu einem Ziel führen, das durch die implodierenden Luftblasen zerstört werden soll – etwa Tumorzellen. Shapiros Team generierte hierzu GVs, die auf der Hülle ein RGD-Peptid präsentieren. Das Peptid bindet an αVβ3-Integrin-Rezeptoren, die in Tumoren überexprimiert werden. Die mit dem RGD-Peptid präparierten GVs inkubierten die Forscher und Forscherinnen mit Glioblastomzellen, die adhärent auf einer Trägerfolie wuchsen. Auch hier lieferte der Ultraschall-Generator das nötige Zündsignal für die Sprengung der Glioblastomzellen.

Die Gruppe ging aber noch einen Schritt weiter und injizierte die GVs in den subkutan wachsenden Tumor (Xenograft) einer Maus. Mit einem Ultraschall-Sender, den Shapiros Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in unmittelbarer nähe des Tumors anbrachten, sprengten sie die GVs, um die Tumorzellen mit der hierdurch entstehenden implodierenden Luftblase zu eliminieren.

Ultraschall wird in vielen Omik-Analysen auch direkt für die Lyse von Mikroorganismen verwendet und ersetzt dann meist den Aufschluss mit Glaskügelchen. Nicht alle Mikroben werden dabei jedoch mit gleicher Effektivität lysiert. So leisten etwa Gram-positive Bakterien und viele Pilze deutlich mehr Widerstand als Gram-negative Bakterien wie zum Beispiel E. coli. Insbesondere bei Analysen von unterschiedlich zusammengesetzten Mikroben-Gemeinschaften kann dies die Ergebnisse der Experimente erheblich verfälschen.

Eine Gruppe um Kirsten S. Hofmockel vom Pacific Northwest National Laboratory in Washington, USA, der auch Nico Jehmlich vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig angehörte, untersuchte, ob die übliche zehnminütige Behandlung mit Ultraschall oder Glaskügelchen ausreicht, um auch Gram-positive Bakterien sowie Pilze vollständig aufzuschließen (Sci. Rep. 9: 5618). Die schlichte Antwort ist: Nein. Während Gram-negative Bakterien den zehnminütigen Beschuss mit Glaskugeln oder die durch Ultraschall ausgelösten Luftblasen-Implosionen nicht überlebten, blieben viele Gram-positive Bakterien intakt. Hofmockels Gruppe rät deshalb dazu, Zellaufschluss-Protokolle kritisch zu hinterfragen. Insbesondere bei Omik-Analysen von Umwelt-Mikrobiomen sollte man mögliche Verzerrungen der Daten durch die unvollständige Zelllyse immer im Auge behalten.

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(Erstveröffentlichung: H. Zähringer, Laborjournal 05/2023, Stand: April 2023, alle Angaben ohne Gewähr)




Letzte Änderungen: 15.05.2023